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      Teodoras Četrauskas

      Irgendwas, irgendwas, irgendwo

      Ironische Stadtgeschichte

      aus dem Litauischen von Klaus Berthel

      ATHENA

      Literatur aus Litauen

      Band 3

      Die litauische Originalausgabe erschien 1988 bei Vaga, Vilnius unter dem Titel »Kazžkas, kažkaip, kažkur. Ironiškos miesto istorijos«.

      Die hier vorliegende deutschsprachige Ausgabe wurde ergänzt mit den bisher nicht in Buchform publizierten Geschichten »Homo nostro in der kapitalistischen Welt«, »Ist auch bei euch Frühling?«, »Unsere graue tschechische Handtasche«, »Besuch der behelmten Muse«, »Pressekonferenz« und »Gesetze werden unter Schmerzen entdeckt«.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

      in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

      Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

      E-Book-Ausgabe 2013

      Copyright © 1988-1999 by Teodoras Četrauskas

      Copyright © der deutschen Ausgabe 2001 by ATHENA-Verlag,

      Copyright © der E-Book-Ausgabe 2013 by ATHENA-Verlag,

      Mellinghofer Straße 126, 46047 Oberhausen

      www.athena-verlag.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

      ISBN (Print) 978-3-932740-86-2

      ISBN (ePUB) 978-3-89896-839-3

      Einleitung

      Mir scheint, dass die deutsche Ausgabe der »Ironischen Stadtgeschichten«, die meisten davon entstanden in den achtziger Jahren, ein paar vorauseilende Bemerkungen erforderlich macht. Keineswegs deshalb, weil ich nicht an meine neuen Leser glaube und der Meinung bin, sie würden ohne Einleitung nichts verstehen. Sie verstehen auch so, aber mit Einleitung vielleicht besser. Hinzu kommt, dass die Menschen im Westen seit jeher allerlei Dinge über die Sowjetunion wissen wollten, auf die dieses kleine Buch nicht ohne weiteres Antworten parat hat, und wenn, dann allenfalls indirekt.

      Beliebt sind Fragen wie die folgenden:

      – Habt ihr Litauer auch zu Hause russisch gesprochen?

      Die Antwort lautet: Nein. So vorbildliche Sowjetbürger waren wir nicht. Wären wir es gewesen, hätte sich die Unabhängigkeit vielleicht erübrigt, mitsamt allen Erörterungen, ob wir uns seinerzeit freiwillig unter Onkel Josephs Fittiche begaben oder ob ein gewisses Geheimprotokoll dies bewirkte. Ein so guter Bürger war, soviel ich weiß, nur Onkel Joseph selbst, der sprach zu Hause und auf der Arbeit nur russisch, obwohl er Georgier war.

      Dann ist er gestorben, wurde demaskiert und aus einem offenen Grab, sprich Mausoleum, in ein geschlossenes verlegt. Und seine Idee, alle mögen russisch sprechen, blieb unverwirklicht, wie so viele erhabene Ideen in diesem Land. Daher bedienten wir uns zu Hause, auf der Arbeit und auf der Straße des Litauischen, wenn auch vorsichtig, Konkretes vermeidend.

      Ständig hantierten wir mit jenem Irgendwas, Irgendwie und Irgendwo, um nicht grundlos aufzufallen.

      – Aber ihr habt doch beinahe gehungert damals, oder? Wenn man einen Blick in eure Kaufhäuser ...

      Gehungert? Wie hätten wir hungern können! Wir waren so etwas wie ein riesiger Offenstall der Union, führender Rind- und Schweinefleischlieferant für Moskau. In der Tat, in den Vitrinen hier waren dann häufig nur Rinderhufe zu sehen. Dafür hatte beinahe jeder einen guten Bekannten im Fleischkombinat, der die heiße Ware organisierte. Mein Nachbar Tolik etwa hat mich regelrecht erpresst, ihm wieder und wieder ein Stück Schweinelende abzukaufen. Die schmuggelten drei Frauen für ihn aus dem Kombinat, indem sie sich damit die Hüften polsterten. Jede von ihnen schaffte zwanzig Kilo, und zwar pro Tag.

      – Und wie war das mit der schweren, bedrückenden Arbeit?

      Was die Arbeit anbelangt, so war zu Sowjetzeiten ein Witz populär. Da kommen Japaner zu uns in eine Fabrik, es geht um die Einführung irgendeiner neuen Technologie. Nachdem sie sich kurz umgesehen haben, gehen sie wieder. Was denn los sei, werden sie gefragt. Antwort: Wir haben bemerkt, dass eure Werktätigen sich gerade in einem Bummelstreik befinden. Dabei haben die ganz normal Dienst geschoben ... Ich selbst kam gewöhnlich gegen elf in mein Verlagsbüro (Arbeitsbeginn war neun Uhr), begab mich dann erstmal in die Kantine, einen Kaffee zu trinken, und vielleicht noch einen Likör. Dann rauchte ich im Korridor und unterhielt mich über ein unverfängliches Thema. Hatte ich daraufhin eine halbe Stunde am Schreibtisch verbracht, war es Zeit, im Sportkomplex schwimmen zu gehen, Basketball zu spielen oder die Sauna aufzusuchen. Anschließend speiste ich im Restaurant, kehrte an meinen Arbeitsplatz zurück, hängte dort meinen Mantel auf und ging in die Kantine, einen Kaffee zu trinken, und vielleicht noch einen Likör. Dann rauchte ich im Korridor, während ich mich über ein unverfängliches Thema unterhielt, und nach einem weiteren Aufenthalt am Schreibtisch, es ging auf den Feierabend zu, bereitete ich mich auf das Nachhausegehen vor. Am Quartalsende war ich nicht selten Sieger im Sozialistischen Wettbewerb und wurde ausgezeichnet. Für 27 Rubel ging es dann in den Urlaub, nach Samarkant, Buchara oder sonstwohin, zur verdienten Erholung.

      – Wenn es so war, warum habt ihr dann diese Idylle zerstört? Wo alles zum Leben Nötige zu organisieren war, Café und Sauna zum Daueraufenthalt wurden, und dafür obendrein noch Prämien und Auszeichnungen winkten?

      Ja, warum eigentlich ... Vielleicht ist uns der Bummelstreik in Permanenz irgendwann langweilig geworden. Außerdem waren wir es müde zu klauen, was eigentlich ins Kaufhaus gehört, herzustellen, was niemand braucht, ständig mit jenem Irgendwas, Irgendwie, Irgendwo zu operieren oder Bücher herauszubringen, in denen auf fünfhundert Seiten eine negative Gestalt im Suff andeutungsweise die Wahrheit sagen durfte. (Ganz abgesehen von Büchern, in denen die Wahrheit überhaupt nicht vorkam.)

      Vielleicht auch wollten wir uns einfach mal ausprobieren.

      – Und wie ist es euch gelungen?

      Je nachdem. Dem einen besser, dem anderen schlechter. Mein Nachbar Tolik beispielsweise hat Pech gehabt. Jene Damen, die für ihn die Schweinelenden schmuggelten, sind entlassen worden. Ohnehin sind die Supermärkte voll davon und Moskau kauft nicht mehr. Brüssel wiederum winkt ab, weshalb unsere Bauern Straßensperren errichten. Aber sonst geht es nur aufwärts. Unsere Basketballer haben voriges Jahr in Sydney beinahe das US-»Dream Team« nach Hause geschickt. Gott sei Dank nur beinahe. Eine olympische Niederlage dieser Dimension wäre für die Amerikaner schlimmer gewesen als die in Vietnam. Und wir wollen doch einen stabilen NATO-Partner. Alekna hat den Diskus weiter geschleudert als Riedel oder Schultz, auch unsere Radrennfahrerinnen sind seitdem in aller Munde. Aber das kostet euch Deutsche bestimmt nicht den Schlaf.

      Ansonsten steht uns, was die Qualität des Biers angeht, weltweit der zweite Platz zu. Gut, dass es nicht der erste ist. Das wäre für euch dasselbe wie für die Amis, im Basketball ausgepunktet zu werden. Überhaupt geben wir uns zur Zeit kämpferisch. Unsere Militärs sind schon heute bereit, nordatlantische Bündnispflichten zu übernehmen. Wir warten aber, bis auch die Letten und Esten soweit sind. Schließlich wollen wir denen keine Komplexe bescheren.

      Was mich persönlich betrifft, so ist vom Sport einzig ein Drei-Kilometer-Crosslauf geblieben, dazu zwanzig Minuten tägliche Schufterei am »Torsotiger«. Die ganze übrige Zeit verbringe ich am Schreibtisch, selbst die Samstage und Sonntage. Aber ich beschwere mich nicht, habe es selbst so gewollt. Man muss sich ausprobieren, wenn man schon vom Homo sovieticus zum Homo sapiens befördert wurde. So verlege ich das eine oder andere Büchlein bei ATHENA, ganz ohne Aufsehen und in kleinen Auflagen, um meine Freunde Günter Grass, Otfried Preussler und Edgar Hilsenrath nicht in Unruhe zu versetzen.

      Irgendwas, irgendwie, irgendwo

       Es

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