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Frauen kann Mohammed ohne Unterlass reden, in dieser Hinsicht ist er ein wahres Phänomen. Das Seminar hat erst gestern begonnen, und schon hat er es geschafft, sich vier – oder sechs – Frauen zu nähern. Einmal sagt er, es seien vier, ein andermal sechs, sei es, weil ihn die genaue Anzahl nicht interessiert oder weil er zwei Annäherungen für nicht so erfolgreich hält.

      Diese Frage näher zu beleuchten, wage ich nicht – für mich ist es ein großes Problem, eine Frau anzusprechen, um so mehr eine, die mir gefällt. Deshalb habe ich gegenüber Mohammed einen Minderwertigkeitskomplex. Aber Schluss damit, wir sind schließlich nicht wegen solcher Sachen hierher gekommen. Deshalb schenke ich Mohammed und mir noch ein Gläschen (aus der Hotelbar) ein und sage – gar nicht zum Thema gehörend – Folgendes: »Hör mal, wir werden etwas dafür tun, dass sich unsere beiden Völker noch näher kommen.« Meine Worte erstaunten Mohammed nicht im Geringsten. Er nickte schweigend, weil wir beide, als Herausgeber von Büchern, dies unterstützen können. Natürlich, das ist unsere Pflicht. »Deshalb«, so rede ich weiter, »nennst du mir bis zum Ende des Seminars ein oder mehrere Bücher aus eurer Literatur, die diesem Anliegen am nächsten kommen. Ich werde es für unsere Literatur ebenso tun. Es soll das objektiv beste Buch sein. Wir treffen die Wahl hier in Moskau, denn wenn einer beim anderen zu Besuch ist, dann nehmen wir vielleicht nicht die richtigen Bücher, sondern die deiner Freunde oder der Freunde dieser Freunde. Trinken wir also auf die Objektivität, und am Ende des Seminars werden wir auf das Thema zurückkommen.«

      Wir ließen die Gläser klingen, doch Mohammed, bevor er sein Glas hinunterstürzte, sagte: »Warum bis zum Ende des Seminars warten, ein solches Buch kenne ich bereits. Es ist das Buch meines Bruders.«

      Ich sah ihn verdattert an, aber Mohammed sah mich ebenfalls an, ernst und unerschrocken. Vielleicht rührte der Eindruck auch daher, dass er von einer sehr männlichen Erscheinung war. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, senkte den Blick und notierte mir den Buchtitel. Wieder fühlte ich mich minderwertig, doch andererseits, wer garantiert mir, dass das Buch seines Bruders nicht vielleicht doch das objektiv beste ist?

      Danach sprachen wir über das gleiche Thema wie am Anfang, und vielleicht gehen wir noch irgendwohin tanzen.

      Einige Schattenseitenim Leben eines Humoristen

      Jede Beschäftigung hat ihre guten, aber auch ihre Schattenseiten. Die große Schwierigkeit für einen Humoristen besteht darin, dass er traurige Leute nicht ausstehen kann, daher alles daran setzt, sie aufzuheitern. Das kostet ihn manchmal einiges, im übertragenen, zuweilen auch im wortwörtlichen Sinne.

      Da sitze ich, um ein Beispiel zu geben, in der »Ochsen-Bar« und trinke Kaffee. Neben mir ein bekannter Dichter, der gar nichts trinkt. Er ist traurig, so traurig, als wohne er seiner eigenen Beerdigung bei. Mich regt so etwas wahnsinnig auf, deshalb frage ich etwas gequält:

      »Hör mal, Poet, warum schaust du so finster drein, als ob du deiner eigenen Beerdigung beiwohnst?« Es stellt sich heraus, dass diese schreckliche Traurigkeit eine Ursache hat, freilich mit weitreichenden Wirkungen. Den Poeten hat die Muse lange nicht mehr besucht. Er hat deshalb a) kein Geld mehr, b) verliert seine Popularität, und sieht deshalb – c) eigentlich überhaupt keinen Sinn mehr im Leben. So einem Witze zu erzählen und ihm zu erklären, wie schön das Leben ist, wäre freilich eine Verhöhnung, ich weiß das aus meiner eigenen Praxis. Hier kann nur eine entschlossene Vorgehensweise helfen, und sei diese am Rande der Legalität. Ich werfe also einen Blick auf die Uhr, es geht auf den Abend zu, und sage:

      »Wie ist es, wenn ich dich einlade, dir etwas von dort einzuschenken?« Mit dem Finger deute ich auf die Flaschen, mit denen die Bar bestückt ist.

      »Wird es dann besser?«

      »Wohl kaum«, erwidert der Poet. »Aber versuchen kannst du es.«

      Ich winke den Barkeeper heran, bestelle ihm einen großen Klaren, um zu beobachten, was sich daraus ergibt. Natürlich erwarte ich ein positives Resultat. Aber diesen Menschen aufzuheitern, erweist sich als gar nicht so einfach.

      »Und du, trinkst du mit?«, fragt der Poet.

      »Ich will nicht.«

      »Also, dann wird es bei mir auch nichts. Dann werde ich noch melancholischer, ich kenne mich.«

      Das leuchtet mir ein. Außerdem denke ich, dass ich leichter nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht, wenn ich mittrinke. Deshalb bestelle ich auch mir einen Klaren, und damit keine Pause entsteht, spendiere ich eine weitere Runde. Nun müsste mein Gegenüber eigentlich, wie ein Freund von mir zu sagen pflegt, im Land der Seligen angekommen sein, aber der verzieht keine Miene.

      Ich weiß nicht, ob es so geblieben wäre, er sich doch noch aufgeheitert oder sogar noch mehr verfinstert hätte. Ich stelle keine Prognosen auf, halte mich allein an die Fakten. Und Fakt ist, dass mehr als zwei Schnäpse an keiner Bar mehr ausgeschenkt werden.[3] Deshalb begebe ich mich, von meinem »Traurige-Gesichter-Komplex« noch mehr getrieben, zum Kellner, rede eindringlich auf ihn ein. Und schon bald sind die Lieblingsspeisen des Poeten aufgetragen, dazu Kaffee – und vor allem Sekt, leicht und schäumend, fast ohne Prozente, daher unbegrenzt verfügbar. Wieder betrachte ich aufmerksam das Gesicht des Mannes, erzähle diverse Geschichten, wobei ich absichtlich solche auswähle, in denen einem Menschen zunächst gar nichts, später aber um so mehr gelingt. Doch die Traurigkeit des Poeten scheint zu umfassend, um sie mit vulgären Gaumenfreuden und meinen absichtlich gezuckerten Geschichten bekämpfen zu können. Erst viel später, nachdem er zweimal mit so einer Superblondine vom Nachbartisch getanzt hat (das Orchester ist von mir bezahlt und ordentlich geschmiert worden), nehme ich im Gesicht des Poeten etwas wie ein Lächeln wahr. Nun hätte auch ich mich freuen und die Annehmlichkeiten, die ich herbeigeführt hatte, mitgenießen können. Doch in diesem Moment sehe ich abermals auf die Uhr, und vor meinem inneren Auge taucht ein weiteres trauriges Gesicht auf, fast noch trauriger als das des Poeten, dazu unbestechlich aus Prinzip.

      Jeder begreift, dass es sich um das Gesicht eines weiblichen Wesens handelt, noch dazu einer mir besonders nahe stehenden Person, die jedes Mal fassungslos ist, wenn sie erfährt, mit welchen Mitteln ich die Leute zum Lachen bringe. Was Traurigkeit bedeutet für einen Menschen mit meinen Komplexen, das wissen ohnehin nur die Psychiater und ich selbst.

      Deshalb lasse ich noch eine gewisse Summe in die Tasche des Poeten gleiten, die ausreichen müsste, seine augenblickliche Stimmung beizubehalten, sie vielleicht sogar noch etwas zu heben, und mache mich auf den Weg, schon wieder Pläne schmiedend, wie ich meine Haussphinx erheitere. Wobei ich sehr wohl begreife, dass das viel schwerer sein wird, als einem von der Muse vernachlässigten Poeten zu neuer Lebenslust zu verhelfen.

      Traurige, besorgte und auch sonst unfrohe Gesichter gibt es viele, Humoristen nur den einen oder anderen, so ist es nicht verwunderlich, dass die Vertreter dieses Genres mitunter selbst von Trübsal befallen sind.

      Vom Wechselgeld und von der Schlechtigkeit der Welt

      Früher, als ich noch keine humorigen Geschichten verfasste, unterschied ich mich kaum von anderen Leuten. So bestieg ich höchst ungern einen überfüllten Bus. Das Geschiebe und Gedränge dort, das Geschimpfe und die diversen Gerüche machten mich wütend. Jetzt suche ich das alles absichtlich auf. Zuweilen lasse ich sogar einen halbleeren Bus vorbeifahren und quetsche mich, ganz entgegen dem gesunden Menschenverstand, in einen, der rappelvoll ist. Der Aufenthalt in diesem Ambiente ist für mich mittlerweile das, was einem Pilzsammler eine Lichtung voller Steinpilze ist oder einem Angler ein geschützter Teich. Mit dem gleichen heimlichen Vergnügen besteige ich frühmorgens den Elfer-Bus, eingekeilt von Enthusiasten, die es nicht erwarten können, zur Arbeit zu kommen. Ich gelange, nehmen wir einen konkreten Fall, zwischen eine Wand, zwei Damen und irgendeinen Rücken. Die Dame, die mit dem Gesicht zu mir steht, hat zum Frühstück Gurken gegessen, dazu eine gute Wurst, und sie hat Kaffee getrunken. Was die andere gegessen und getrunken hat, kann ich nicht sagen, weil sie sich hinter mir befindet, ihr Kinn hat sie in meine Schulter gegraben. Sicher ernährt auch sie sich reichlich, das spüre ich an ihrem Körper, den sie an mich presst. Die beiden kennen sich offenbar, denn sie unterhalten sich über mich hinweg. Und worüber reden zwei gut genährte Damen in einem überfüllten Bus, der ihnen auf die Nerven

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