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      Alles, was Sie mit Hafer kochen können – Teil 1: Cranachan

      Konnte es sein, dass er noch immer das gleiche Gewicht auf die Waage brachte? MacDonald betrachtete seinen Regisseur inmitten des Trubels im Ocean Terminal skeptisch. Er aß ständig und sehr engagiert, legte aber niemals zu. Welch Ärgernis für einen barocken Menschen wie ihn, der gern einige Pfunde purzeln sehen wollte. Warum nur verhalf ihm die doppelte geistige Anstrengung als Food Journalist und Detektiv nicht dazu?

      »Mister MacDonald, können wir weiter? Wir sind erst im Erdgeschoss.«

      »Oh, tatsächlich?«

      Wie immer hatte Robertson es eilig, denn für die BBC mit ihren drakonischen Sparmaßnahmen war Zeit Geld. Zu leiden hatte darunter das gesamte Team. Das waren außer MacDonald zwei Kameraleute und nur noch zwei Träger von ehemals vier. Bei dieser Sendung musste er deshalb zum ersten Mal auf seinen allseits beliebten großen Sekretär verzichten. Der neue Schreibtisch war offensichtlich in der Kinderabteilung eines schwedischen Möbeldiscounters erstanden worden. Nach endlosen Diskussionen mit Robertson hatte MacDonald sich vordergründig in sein Schicksal gefügt. Doch aufgegeben hatte er beileibe nicht. »Hopp, hopp«, rief der Regisseur. Wollte er sie zu einem Dauerlauf animieren? Zu MacDonalds Glück schlurften die Packer träge durch die Mall. Sie schleppten nicht nur das Mobiliar, sondern auch noch dicke Rucksäcke, wie bei einem ausgedehnten Camping-Ausflug. Man konnte sich der Blicke aller Passanten im Ocean Terminal sicher sein. MacDonald hatte den Regisseur unauffällig in die Shopping Mall gelotst, weil er nebenher ein bisschen an seinem Fall zu arbeiten gedachte. Mrs Sinclair hatte erwähnt, dass sie den Major hin und wieder hier mit seiner Enkelin getroffen hatte. Robertson meckerte zwar ein wenig wegen der Drehgenehmigung, aber angesichts der kostenlosen Parkplätze in der Tiefgarage war die Sache schnell entschieden.

      »Mister MacDonald, ich will nicht hetzen, aber so langsam müssen wir uns sputen.«

      Neuerdings meinten viele Menschen, ihn in irgendeiner Form drängen zu müssen, Alberto, sein Kater, Karen, und nun auch noch der Regisseur. Er machte einen Schmollmund.

      Robertson, der seine Pappenheimer gut kannte, spürte, dass er zu weit gegangen war. »Wie ich Sie kenne, sind Sie wieder exzellent vorbereitet, Mister MacDonald?«

      »Sie haben den Hamper in meiner Rechten bemerkt?«

      »Aber ja.«

      »Er beherbergt eine kleine Kühltasche. Und diese wiederum unseren Cranachan.«

      »Sie wollen den Auftakt unserer Serie mit einem Dessert machen?«

      »Warum denn nicht?«

      »Endet ein Menü normalerweise nicht mit dem Nachtisch?«

      »Das kommt auf die individuellen Präferenzen an. Ich habe zum Beispiel einen Freund in den Staaten, der immer mit dem Dessert beginnt.«

      »In den USA?«

      »Exakt. Dort hat man auch die Mode mit den Baseball-Kappen aufgebracht, so wie Sie eine tragen. Was spielt es im Übrigen für eine Rolle, womit ich beginne? Die BBC kann doch die Sendetermine für die einzelnen Gerichte selbst auswählen. Strahlen sie diese Sendung einfach am Ende aus.«

      Angus Thinnson MacDonald war ein Superstar des Fernsehens und Robertson wollte es sich keinesfalls mit ihm verscherzen. »Ich bin ganz Ihrer Meinung«, antwortete er lächelnd.

      »Wo drehen wir?«, fragte MacDonald rhetorisch, denn er wusste sehr wohl noch, was er angeregt hatte.

      »Vielleicht direkt vor der Terrasse? Der Blick auf den Firth of Forth ist von dort prächtig.«

      »Sehr gerne. Eine vortreffliche Idee.«

      Inzwischen waren sie in der obersten Etage angelangt und die Packer bekamen Robertsons aufgestauten Ärger zu spüren. »Wird’s bald, die Herren! Dort hinten vor dem großen Fenster den Tisch für unseren Mister MacDonald aufbauen, zack, zack.« Die beiden Männer fürs Grobe schoben sich zu der riesigen Panoramascheibe. Wie aus dem Nichts tauchten zwei Gentlemen in dunklen Anzügen auf und schlängelten sich zwischen den Tischen der Restaurants durch. Ein Kobrapaar im Angriff. Zahlreiche Gäste duckten sich, weil sie einen Terrorangriff befürchteten. Die Propagandamaschinen der westlichen Regierungen haben in den vergangenen Jahren ganze Arbeit geleistet, dachte MacDonald. Bewegte man nur ein Rädchen im Getriebe des Alltags etwas langsamer, geriet alles ins Wanken. Wenn jetzt noch jemand zu laut hustete, würde das Überfallkommando der Polizei anrücken. Robertson verblüffte alle Anwesenden. Er stellte sich mit dem Rücken zur Glaswand und hob die Hände in die Luft wie ein erfahrener Krisenmanager. »Meine Damen und Herren, es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Wir sind von der BBC.« Den beiden Sicherheitsleuten des Einkaufszentrums hielt er kühn die Drehgenehmigung unter die Nase. MacDonald grinste. Da hatte der allzeit gut vorbereitete Regisseur in der Eile tatsächlich vergessen, sich beim Management im Erdgeschoss anzumelden! MacDonald schritt durch die Menge, die ihn fasziniert betrachtete. Es war nie verkehrt, sich in Harris Tweed zu kleiden.

      »Los, das muss alles viel schneller gehen«, wetterte der Regisseur.

      »Sie sollten die armen Menschen nicht zu sehr hetzen.«

      Robertson atmete tief durch. »Sind sie bereit?«

      »Freilich.« MacDonald betrachtete den mikroskopisch kleinen Sekretär skeptisch. Gewohnheitsmäßig strich er sich mit der Hand über die Vorderseite des Jacketts, machte den Rücken noch etwas gerader und sprudelte seinen Text heraus: »Cranachan, Damen und Herren, ist ein Dessert, mit dem man in früheren Zeiten besondere Ereignisse würdigte wie etwa eine erfolgreich eingefahrene Ernte. Es nimmt nicht Wunder, dass dieser Nachschlag aus den kräftigsten Zutaten besteht. Als da wären: dicker Joghurt, Sahne, Heidehonig, schottischer Whisky, Himbeeren und natürlich Hafer, der Star unserer neuen Reihe.«

      Bereits eine Stunde später hatte Mister Robertson die Szene zu seiner Zufriedenheit gefilmt. Sie standen im Erdgeschoss und unterhielten sich. Der Regisseur konnte sein Glück kaum fassen und bedankte sich überschwänglich. MacDonald tätschelte ihm väterlich die Schulter. »Ist schon gut. Es war mir wieder einmal ein Vergnügen.«

      »Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen, Mister MacDonald?«

      »Zu freundlich. Doch bin ich in meinem eigenen Automobil angereist und, die Gelegenheit beim Schopf packend, möchte ich noch ein wenig durch die Mall schlendern.«

      »Wir sehen uns beim nächsten Dreh?«

      »Sicher. Ich wünsche Ihnen eine schöne Heimfahrt, mein Guter.«

      Wenn man ihn gefragt hätte, was genau er im Ocean Terminal zu finden hoffte, wäre er eine präzise Antwort schuldig geblieben. Mrs Sinclair hatte gesagt, dass der Major seine Enkeltochter hin und wieder hier verwöhnt hatte. Nun, Angus, er wird aber kaum mit der Kleinen hier hereinspazieren, nur weil du zugegen bist, belehrte er sich. Unvermittelt fühlte er sich geschwächt. Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und im Virginia Grill eine Kleinigkeit genießen, Angus! Mit seinem Hamper in der Hand eilte er wieder zur Rolltreppe. Er nahm einen Platz am Fenster ein, bestellte sich einen saftigen, hausgemachten Cheeseburger mit Pommes Frittes und ein Gläschen Weißwein, weil der bekanntermaßen wenig Kalorien hatte. Auf der Meerenge schob sich ein überlanges Schiff vorbei. Der Himmel war tiefblau und ein bisschen schien sogar die Sonne. Bislang also ein rundherum fabelhafter Tag in Edinburgh. Nach dem Essen nahm er noch einen doppelten Espresso. Wie Karen ihm berichtet hatte, war die zweite Säule im Programm der Abspecker die Bewegung. Er wedelte mit beiden Armen nach der Rechnung, legte ein großzügiges Trinkgeld auf den Tisch und schlenderte zur Treppe, als er ein bekanntes Gesicht sah. »Major!« Der Gentleman ging weiter und klopfte sich dabei immer wieder die Faust auf den Magen, wie im Ritual eines Indianerstammes. »Major Lockhart, hier oben. Sehen Sie mich?« Offensichtlich tat er das nicht. Oder er stellte sich taub. Bis MacDonald mit dem Hamper in der Hand unten angelangte, hatte er das Gebäude bereits verlassen. Was mehr als ärgerlich war, denn zu gern hätte er gewusst, was Lockhart hier zu tun hatte.

       »Wenn etwas bedauerlicher ist als die andauernde Mittellosigkeit der Armen, dann die böse Selbstsucht der Reichen.«

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