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Portugal im allgemeinen ein stark negativer Saldo. Es bezahlte also mit dem reichlichen Gold aus seiner Kolonie Brasilien, was zur Verbreitung der Goldwährung in England beitrug ... Adam Smith ... konstatierte in seinem Werk ›The Wealth of Nations‹, dass der Vertrag als ein Meisterwerk der englischen Handelspolitik gefeiert worden sei und ›fast all unser Gold‹ aus Portugal komme« (Neue Zürcher Zeitung v. 24.12.2003).

      Auf der kapitalistisch einzig relevanten Ebene, der von abstraktem Wert und Geldmaximierung, blutete Portugal also eher aus; ähnlich übrigens wie die ehemalige Weltmacht Spanien. Der Niedergang der Kolonial- und »Goldmächte« Spanien und Portugal gegenüber England und Holland ist oft unter dem Aspekt beschrieben worden, dass in der nordeuropäischen und angelsächsischen Welt protoindustrielle Produktion, Produktivitätssteigerung und Exportstärke (in Vermittlung mit »protestantischem« Geist) ihre Überlegenheit gegen die bloß äußere iberische Kolonisation gezeigt und den lateinamerikanischen Goldschatz abgesaugt hätten, so dass dieser letztlich nicht Spanien und Portugal, sondern Holland und England kapitalistisch progessiv entwickeln konnte. Die reale Historie ist insofern ein Schlag ins Gesicht für Ricardos bis heute immer wieder hervorgekramtes Theorem. Im Sinne des »abstrakten Reichtums« (Marx) war Portugal der eindeutige Verlierer beim angeblich wechselseitigen »komparativen Vorteil«; und da die Bedürfnisbefriedigung auf der naturalen Ebene in kapitalistischer Form eben von der Bewegung des »abstrakten Reichtums« gesteuert wird, waren die sozialen »Nebenwirkungen« für die Portugiesen entsprechend verheerend:

      »Unter wirtschaftlichen Aspekten fühlte sich aber ... Portugal überlistet. Dies nicht nur, weil englische Textileinfuhren den heimischen Erzeugern zu schaffen machten. Vielmehr kam es auch zu einer Explosion des Weinbaus. Viele Landbesitzer kultivierten nicht mehr Getreide, sondern wegen der attraktiveren Preise Trauben. Es kam zu Überproduktion, Preisverfall und Hungersnot« (Neue Zürcher Zeitung, a.a.O.).

      Als Schulbeispiel taugt Ricardos historische Reminiszenz also eher für das genaue Gegenteil seiner Argumentation. Dabei ging es beim Methuen-Freihandelsvertrag wirklich nur um die einzelnen Waren Wein und Tuch; und selbst bei dieser Begrenzung auf ein enges Spektrum waren die Folgen für Portugal bereits ziemlich verheerend. Wenn aber das internationale Gefälle der Produktivität tatsächlich absolut und in großem Maßstab zunimmt, und wenn es nicht mehr nur einzelne Waren, sondern den gesamten Umkreis der Warenproduktion umfasst, also das allgemeine Produktivitätsniveau, dann hört der »komparative Vorteil« für die unterproduktive Nationalökonomie erst recht auf, selbst in der sozial disparaten Verteilung, und es tritt genau jener Mechanismus ein, wie er als Problem der »Unterentwicklung« die kapitalistische Geschichte begleitet hat: Eine zu große Masse an eigenem Arbeitsaufwand (und damit an ökonomischem Wert gemäß den eigenen Binnenstandards der Produktivität) muss gegen eine immer geringere Masse an fremdem Arbeitsaufwand (und damit an ökonomischem Wert) getauscht werden – jetzt nicht mehr bezogen auf einige einzelne Waren, sondern bezogen auf die gesamte gesellschaftliche Reproduktion, soweit sie in den Weltmarkt einbezogen ist.

      Und das wird sie zwangsläufig immer mehr, je stärker die binnenökonomische Kaufkraft zurückgeht. Geschieht dies in den entwickelten Nationalökonomien relativ, weil die Produktivität überproportional im Verhältnis zu den Geldeinkommen ansteigt, so geschieht dasselbe in den »unterentwickelten« Ländern absolut, und zwar genau umgekehrt deswegen, weil sie in der Produktivkraftentwicklung nicht mithalten können und dadurch die Geldeinkommen ihrer Bevölkerung immer weiter absinken. In beiden Fällen ist das Resultat die umso stärkere Weltmarktorientierung.

      Es handelt sich dabei um nichts anderes als jene Wirkung ungleicher Produktivitätsstandards ohne gemeinsamen Maßstab, wie sie sich schon anhand der Debatte über den »ungleichen Tausch« gezeigt hat: Das relativ unterproduktive Land wird nicht an seinem eigenen Standard, sondern an dem des produktiveren Landes gemessen (während Ricardo unterstellt, es gäbe im internationalen Warentausch überhaupt keinen Produktivitätsmaßstab mehr, was er nur suggerieren kann, weil er pseudo-naiv rein auf der naturalen Ebene statt auf der Verwertungsebene argumentiert).

      Indem auf diese Weise große binnenökonomische Arbeitsmengen auf dem Weltmarkt nicht als Werte anerkannt werden, muss die unterproduktive Nationalökonomie bei wachsendem Abstand der Produktivität und gleichzeitig wachsender Einbeziehung der Gesellschaft in den Weltmarkt relativ immer mehr arbeiten und bekommt dafür auf dem Weltmarkt relativ immer weniger Gegenleistung. Und da sich dieses Verhältnis natürlich in den Preisen ausdrückt, ensteht ein wachsendes Missverhältnis von Exportpreisen und Importpreisen (terms of trade), das nur durch Außenverschuldung (zeitweilig) ausgeglichen werden kann.

      Schon im frühen 19. Jahrhundert fand Ricardos »scharfsinnige« Milchmädchenrechnung energischen Widerspruch von Ökonomen anderer europäischer Länder, die von den Folgen der britischen Exportoffensive mit billigen Industrieprodukten (an erster Stelle Textilien) heimgesucht wurden. Vor allem der nationalistische deutsche Wirtschaftstheoretiker Friedrich List (1789-1846) zeigte, dass Ricardos Theorem der komparativen Kosten bei einem zu großen und das gesamte Produktionsniveau erfassenden Produktivitätsgefälle falsch war und verlangte daher Schutzzölle für die noch unentwickelte deutsche Industrie; diese sollten bloß vorübergehende »Erziehungszölle« sein, bis das Produktivitätsgefälle überwunden sei.

      Bekanntlich war dieser Weg im 19. Jahrhundert tatsächlich erfolgreich; aber nur deswegen, weil der Produktivitätsabstand zwischen England und den kontinentaleuropäischen Ländern noch nicht uneinholbar groß war. Im 20. Jahrhundert dagegen wuchs dieser Abstand zwischen den industrialisierten Staaten des kapitalistischen Zentrums und der globalen Peripherie bereits derart an, dass ein Anschluss an die Industrialisierung teils nur noch durch staatskapitalistische Abschottung (wie im Ostblock) und damit um den Preis langfristiger Stagnation für einige Jahrzehnte versucht werden konnte, teils aber überhaupt nur ein Wunschtraum blieb (wie in den meisten Ländern der so genannten Dritten Welt).

      Für die großen Weltregionen der Peripherie stellte sich die »internationale Arbeitsteilung« des Kapitals, von der Ricardo so geschwärmt hatte, schon während der Epoche des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils als die Degradation zu bloßen Rohstofflieferanten heraus, weil der klaffende Abgrund im Niveau der Produktivität jeden Versuch zunichte machte, mit eigenen Industrieprodukten konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt zu operieren. Die Mehrzahl der Länder auf der südlichen Halbkugel diente fast nur noch als Zulieferer jener Bodenschätze und Agrarprodukte, die in den kapitalistischen Zentren von Natur aus gar nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß vorhanden sind bzw. angebaut werden können.

      Aber bei einem Warenaustausch über den Weltmarkt von Erdöl und Erdgas, Kupfer, Uran usw. sowie Kaffee, Tee, Kakao, Bananen usw. einerseits und Autos, Fernsehern, Flugzeugen usw. andererseits konnte sich die Kluft nur immer weiter vergrößern und der Verfall der terms of trade für die zurückgebliebenen Länder nur immer dramatischere Ausmaße annehmen.

      Logischerweise mußte dies zweierlei bedeuten. Erstens wuchs die soziale Disparität in den Ländern der Dritten Welt parallel zur Kluft des Produktivitätsgefälles auf dem Weltmarkt und zum Verfall der terms of trade ebenfalls permanent an: Der Austausch von höherwertigen Industrieprodukten mit den Ländern des Zentrums schrumpfte zusehends auf eine sich ausdünnende Oberschicht zusammen, die gewissermaßen die Gesetze des Weltmarkts nach innen repräsentierte und exekutierte, während die Masse der Bevölkerung selber zum bloßen Rohmaterial für die Förderung der Rohstoffe degradiert oder schon damals »überflüssig« wurde. Zweitens sank der relative Anteil der peripheren Länder am Weltmarkt selbst bei absolut wachsender Weltmarktintegration schon während der Boomphase ab, während spiegelbildlich dazu die immer mühsamer zu bedienende Außenverschuldung anwuchs.

      Das ist allerdings erst recht keine bloße Theorie mehr, sondern praktische Welterfahrung über Jahrzehnte hinweg. Die Weltwirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts hat das Ricardosche Theorem der komparativen Kosten und »Vorteile« durch die Entwicklung der realen Beziehungen zwischen der relativ unterproduktiven Peripherie und den hochproduktiven kapitalistischen Zentren endgültig praktisch widerlegt, und zwar vernichtend. Deshalb waren die mehr oder weniger kritischen »Entwicklungstheorien« der 60er und 70er Jahre allesamt von diesem unabweisbaren Faktum geprägt, auch wenn ihre theoretischen Erklärungen (»ungleicher Tausch«) und praktischen Vorschläge

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