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      »Jau, Theater, das wär ’n Gedanke wert«, stieß Shakespeare genussvoll in das Horn, das Helen ihm anbot, »eine Neuinszenierung, sagen wir: seines Dr. Faustus’, meinethalben. Würde das Publikum in Scharen herbeiströmen und die Kassen herzerfrischend klingeln lassen, wenn wir vorher nur laut genug in alle Welt posaunen, dass Fausts Schöpfer im Himmel angekommen ist. Oder in der Hölle, einerlei.«

      »Ja, wheresoever, schnurzpiep«, fuhr Kyd Shakespeare übers Maul.

      Was Kyds Vorsatz anging, brav zu buckeln, um für Marlowe rauszuholen, was noch rauszuholen war, den schien er aufgegeben zu haben. Da waren nach seinem Dafürhalten, wie’s aussah, eh Hopfen und Malz verloren. Ja, zugegeben, vermutlich hatte er recht mit dieser Einschätzung.

      »Ob die Münzen klingeln oder nicht«, mäkelte Kyd, »das ist die einzige Frage, die dich wirklich bewegt.«

      Worauf Helen mal wieder ein Blankverslein zu trällern wusste:

       »Der Wind, der die ganze Welt vorwärtsbläst.«

      Nein, damit konnte, damit wollte Kyd sich nicht zufrieden geben. War ja klar. Wär Ihnen nicht anders gegangen. Und Christopher selbst hätte das schließlich auch nicht so stehen lassen. Außerdem ist Angriff immer noch die beste Verteidigung.

      »Will, was ist los? Haperts mit der Liquidität?«, blies Kyd etwas plump zur Attacke, »brauchst Penunzen, wie? Und das, wo du doch Jahr für Jahr deine allemal 200 Pfund mit deiner Bühne, unserm Spiel und unsern Stücken einheimst!«

      Hat nicht viel gefehlt, und er hätte mir – und zwar nicht zum ersten Mal – er hätte mir die große, die ganz große Abzocke vorgehalten, als wären meine schwarzen Konten aufgeflogen, als hätt ich mich wieder mit irgendwelchen Spekulationen verhoben. Infenion-Inferno, Großheuschreckenklatsche, Realwirtschafts-Crash! Jedes Mal feine Sümmchen, die ich bei jeder Gelegenheit, die sich bot, in die Schanz geschlagen hatte. Und am Ende hätte er mir am liebsten auch noch die fest verabredeten Bonuszahlungen verweigert! Hätte mich nicht gewundert, wenn er so weit ausgeholt hätte. Aber, na ja, Sie wissen, er mochte zwar ein wackerer Dichter sein, aber von Geld hatte er keinen Dunst. Wie eigentlich alle in meinem Umfeld damals. Da war ich der unangefochtene King. Und tat ja auch nach Kräften, was ich tun konnte. – Aber ich bitte Sie! Natürlich zum Wohle aller, versteht sich von selbst, nichts als dem Wohle aller verpflichtet. – Ja, und der Wahrheit. Aber das sagte ich ja schon.

      »Momentchen.« Während Shakespeare noch anhob, eine entsprechende Erwiderung zu platzieren, schien Kyd begriffen zu haben, dass er das völlig falsche Thema aufgerufen hatte, dass Shakespeare sofort den coolen Geschäftsmann geben würde und er auf diesem Terrain ohne Frage den Kürzeren ziehen würde. »Momentchen, war ausgemachte Sache, dass wir uns, was Geschäfte angeht, nicht gegenseitig über die Schulter gucken, schon gar nicht in die Suppe spucken. Das gilt für Schauspieler und Schreiberlinge, Thomas.«

      Kyd wollte soeben denn doch noch zu einem hilf- und hoffnungslosen Piekser ansetzen, als Helen ihm mit voller Wucht auf den Fuß trat. Kyd blieb die Luft weg, was Shakespeare weidlich auszunutzen wusste, indem er seine Einführungsvorlesung mit Verve fortsetzte. »Wenn unser Einsatz Früchte tragen soll, müssen wir alle, alle die Hausaufgaben erledigen: Ihr«, und dabei warf Shakespeare einen stechenden Blick in die Runde, »ihr müsst auf der Bühne euer Bestes geben, und die Musensöhne, Kyd, müssen ihre Feder schwingen lassen und ein ums andre Stück nachlegen. Nichts ist so gierig wie der Schlund des Publikums. Ohne immer wieder mit aufsehenerregenden Neuproduktionen die Bretter zu verzaubern, hat unser Globe Theatre weder auf kurze noch auf lange Dauer eine Chance.«

      Nee, falscher Fehler. Das Globe gab’s erst ab 1599. Sommer ’93 waren wir noch auf der anderen Themseseite. In unserm Theaterchen. Aber wir hatten den Gedanken, mit dem Theater umzuziehen, so ganz allmählich schon mal in den Kopf genommen. Umzuziehn auf die Bankside, das war klar wie Kloßbrühe. Wo wir nicht den Repressionen der Stadtoberen ausgesetzt sein würden, die grundsätzlich meinten, das Theater als Brutstätte der Sünde, des Lasters, der Verschwendungssucht, als Katalysator für aufrührerische Elemente und unkontrollierbar austickende Menschenmengen verdammen zu müssen. Und überhaupt, auf der Bankside würde unsre Schaubühne sowieso bestens aufgehoben sein, denn … na ja gut, ich weiß nicht, ob Sie sich im London Ecke 16./17. Jahrhundert auskennen … sicher, unsterblich, die Herren sind unsterblich, sicher, allüberall und ewig und alle Zeiten, sicher sicher. Hatte ich unverzeihlicherweise grad nur mal für ’n Augenblick mal außer Acht gelassen … Also jedenfalls auf die Bankside wollten wir mit unserm Theater, logisch. Mitten ins Vergnügungsviertel, umringt von Bordellen und anderen Theatern, die allesamt keine ernsthafte Konkurrenz für uns darstellten, sondern vermutlich jede Menge Zuschauer für uns abwerfen würden. Und vor allem in direkter Nachbarschaft von der Bear-Baiting-Arena, wo’s immer hoch herging, wenn sich mal wieder ein todgeweihter Bär einer Meute zähnefletschender Hunde und geifernder Zuschauer gegenübersah. Zuschauer, die vorher oder nachher zwecks gehobener Erbauung und Läuterung der Seele noch eine unserer Theatervorstellungen mitnehmen würden. Spin-Off-Effekte erster Güte. Also die perfekte Standortwahl. Ja, Pardon, wenn an dieser Stelle mal wieder die Seele des Krämers mit mir durchgegangen ist. 1593 jedenfalls, als sich der erste Akt des Marlowe-Dramas abspielte, das können Sie Ihrer Informationslieferantin bei Gelegenheit mal verklickern, da taumelte das Globe noch als unfertige Idee unter fernen Sternen einher. Obwohl, wie gesagt, die ersten Gedanken anfingen, sich zu formen; natürlich war mir und auch den andern bewusst, dass in ein paar Jahren der Pachtvertrag von unserm guten alten Theaterchen auslaufen würde.

      Die Luft fing an zu flimmern. Und Kyd ließ einen dieser Stimmungsaufheller aus Christophers Nähkästchen plaudern:

      »Wer diesen Punkt erstiegen hat, der stürzt.

       Und da ich doch nicht höher steigen kann,

      Warum beklagen, dass es abwärts geht

      Shakespeare fuhr aus der Haut, was Kyd – seinem frechen Grinsen zufolge – geneigt war, als Triumph zu feiern. Shakespeare konnte es sich trotzdem nicht verkneifen, Zeter und Mordio zu brüllen: »Hört euch den an! Will den aufstrebenden Ast, auf dem wir uns allesamt so fürstlich eingerichtet haben, hau schnau absägen! – Kyd, vielleicht denkst du für fünf Pence mal selber und bedienst dich nicht bloß bei Marlowes Versvorräten. Dies Secondhand-Gewäsch, das macht einen ja rasen! Blödsinniges Geseiche … «

      Der Rest der Shakespeare’schen Philippika ging unter in dumpfbrausendem Gebell und Gebrüll, das von draußen hereindrang.

      Aber auch drinnen war’s nicht grade mucksmäuschenstill. Ich war im Eifer des Gefechtes aufgesprungen – oder wollte aufspringen. Und riss dabei mit dem Hintern, trallali, meinen Schemel um, der die Gelegenheit nutzte, trallala, dem seit Monaten provisorisch aufgebockten Spiegeltisch das letzte seiner regulären Beine wegzuschlagen. Worauf die anderen Tischbeine, nicht faul, ebenfalls einknickten, plötzlich Knie bekamen, wo niemand, am wenigsten sie selbst, welche vermutet hätten. Ziemlich weiche Knie.

      Mit großem Getöse schossen Schminktöpfe, Pudertiegel, Pinsel, Quasten und Bürsten, Korsettgräten und Glasperlen, Duftwässerchen, Schnapspinnchen und was der Bühnenzauberutensilien mehr waren, abwärts, schlossen sich auf der schwankend schiefen Ebene, die mal eine Tischplatte gewesen war, zu einer Lawine zusammen, die sich alles, was ihr querkam, einverleibte und mit in den Abgrund riss, bis endlich die ganze Bescherung auf den Boden knallte und die Bohlen erschüttern ließ.

      Das haitianische Erdbeben von Chili.

      Kyd lachte. Trotz der Trauer, die er seit Tagen mit sich herumtrug. Lachte prustend und füßestampfend. Der Abgang des Schminktischs: ein Déjà-vu vom Feinsten nach dem Kladderadatsch des Bull’schen Zimmermädchens, dessen er vor kurzem hatte beiwohnen dürfen!

      Ich weiß auch nicht, irgendwie hatte sich das Blatt zu meinen Ungunsten gewendet. Wenn Sie verstehn, was ich mein. Ich starrte mit aufgerissenen Augen in den zersprungenen Spiegel.

      »Manch einer«, versuchte Kyd den Bogen bis zum Bersten zu spannen, denn er hatte das Gefühl, ganz oben auf seinem persönlichen Triumphbogen zu stehn, »manch einer zerschlägt lieber den Spiegel, als dass er reinschaut.«

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