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sich schließlich um das Nonplusultra der Schiffsbaukunst.

      Und ich hab‘ damals ja auch die Schnauze nicht aufgemacht. Auch ich war todsicher, dass die Titanic todsicher ist. Und wie‘s aussieht, nach dem Klatsch vor den Eisberg, stimmt‘s ja auch. Zumindest gibt es zunächst mal, zunächst mal keinen Grund, vom Gegenteil auszugehn. Selbst nach dieser schweren Frontalkollision liegt sie ja noch einigermaßen im Wasser, dümpelt zwar wie eine kopflastige Weihnachtsgans, aber kommt vorwärts.

      Ich war mir jedenfalls an diesem 2. April todsicher. Bis zu jenem Zeitpunkt, als wir – aber das war dann schon nach dem offiziellen Teil der Prüfung; Smith, Ismay und die andern hohen Herren waren schon abgezogen, um ihr wohlverdientes Arbeitsessen einzunehmen –, als Lightoller, Andrews und ich uns noch einmal in den Schiffsbauch begaben. Und Andrews als Chefkonstrukteur wies uns mit stolzgeschwellter Brust darauf hin, dass man es sich sogar habe leisten können, mittschiffs und vorschiffs teilweise auf Vollschotten zu verzichten. Was selbstredend eine nicht unerhebliche Kostenersparnis eingebracht habe.

      »Da vorne zum Beispiel«, schwärmte er, »vor allem die Schotten zwischen den Kesselräumen mussten nicht ganz bis oben zum Hauptdeck hochgezogen werden. Und sind trotzdem sicher! Und grade für die Erste-Klasse-Passagiere – im Kabinentrakt, der Empfangshalle und ihrem Speisesaal – konnten wir auf diese Weise erreichen, dass sie nicht am weit ausholenden Defilieren gehindert werden.«

      Lightoller und ich nickten begeistert. Und Andrews war in seinem Element. Er lotste uns zu den Frachträumen ganz unten zwischen Vorpiek und Kesselraum 6 und zeigte uns, dass nachträglich – also über die ursprünglichen Baupläne hinaus – unter Frachtraum 2 und 3, direkt überm Doppelboden, ein Betriebsgang eingezogen worden war, der sogenannte Heizertunnel.

      »Eine gravierende Verbesserung gegenüber der Olympic«, wie Andrews betonte, »denn so können die Heizer, die Kohlenzieher, die Schmierer, was für Dreckspatzen auch immer, von den Passagieren ungesehen von ihren Logis im Vorschiff zum Einsatzort in den Kesselräumen gelangen. Und vor allem zurück. Schmuddelig, wie sie sind.«

      »Aber«, fragte Lightoller erstaunt, »aber geht der Heizertunnel dann nicht durch mindestens zwei Rumpfkammern? Wie vereinbart sich das denn dann mit der Abschottung?«

      Andrews winkte lässig ab und verwies darauf, dass der ganze Bugbereich ja eh so stabil sei, dass im Falle eines Falles mehrere Abteilungen gleichzeitig ordentlich Wasser schlucken könnten, ohne dass das Schiff davon Magenschmerzen bekäme.

      Als ich nach dem nun also doch noch lang gewordenen Tag von Bord ging, verspürte ich trotzdem ein diffuses Grummeln in der Magengegend. Verzicht auf Vollschotten in zentralen Bereichen des Rumpfes? Ein Heizertunnel, der nicht bündig ans Schottenverschlusssystem gekoppelt war?

      Es ließ mir keine Ruhe, und als ich mir zwei Tage später ein Herz fasste und Smith darauf ansprach, bedeutete mir dieser, er wisse selbstverständlich um diesen Umstand. Aber die Abnahme sei ja nun durch, ohne Beanstandungen, und er habe jüngst noch mal diesen Artikel nachgelesen, dort stehe es schwarz auf weiß: Die Titanic sei unsinkbar. Also. Oder wolle er, Murdoch, es den Erste-Klasse-Reisenden zumuten, dass ihnen bei jedem Schichtwechsel die schweißverklebten, schwarzverrußten Leiber der Heizer übern Weg laufen, wenn diese nach getaner Tat zu ihren Kojen zurückkriechen!

      Ich zeigte mich beruhigt. Ob ich wirklich beruhigt war, weiß ich nicht genau. Jedenfalls schwieg ich. Und irgendwann bei der ganzen Aufregung um den bevorstehenden Aufbruch zur Jungfernfahrt vergaß ich die Sache wohl auch. Schob sie jedenfalls so weit in mein Hinterstübchen, dass sie mir nicht mehr in die Quere kam.

      Jetzt aber, in der Situation jetzt, verdammt, kann die Sache durchaus brenzlig werden. Wenn der Alte sich erinnert, dass ich mich zumindest mit dem Verdacht rumgetragen habe, das Sicherheitssystem des Kahns könnte Schwachstellen aufweisen, dann weiß er, dass ich ihm und den andern hohen Herren gefährlich werden könnte. Und dann wird‘s für mich gefährlich! Und zwar hochgradig. Werde ich mir sozusagen selbst gefährlich.

      Schließlich geht es um wahre Unsummen von Geld und einen gigantischen Imageschaden. Wenn ich mich nicht selbst gleich hier an Bord aus dem Leben schieße, dann werde ich wohl jede noch so überzogene Wette drauf halten können, dass ich noch vor dem ersten Anhörungstermin der Untersuchungskommission aus dem Weg geräumt sein werde. Von den Helfershelfern der Figuren, die ein fulminantes Interesse daran haben, dass ich keine, aber auch gar keine Aussage zum Schottsystem der Titanic mache! Nicht dass die ganze Chose der Werft, der Reederei und den amtlichen Schiffskontrolleuren auf die Spreiz-, Senk- und Plattfüße fällt!

      - . -

       8

      Das ist … das fühlt sich an wie … wieso knistert da … das ist Papier. Was hat ein Papier in der Brusttasche meines frisch gebügelten, grade auseinandergezupften Hemds verloren? Wer hat das da reingesteckt und wie? Ich jedenfalls nicht. Wüsste ich. Müsste ich doch wissen. Ich stecke mir doch keinen Zettel ins Hemd, wenn‘s grade aus der Bügelstube … eine von den Büglerinnen? Jedenfalls eine Frauenschrift auf der Rückseite des säuberlich zusammengefalteten Blattes: »Mr Murdoch persönlich«. Na ja, aber sicher doch, das Postgeheimnis ist uns heilig. Wir befinden uns schließlich an Bord eines Royal Mail Ships. Haha, sehr witzig, William. Jedenfalls handelt es sich bei dem Wisch nicht um einen Geheimbrief an den Gefangenen Murdoch. Ziemlich sicher, dass das Ding vor der Havarie, und also bevor sie mich festgesetzt haben, in meiner Hemdtasche landete. Danach hat bloß noch Lightoller den Hemdenstapel in der Hand gehabt, als er nach der Festnahme meine sieben Sachen zusammenraffte und mir hier runter in die Haftkabine brachte. Aber Lightoller hat keine Frauenschrift.

      Was also will eine Büglerin mir stecken? Kann mir mal einer sagen, wieso die ihren Namen nicht nennt?! Zur Besatzung gehören, wenn ich recht informiert bin, dreiundzwanzig Frauen. Keine Ahnung, welche Tätigkeitsfelder die beackern. Bügeln, nehm ich mal schwer an. Und absolut keine Ahnung, welche von denen jetzt noch an Bord sind und welche inzwischen mit der Olympic unterwegs sind. Richtung Festland.

      Dorothy. Das war unter Garantie diese immer breiter grinsende Dorothy – ist die nicht die Vorarbeiterin der Waschfrauen und Büglerinnen? Jedenfalls kein Kunststück für so eine, meinem Hemd einen Zettel unterzujubeln. Aber, bei aller Liebe zum Personal, was hab‘ ich mit denen zu schaffen? Anmaßend, natürlich, eine Frechheit, ich meine, ich leg ja nicht sonderlich Wert auf Standesgrenzen, Sitten und Dings, aber alles was recht ist, also ein bisschen Contenance kann nicht verkehrt sein. Ich meine, ich gehöre, gehörte immerhin zu den höchsten Offizieren. Master next Master next God. Oder die Stenotypistin, ist das deren Schrift?

      »... jedesmal wenn ich Sie zufällig auf Deck oder über den Gang gehen sehe, bleibt mir das Herz stehen ...« He, holla, das nenn ich geraderaus! Die hat Mumm, Mann. Für eine Frau ordentlich Mumm! Und dann noch als Waschweib, na ja, gehobenes Waschweib. Und keinen Rechtschreibfehler. Also vielleicht doch Tippse oder was. »... und es kam in den letzten paar Tagen gar nicht so selten vor, dass ich Sie in Ihrer stattlichen Uniform und mit durchgedrücktem Rücken ...« Dacht‘ ich‘s mir doch, das ist es. Das Übliche. Eine Uniform ist für ein Weibsbild einfach ein Magnet und bleibt einer. Manchmal glaubt man nicht, wie einfach die Welt gestrickt ist. Ein anonymer Schmachtbrief an den Träger einer schmucken Uniform. Vielleicht ist der einsame Seebär mit steifem Kragen und geschniegeltem Revers ja noch zu haben. Am Hungertuche jedenfalls wird die Verehrerin, so sie ihn an Land gezogen bekommt, nicht nagen. Und auch dass der alte Nörgelfritze 80% seines Lebens unterwegs auf den Tümpeln dieser Welt ist, muss ja nicht unbedingt von Nachteil sein. Kann die Frau ihr Leben leben und keiner redet ihr rein. Aber jetzt, wo sie jetzt weiß, der Angebetete, Mister Murdoch hockt auf seiner Haftpritsche und starrt in den Spiegel der Einsamkeit, arrestiert, um sich Gedanken zu machen über die Geschicke der christlichen Seefahrt, festgesetzt, damit er ein ums andre Mal die Havariesekunden Revue passieren lässt und sich das Hirn zermartert, unter dieser Voraussetzung würde die holde Verehrerin sich wahrscheinlich am liebsten ein Monogramm in den Hintern beißen wegen ihrer forschen Avancen. Schließlich hätte sie für einen Häftling unter zigfachem Tötungsverdacht garantiert keine Anstrengung unternommen, sich ranzuschmeicheln, ranzuschmeißen, ein noch so winziges Zettelchen in seine Haftkabine zu schmuggeln. Schon den Bleistift in Bewegung zu setzen, wäre zu viel des Guten.

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