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des Staatskredits und das fiktive Kapital der kommerziellen Spekulation verschränken sich miteinander, die Schulden des einen Sektors werden mit Schulden des anderen Sektors »bezahlt« und das simulierte Wachstum nährt die Simulation. Der Dow-Jones- Index, das Börsenbarometer von New York, der gegenwärtig bei 4.700 Punkten steht, dürfte bei einer realen Bewertung nur etwa 1.000 Punkte betragen. Bei einer realen Bilanzierung ohne die fiktiven Werte würden in allen Ländern der Erde massenhaft Unternehmen zusammenbrechen. Auch politische Parteien, Provinzen, kom­munale Verwaltungen und kulturelle Institutionen haben ihr Geld auf den spekulativen Finanzmärkten angelegt und sind von der simulativen Geldschöpfung abhängig geworden. Es scheint unausweichlich, daß dieses globale Konstrukt zusammenbricht.

      Die Entwertung des substanzlosen Geldes kann durch Inflation oder durch Deflation geschehen; vielleicht werden sogar Inflation und Deflation in verschiedenen Sektoren parallel laufen. Daß der Schock einer weltweiten Entwertung bevorsteht, läßt sich an verschiedenen Indizien ablesen. Viele Länder der 3. Welt und des ehemaligen Ostblocks durchlaufen bereits Zyklen der Hyperinflation zwischen 100 Prozent (Türkei) und 1 Million Prozent (Ex-Jugoslawien). Das hat es niemals zuvor in Friedenszeiten gegeben. Im Westen häufen sich Bankrotte bei Immobilien und industriellen Unternehmen. Immer mehr Banken, Sparkassen und Versicherungen geraten in Schieflage, wie zuletzt der Fall der Londoner Baring-Bank gezeigt hat, die durch einen 29-jährigen Broker in den Zusammenbruch getrieben wurde.

      Auch die Krise des Weltwährungssystems weist darauf hin, daß die substanzlose Geldschöpfung an Grenzen stößt. Eines ist sicher: die modernen Geldmenschen aller sozialen Klassen wollen es nicht wahrhaben, daß eine totale Geldwirtschaft auf Dauer eine logische und praktische Unmöglichkeit ist. Trotzdem läßt die seltsame »Kultur der Simulation« ahnen, daß die kapitalistische Realität irreal geworden ist. Vielleicht ist es das stärkste Indiz für das Ende dieser Realität des Scheins, daß die Menschen des Geldes sich selber nicht mehr ernst nehmen und gar nicht mehr wissen, ob sie überhaupt noch wirklich existieren.

      DIE MASCHINE DER SELBSTVERANTWORTUNG

      Zur Geschichte der liberalen Ideologie

      Schon in seinem Namen nimmt der Liberalismus den Begriff der »Freiheit« für sich in Anspruch. Das liberale Pathos beschwört die Eigeninitiative und die Selbstverantwortung des Individuums. Im ersten Moment klingt das immer gut. Wer wollte diesen schönen Begriffen widersprechen? Aber natürlich wissen wir als aufgeklärte Geschöpfe der Moderne, dass man den Worten nicht trauen darf. Als George Orwell seine Negativ-Utopie »1984« schrieb, machte er keineswegs zufällig eine öffentliche Sprache zum Thema, deren Begriffe grundsätzlich das Gegenteil von dem sagen, was sie offiziell bedeuten. Soweit es sich dabei um eine rhetorische Form der Beschönigung handelt, ist diese Ausdrucksweise schon aus der Antike bekannt und wird »Euphemismus« genannt. Die alten Griechen bezeichneten ihre dämonischen Göttinnen der Rache, deren Haare züngelnde Schlangen waren, aus purer Angst als »die Wohlgesinnten«. Vielleicht ist der Begriff des Liberalismus in einem ähnlichen Zusammenhang entstanden.

      Um die Wahrheit über eine Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens herauszufinden, empfiehlt es sich immer, bis zu ihren Ursprüngen zurückzugehen. Der Liberalismus entstand als Opposition gegen die frühmodernen Militärstaaten der absolutistischen Monarchien und Fürstentümer im 17. und 18. Jahrhundert. Aber in derselben Zeit gab es auch noch eine andere, viel größere Opposition der Volksmassen, die mit dem Liberalismus gar nichts zu tun hatte. Und es ist sehr aufschlußreich, diese beiden Formen der Opposition zu vergleichen.

      Der Absolutismus hatte damals die erste Stufe der modernen kapitalistischen Produktionsweise herausgebildet, indem er für die Bedürfnisse seiner riesigen Militärapparate und Bürokratien die moderne Markt- und Geldwirtschaft entfesselte. Von der großen Mehrheit der Menschen wurde diese Entwicklung als ungeheuerliche und obszöne Repression empfunden. Denn der alte »einfache« Feudalismus hatte die bäuerlichen und handwerklichen Produzenten der agrarischen Naturalwirtschaft nur äußerlich angezapft: Sie mußten den Feudalherren einen kleinen Teil ihrer Produkte abgeben oder bestimmte Arbeiten für sie verrichten. Ansonsten aber wurden sie vom Feudalismus weitgehend in Ruhe gelassen. Auf ihren Feldern und in ihren Werkstätten konnten sie sich nach eigenem Gutdünken betätigen, und sie hatten ihre eigenen Institutionen der lokalen Selbstverwaltung.

      Der Absolutismus aber zerstörte diese begrenzte Autonomie und wollte die Menschen seiner zentralistischen Bürokratie unterwerfen, um sie bis aufs Blut auszusaugen und sie zum »Menschenmaterial« einer total fremdbestimmten abstrakten »Arbeit« unter dem Gesetz des Geldes zu machen. Gegen diese Zumutung setzten sich die europäischen Bauern und Handwerker mehr als dreihundert Jahre lang bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erbittert zur Wehr; und wenn sie in ihren zahllosen Revolten der Fahne der »Freiheit« folgten, dann meinten sie damit immer ihre soziale Autonomie sowohl gegen die Übergriffe der absolutistischen Bürokratie als auch gegen die Zwänge der neuen anonymen Märkte. Sie wollten nicht bis auf die Haut von einem fremden Prinzip bedrängt werden, sondern die Kontrolle über ihre unmittelbaren Lebensbedingungen behalten.

      Der Liberalismus dagegen war die Ideologie der ökonomischen »Macher« auf dem Boden der vom Absolutismus entfesselten anonymen Markt- und Geldwirtschaft selbst. Es waren die neuen, unter dem Absolutismus aufblühenden Finanzkapitalisten, die großen Übersee-Händ­ler und Kolonial-Spekulanten, die vom Staat beauftragten Betreiber der Arbeits-Zuchthäuser und Gefängnis-Manu­fakturen sowie die Besitzer oder Verwalter der Latifun­dien für den entstehenden agrarischen Weltmarkt, die sich den ersten liberalen Ideen zuwandten. Mit dem sozialen Freiheitsbegriff der revoltierenden Bauern und Handwerker hatten sie keinerlei Berührung. Im Gegenteil stimmten sie mit dem Absolutismus vollständig überein in dem Interesse, die Masse der Produzenten zum »Menschenmaterial« der Weltmärkte zu machen, sie von der Kontrolle über die Produktionsmittel zu enteignen und zu bloßen »Arbeitnehmern« unter dem Diktat des Investi­tionskapitals zu degradieren.

      Deswegen wären die frühen Liberalen nicht einmal im Traum auf die Idee gekommen, daß das »Menschenmaterial« der Marktwirtschaft irgendein eigenes Recht auf »Freiheit« haben könnte. Unter ihnen gab es sogar Sklavenhalter und Großgrundbesitzer, die gewaltsam Bauern von ihrem Land verjagten, um es in Viehweide zu verwandeln. Wenn sie von »Freiheit« sprachen, dann meinten sie damit immer nur ihre eigene ökonomische Bewegungsfreiheit als Investoren und »Unternehmer«, die sie durch die staatsbürokratische Bevormundung der absolutistischen Apparate eingeengt fühlten. Ihre Opposition gegen den Absolutismus hatte also einen ganz anderen Charakter als der soziale Widerstand der Produzenten. Deshalb machten sie auch immer gemeinsame Sache mit dem Absolutismus gegen die sozialen Revolten »von unten«. Der Konflikt der ursprünglichen liberalen Ideologie und ihrer Klientel mit dem »Gottesgnadentum« des absolutistischen frühmodernen Staates war immer nur ein relativer, innerkapitalistischer Familienstreit um die weitere Entwicklung der gemeinsamen Geschäftsgrundlagen.

      Schon in dieser frühen Kritik der auf ihre bürgerliche »Freiheit« bedachten kapitalistischen Herren-Individuen an der gesellschaftlichen Kontrolle durch den autoritären Herren-Staat ist allerdings eine eigenartige logische Verkehrung der Standpunkte festzustellen, die auf den irrationalen Charakter beider Seiten verweist. Nicht nur der frühmoderne und monarchische, sondern jeder Staatsabsolutismus (auch der spätere sozialistische und faschistische) will zwar einerseits die ökonomische Betätigung der Individuen einer umfassenden staatlichen Kontrolle unterwerfen; andererseits erhebt er damit aber auch den Anspruch, daß die menschliche Subjektivität, der mensch­liche Wille (in Gestalt des Monarchen, der Regierung, des »Führers« oder des Zentralkomitees) gewissermaßen »souverän« gegenüber dem System von Markt und Geld sein soll. Umgekehrt vertritt der Liberalismus zwar einerseits die ökonomische »Eigeninitiative« des kapitalistischen Individuums gegenüber dem Staat; gerade dadurch aber wird andererseits der Anspruch einer Souveränität des menschlichen Willens gegenüber dem System von Markt und Geld restlos aufgegeben. Dieses System verselbständigt sich also, es wird zum blinden Gesetz des Handelns und der Mensch zum Spielball »ökonomischer Strukturen« und ihrer ziellosen Dynamik.

      Schon Adam Smith, der Begründer der modernen ökonomischen Theorie auf liberaler Grundlage, verherrlichte das System der totalen Marktwirtschaft als eine Art »gött­liche Maschine«, gesteuert durch den blinden »selbst­­regulativen« Mechanismus der Preise.

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