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intim niemals das Licht dieser Welt erblicken wird.

      Die Renaissance der Raucherecke

      Am späteren Abend gleitet man durch die Stadt, magnetisch magisch schimmern Mond und Sterne, da und dort leuchtet eine Straßenlaterne, deren Widerschein zusätzliches Restlicht auf den Asphalt wirft. Weit sind Blick und Herz; man fühlt jenen spezifischen Trost, den nur die steinernen Städte spenden können. Den kühnen, klaren Linienwurf der Straßen möchte man auskosten und genießen – doch halt, was ist das? Die geraden Fronten der Häuser haben unförmige Ausstülpungen bekommen. Oder kleben Kokons an den Fassaden, wie gewaltige Spinnenbäuche, in denen Glühwürmchen wabern?

      Tritt man näher, riecht man, was man sieht: Raucher, Raucher im Rudel, vor Häusern zusammengepulkt. Gastwirtschaften sind es zumeist, in deren Nähe Rauchende lungern. Dafür hat kein Städtebauer Straßenzüge und Trottoirs erdacht, dass Knäuel und Haufen die Blickachsen verstopfen.

      Nota bene: Es ist nicht das Rauchen, das stört; es sind die Klumpen, zu denen die Rauchenden sich ballen. Selig und gepriesen oder doch wenigstens unkritisiert sei und bleibe der Einzelraucher. Aber alles, das den Menschen dazu bringt, als amorphe Masse aufzutreten, macht ihn zu einer Last für die Welt. Den Schrecken sportiver Massenveranstaltungen und der öffentlichen Religionsausübung ist nun auch noch das Draußenrauchen hinzugefügt.

      Rauchen ist keine Angelegenheit der Gesundheit, sondern eine der Ästhetik. Bei manchen Menschen sieht es unniederringbar gut aus, wenn sie rauchen. Humphrey Bogart und Lauren Bacall wären auch ohne ihre Filterlosen astrein gewesen – aber erst rauchend wurden sie Ikonen. Wie hinreißend war es, Peter Hacks ein Flüppchen nach dem anderen in seine Zigarettenspitze hineindrehen und ihn daran saugen zu sehen. Nicht allein, dass die Nikotinzufuhr seinen Geist sichtlich und hörbar scharf hielt, nahm mich für das Rauchen des Dichters ein; es war auch die Geste, mit der Glut der Zigarette in das Dunkel der Welt hinein zu leuchten.

      Jede Zigarette, die Marlene Dietrich im Film rauchte, ist bis heute ein Gegengift, mit dem man gesundheitsschluffige Wellness-Tanten und das ihnen innewohnende Anödungspotential erfolgreich vertreiben kann. Ich kenne Frauen, die aus Protest gegen den Gesundheitsterror sogar während der Schwangerschaft mit einer allerdings nicht angezündeten Zigarette im Mundwinkel auf die Straße gehen, um zu demonstrieren, dass sie nicht bereit oder gewillt sind, von der Frau zum volksgesunden Muttertier herabzusinken. Werden sie mit aggressiven Blicken und Worten bedacht, und, o ja, das werden sie, kontern sie so kühl wie zuckersüß, sie rauchten ja gar nicht, sondern hielten sich nur bereit für die erste Zigarette »danach«. (Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen in dem Aberglauben leben, Schwangere oder Frauen mit Kleinkindern dürften von jedermann angesprochen, belehrt und sogar angefasst werden, und die Frauen hätten das auch noch gern.)

      Ich rauche so gut wie gar nicht, doch der Satz »Ich bin Nichtraucher!« käme mir nie über die Lippen. Das hat so etwas pedantisch Auftrumpfendes und präpotent nachdrücklich auf sich selbst Stolzes: »Ich bin Nichtraucher.« Ist Nichtrauchen ein Beruf? Oder bittet der Satz um Vergebung dafür, dass sein Sprecher sonst nichts kann? Warum sich mit einer Sache brüsten, die man nicht tut oder nicht beherrscht?

      Doch auch Raucher geben Rätsel auf. Wenn man schon raucht – warum dann so etwas wie »Lord Ultra«? Nikotinfrei rauchen ist wie onanieren mit Kondom. Dass solche Verneinungen von Zigaretten nach abgebranntem Papiertaschentuch schmecken, kann jeder riechen, der in die Nähe eines light paffenden Rauchersimulanten gerät. Die paar Zigärrchen im Jahr, die ich mir gönne, halten mit ihrem erdigen Wumms die Erinnerung an Kuba wach. Und enthalten pro Dömmel auf einen Schlag soviel schöne Dröhnsubstanz wie vier Schachteln hastig und genusslos weggesogener Pseudozichten. Anderntags gilt dann wieder: Der Atemweg ist das Ziel.

      Selbstverständlich ist bei Rauchern oft Sucht im Spiel; viele möchten nicht rauchen, müssen es aber tun, weil sie es ihrem Stoffwechsel und ihren Nerven einstmals beigebracht haben und sich nicht neu programmieren können. Einen sah ich, der hatte solchen Schmacht, dass er sich sein Nikotinpflaster von der Glatze riss, es zusammenrollte und aufrauchte. Denn es geht ja nicht nur um die bloße Aufnahme des ersehnten und dringend benötigten Stoffs, sondern auch um die orale Befriedigung des Jiepers.

      Diese Befriedigung vollzieht sich nicht mehr privat oder im anheimelnden Milieu eines schönen Lokals, sondern schrappig draußen. Sodass es auf der Straße nicht nur schal und kneipig riecht, sondern vor allem unwürdig aussieht. Besonders arg ist es im Winter, wenn permanent auf und zu klappende Türen es ziehen lassen wie Hechtsuppe und die nach dem Stoß- und Zwangsrauchen wieder ins Innere zurück diffundierenden Draußenraucher den Hautgout von nassem Hund mitbringen, der in ihren Mänteln klebt und ihren Mündern entströmt. Lieber sollen sie drinnen sitzen und quarzen, wie sie es müssen. Dann könnte man, wenn es einem nicht passte, wenigstens selber hinausgehen – an eine frische Luft, wie es sie noch gab, bevor die Nichtraucherschutzverordnung in die Welt kam. Dort aber, draußen, herrscht unterdessen der Schrecken der Raucherecken: der gesellige Gestank.

      Rauchen ist mir ziemlich egal; ich mag nur nicht, wenn draußen pflichtgeraucht wird. Draußen kann man nicht lüften, denn draußen ist ja schon draußen.

      Drinnen soll meinetwegen alles beraucht werden: Mann, Frau, Hund oder anderes Hausgetier, und bitte auch die Zimmerpflanze nicht vergessen. Für Kinder aber gilt die alte Eltern-, Pastoren- und Pädagogenregel:

      Kinder darf man schlagen, quälen und missbrauchen.

      Doch niemals darf man, wo ein Kind ist, rauchen.

      Dies gebietet schon der Humanismus.

      Nur wer selber kreuzigt, lebt in Christus.

      Jesus aber, der erst auf Golgatha von seinen Folterern und Mördern zum Christus gemacht wurde, zum Gekreuzigten, Jesus hätte geraucht – jedenfalls so lange er noch eine Hand frei hatte.

      Auch literaturhistorisch trägt die absurde Draußenrauchverordnung peinliche und rückschrittliche Züge – setzt sie doch den pathetischen Nachkriegsdichter Wolfgang Borchert wieder ins Recht:

      Ist es nicht schön, wenn man den Abend durch hat

      und nur noch fragt: zu dir oder zu mir?

      Doch alle Raucher heißen Wolfgang Borchert

      denn sie stehen draußen vor der Tür…

      Happy bei »Happi-Happi«

      Sie heißen »Futterluke«, »Brutzel-Baude«, »Bei Mampf-Fred« oder »Plocken-Otto«. Appetitanregend klingt das nicht, und doch sind die Imbissbuden des Landes gut besucht. Am Geruch, den sie üblicherweise weiträumig abstrahlen und ausdünsten, kann das auch nicht liegen – es sei denn, der Besucher liebte die Vorstellung, als nicht nur kurz mümmelndes, sondern ewig müffelndes Mufflon zu leben. Was macht die Grillstation attraktiv? Warum sieht man so viele Männer hartnäckig an der Imbissbude stehen? Was treibt sie an, wer treibt sie dorthin? Sind sie unbehaust? Werden sie von Einsamkeit ausgehöhlt, diesem bösen Tier, vor dem sie in die Geselligkeit der Frittenbude fliehen?

      Vielleicht liegt die sirenenhafte Verlockungskraft der Bude aber im Gegenteil auch darin, dass sie nur ein ambulantes Zuhause bietet und nicht ein stationäres – in das so viele sich unbedacht selbst eingeliefert und abgekippt haben und aus dem sie, sobald die Erkenntnis ihrer Lage ihnen zuteil wurde, zu entweichen trachten? Nestflüchter sind viele unterwegs, vorwärts getrieben vom dringenden, oft lange aufgestauten Wunsch, dem allzu trauten Heim zu enteilen, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet. Und wie auch nicht? Der Bäcker bietet ein »Brot des Monats« an und hat ihm einen Namen gegeben: »Familienkruste«. Wer bei diesem bösen Wort mit F nicht Schrecken fühlt noch den Wunsch zu gehen, der fühlt nichts mehr, der hat es hinter sich. Familienkruste, das ist härter, als Kruppstahl je war oder sein könnte und gibt dem Menschen erst die Beine in die Hand.

      Mancher flieht auch vor aggressiver kulinarischer Aufrüstung in die Einfachheit der Imbisswelt. Beim Kaufhallenhöker Rewe wird eine »Expedition Genuss« angedroht. Und was ist, wenn man einfach nur einkaufen möchte? Geht das noch, oder muss man dazu einen Tropenanzug anlegen? »Feine Welt« heißt »die neue Genuss-Marke« von Rewe; feilgehalten werden unter

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