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es ihnen um nichts anderes zu tun, als dass dieser um Himmels willen nicht dazwischenkomme, das Maul also wacker geschlossen halte. Und schließlich zog Walsingham ein versiegeltes Schriftstück aus dem Revers und drückte es dem schweigsamen Mitfahrer in die Hand, der allerdings keinerlei Anstalten machte, das Schreiben zu öffnen.

      »Hier, wie zugesichert, der Kontrakt, demzufolge du, unter höchster Geheimhaltung und bei kommod gestaltetem Auskommen, künftig die lästige Geheimdiensttätigkeit bleiben lassen kannst, um dich voll und ganz der Dichtkunst zu widmen. Und wenn du nun gleich also vor deine hinkünftige Gönnerin und Gebieterin trittst, so bedenke … verzeih die Belehrung, aber ich halte gewisse Vorkehrungen für geboten, zumal nach diesen strapaziösen Turbulenzen, die du hast über dich ergehen lassen müssen … bedenke also: Der erste Eindruck, den du hinterlassen wirst, ist entscheidend für den Rest deines Lebens, und der kann lange währen. Verhalte dich mithin, wie sich’s unter Leuten von Stand geziemt!«

      »So fügt Euch denn in Euer Glück!«, schloss Frizer mit einer höchst überflüssigen Bemerkung ab.

      9

      Kyd und Helen …

      … fertig mit der Welt …

      … kehrten am späten Abend zurück nach London.

      Was hätten sie auch in diesem elenden Nest und seinem umso elenderen Wirtshaus noch ausrichten können!

      Nachdem es ihnen noch gelungen war, dem Constable unter Androhung des Frühstücksentzugs die Zusicherung abzuringen, dass er die Einstellung der Ermittlungen wieder zurücknehmen und die königlich-majestätischen Behörden einschalten würde. Diese hatten denn auch am gleichen Tag noch die Arbeit aufgenommen, und man konnte davon ausgehen, dass die Dinge ihren Lauf nehmen würden.

      Will meinen: im Sande verlaufen. Jedenfalls anzunehmen, dass sich hier, und sei’s auch in ferner Zukunft, ein Fahndungserfolg der Cops einstellen könnte, so naiv waren nicht mal die beiden. Aber wenigstens hatten sie in dem Gefühl dort abreisen wollen – geh ich jedenfalls von aus –, in dem Gefühl abreisen wollen, nichts Menschenmögliches unversucht gelassen zu haben.

      Noch in der Nacht wummerten Kyd und Helen das gesamte Shakespeare-Team aus dem Bett und setzten die Freunde und Kollegen in Kenntnis. Worauf die beiden sich erst mal ein paar Tage zurückzogen, bevor sie dienstags drauf im Theater der »Lord Chamberlain’s Men«-Truppe aufliefen. Knapp vor Beginn der Abendvorstellung. Sie ruderten durch die sich um die besten Plätze balgende Meute nach vorne durch, um hinter der Bühne den kleinen Holzverschlag aufzusuchen.

      Ich saß, wo ich immer saß, die Beine übereinandergeschlagen, und schminkte mich mit gewohnt flinker Hand. Der Rest unserer Meute hatte sich ebenfalls in die winzige Bretterbude gequetscht, nestelte an irgendwelchen derangierten Kragenspitzen herum, zupfte sich einen Flusen vom Kostüm, schüttelte die Schuppen aus dem Innern der Perücke. Aus dem inzwischen rappelvollen Theaterinnenhof drang das erwartungsschwangere Geplapper des Publikums in an- und abschwellenden Wogen herüber. Und man konnte bei einigermaßen drauf getrimmtem Gehör deutlich ausmachen, dass unsere für teures Geld engagierten Claqueure sich inzwischen unter die real existierenden Zuschauer verteilt und geräuschvoll Position bezogen hatten und ihren Geschäften nachgingen: störten, wo zu stören sich Gelegenheit bot, lachten, hüstelten, verbreiteten Unruhe, um die Stimmung anzuheizen.

      Helen und Kyd hatten sich im Türrahmen des kleinen Schuppens aufgebaut, den die Truppe großspurig »Garderobe« nannte.

      »Heh, Leute«, preschte Helen vor …

      … und ich staunte ein weiteres Mal über ihre Abgebrühtheit oder was auch immer es sein mochte.

      »Wir haben noch immer nicht angestoßen und aufgestoßen, Leute, auf unsern von uns gegangnen Mitbruder! Ein Prosit der Vergänglichkeit!« Worauf sie mit lautem Knall eine Flasche Schaumwein entkorkte.

      Ja, weiß ich nicht, ist mir nicht weniger unbegreiflich als Ihnen, wo sie die her hatte bei ihrem bescheidenen Auskommen in unserem Theater. Aber Sie werden es mir nachsehen, dass diese Frage nicht die Vordringlichste war, die mir in dieser Situation durch den Kopf ging. – Kann sein, dass es diese eine Bouteille war, die uns der Duke of Somerset geschenkt hatte. Zu irgendeiner Premierenfeier, paar Jahre vorher. Ich weiß es nicht. Jedenfalls ein Vermögen wert!

      Helen setzte vorsichtshalber selbst schon mal als Erste die Flasche an den Hals. Worauf Kyd ein »Nicht zu fassen, Helen!« entfuhr. »Er ist noch nicht mal unter der Erde.«

      Augenscheinlich vom Gedanken beseelt, das traurige Thema womöglich doch noch wechseln zu können, bevor es zu spät war, legte Shakespeare Kyd eine geschäftliche Frage vor. »Ach, Thomas, wie sieht’s eigentlich aus? Ich hab lang nichts mehr aus deiner Versschmiede zum Unterzeichnen vorgelegt bekommen – frisch von der Esse eines Thomas Kyd!«

      »Ich danke Eurer Hoheit untertänigst für die angelegentliche Erinnerung, indes Ihr werdet vielleicht verstehen, um des hohen Himmels willen, dass mir in diesen Tagen andre Dinge durch den Schädel turbeln, als dass ich meinen Hamlet fertigbringen oder mir gar neue Stücke rausschinden könnte. Solltet Ihr Plackscheißer oder Schreibautomaten ohne Gefühl, Sinn und Verstand suchen, so seid Ihr bei mir an der falschen Adresse.«

      »Nun man nicht so empfindlich«, sagte Shakespeare mit dem freundlichsten aller Lächeln auf den Lippen, »immerhin liegst du meilenweit hinter deinem Soll zurück. Weiß nicht, wie lang wir das noch dulden können.«

      The show must go on.

      Kyd entschloss sich offenbar, keinen Volksaufstand zu veranstalten. Nicht weil ihn diese Abmahnung irgendwie beeindruckt hätte, …

      … das glaub ich auch nicht, ganz gewiss nicht …

      . sondern weil er definitiv derjenige innerhalb der Truppe war, dem das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes an die Nieren ging. »Ich flehe dich an«, sagte er in bemüht servilem Tonfall, »dein Name, der Name William Shakespeare ist der einzige, der das Gewicht hat, vor der Krone Gehör zu finden. Direkt, ohne Umweg durch die labyrinthischen Reihen der vorgeschalteten Hofschranzen.«

      »Und was bitte sollte ich da bewirken?«

      »Zum Donner, dass man seine Leiche sucht!« Kyd fuhr jetzt doch aus der Haut und schoss sämtliche Zurückhaltung in den Wind.

      »Und was bitte willst du mit dieser Leiche? – An so warmen Tagen, was glaubst du, wie rasant da die Fäulnis voranschreitet; du würdest ihn nicht mal wiedererkennen!«

      Kyd war außer sich! »Ist das zu viel verlangt, dass ein Christopher Marlowe begraben wird nach Art rechtschaffener Sterblicher! Dass er nicht einfach in Vergessenheit verfault wie die stinkenden Köpfe, die wir jedes Mal bewundern dürfen auf dem Weg zur Bankside, abgeschlagen irgendwelchen armseligen Leuten und aufgespießt über der Brücke.«

      Shakespeare zog keine Augenbraue hoch. Nicht mal die, die er schon fertig mit Schminke nachgezogen hatte.

      »Um sorgsame Nachforschungen anhalten, das sollst du!«, beschwor ihn Kyd, »bei Gott, das ist der letzte Dienst, Will, den du Marlowe erweisen kannst!«

      »Immer nur soll ich für euch meinen Schädel hinhalten.«

      Egal, ob mit, ob ohne Perücke, ob frisch gewaschen oder fetttriefend, Hauptsache: meinen Schädel. – Wenn ich mir selbst aus ein paar Jahrhunderten Abstand mal ins Wort fallen darf.

      »Hat der Unglückliche ohnedies nichts mehr von«, murmelte Helen. »Mögen seine sterblichen Überreste den Schmeißfliegen zur Kinderstube gereichen.«

      Genau darauf hatte ich insgeheim gesetzt, dass nämlich Helen Kyd in den Rücken fallen würde.

      »Wenn wir ihm die letzte Ehre in seinem Sinne erweisen wollen, Leute, dann müssen wir ein dröhnendes Spektakel ausrichten, eine Orgie, bei der Dionysos die Augen übergelaufen wären.« Helen strahlte!

      Schmissige Party mit hipper Mucke und Ecstasy ohne Ende! Ich geh mal davon aus, Sie wissen, wie ausgelassen Marlowe feiern konnte. Zu Lebzeiten, logisch.

      »Mit Fasanenkeulen fett wie Konkubinenschenkel«, setzte Helen ihren bunten Reigen fort,

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