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Chambre séparée gemacht. Nur die drei. ›Eine Art Strategiebesprechung‹, hatte der Alte mir gesagt, darum ginge es. Und wie er rauskommt, hat er diesen stieren Blick. Und da wusste ich: Der hat das ›Blue Ribbon of the Atlanic‹ im Visier. Wie ein Esel die Möhre, die vor seiner Nase an der Angel baumelt.«

      »Sind doch alles wüste Spekulationen! Wieso«, setzte Lightoller nach, »wieso wissen wir nichts davon? Warum sollte man uns das vorenthalten haben?«

      Ich blieb die Antwort einstweilen schuldig. Der Steward näherte sich soeben unserem Tisch und servierte den, ich schätze mal: dritten Gang. Wir strichen unsere Servietten auf dem Schoß glatt, nahmen Messer und Gabel in die Hand und beugten uns über die Teller. Unsere Blicke trafen sich. Lightollers Gabel mit dem fasrigen Stück Lammhüfte – richtig, Lammhüfte, Lammhüfte an Minzsauce, wobei wir, natürlich ohne es zu ahnen, so was wie die Vorkoster für eins der nächsten Erste-Klasse-Menüs waren –, Lightollers Gabel blieb in der Luft hängen.

      Ich bohrte ihm meinen Blick in die Augen. »Die Titanic ist doch für so eine Rekordfahrt technisch überhaupt nicht geeignet!«

      »Sag ich doch«, kam es von Lightoller, »also bitte!«

      »Ja. Und eigentlich gilt, wie du weißt, auch das Augenmerk der White Star schon längst nicht mehr Temporekorden, sondern Pünktlichkeit und Komfort. Und stattlichen Passagierzahlen.«

      »Du sagst es«, Lightoller grinste oberwasserglücklich, »wann war das, ‘90 oder so was, 1891/92, wenn mich nicht alles täuscht, da hat die Teutonic zum letzten Mal das ›Blaue Band‹ für die White Star Line geholt. Und anschließend hatten die auf gut Deutsch die Schnauze voll. Hat sich die Reedereidirektion aus diesem irrsinnig teuren Vergnügen zurückgezogen. Schluss mit der Jagd gegen die Zeit.«

      »Und ich sag dir: trotzdem! Wir sind trotzdem auf Kurs ›Blaues Band‹! Die müssen doch sehn, wie sie den Kahn wieder flottkriegen.«

      »Welchen?«

      »Na, die Reederei. Die Gerüchte dürften doch wohl nicht spurlos an dir vorübergegangen sein, dass die White Star kurz vorm Bankrott steht. Haben sich schon mit der Brittanic und der Olympic finanziell ordentlich überhoben, wie viel weniger hier mit diesem Äppelkahn. Und nicht mal die Jungfernfahrt jetzt ist ausgebucht: 1300 Passagiere zu wenig! Die müssen ganz dringend was an ihrem Image tun. Also versuchen sie‘s jetzt doch noch mal mit dem ›Blauen Band‹. Könnt‘ ich mir vorstellen. Auf jeden Fall: Smith. Der will das Ding holen. Ich hab‘ seinen Blick gesehn. Und Werft und Reederei, vorneweg natürlich Lord Pirrie und Ismay, kannst du Gift drauf nehmen, die würden nichts dagegen haben.«

      »Seit fünf Jahren, Will, das ist jetzt fünf Jahre her, wo genau diese beiden Herren der Schöpfung das neue Konzept ausgebrütet haben: neue Größenmaßstäbe unter Beibehaltung bewährter Technik.«

      »Stimmt auffallend. Woran du sehen magst, dass es nach wie vor um Rekorde geht. Vielleicht nicht mehr Geschwindigkeit, aber: größer, länger, schöner. Rekorde um der Rekorde Willen. Aber was in den Augen von Commodore Smith zu lesen war, als er von diesem konspirativen Treffen mit unsern beiden Leithammeln kam, das war eindeutig das Flirren der Geschwindigkeit. Ich meine, er heißt ja nicht von ungefähr der ›Sturmkönig‹, drosselt so gut wie nie die Geschwindigkeit wegen irgendwelcher Witterungsbedingungen. Kann durchaus sein, dass die drei Herren über die sieben Weltmeere beschlossen haben, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, also Größenrekord – der war unsrer Titanic ja nun mal gewiss, das hatten schon sämtliche Zeichentische versprochen – Größenrekord zu verbinden mit Geschwindigkeitsrekord!«

      »Aber das wäre ja mörderisch, diesen Riesenpott hier ständig am Limit fahren zu lassen. Noch dazu mitten im Eismeer.«

      »Wäre es, Lightoller, wäre es. Ist es!«

      Wir mussten die Lautstärke drosseln, wir waren längst nicht mehr die Einzigen in der Offiziersmesse. Und als schließlich Pitman und Boxhall am Nachbartisch Platz nahmen, wechselten wir zum Lieblingsthema aller Seeleute, weil es am weitesten weg ist: Frauen. Aber was haben wir, verdammt, mir fällt partout nicht mehr ein, was wir außer diesem, na ja, sagen wir‘s vornehm: zähen Luder von einer Lammhüfte gegessen haben.

      Ich hab‘ Kohldampf, Leute, ich brauch was zu essen!

      - . -

       7

      Das waren noch andere Zeiten. Ganz andere. Wie wir – tja, wann war das? Drei Tage nach dem Stapellauf und acht Tage vorm Auslauftermin, müsste es also am zweiten gewesen sein, 2. April, ja, im North Channel, Belfast war fast die ganze Zeit in Sichtweite –, wie wir also die offizielle Probefahrt absolvierten. Acht Stunden waren dafür angesetzt, acht Stunden und keine Minute mehr! Kärglich, gradezu lächerlich knapp bemessen fürs Überprüfen von Tausenden von Maschinen, Apparaten, Stationen, Schaltstellen und Knotenpunkten, sowohl einzeln als auch im zuverlässigen Zusammenspiel. Wie wollte man allen Ernstes in acht Stunden das größte Schiff der Welt in allen entscheidenden Details auf Funktionstüchtigkeit, Betriebssicherheit, auf Herz und auf Nieren prüfen?! Ein Witz!

      Aber alle waren sich vollkommen sicher, dass Kontrolle und Übergabe so was von reibungslos über die Bühne gehen würden, nachdem ja schon Monate vor der Inbetriebnahme die gesamte Fachpresse euphorische Lobgesänge auf die gigantischen Dimensionen, den Fahr- und Reisekomfort und grade auch auf die den üblichen Standards genügende Sicherheitstechnik angestimmt hatte. Fünfzehn Schotten inklusive zwölf bei einströmendem Wasser automatisch schließender Schutztüren auf dem Tank-Top-Deck trennen den Dampfer in sechzehn wasserdichte Abteilungen – was will man mehr! Immerhin garantiert diese Konstruktion den Zwei-Kammern-Standard, also die Tatsache, dass bei Flutung von zwei nebeneinanderliegenden, in etlichen Fällen sogar von drei nebeneinanderliegenden Rumpfkammern die Schwimmfähigkeit nicht gefährdet ist. Ein Standard, den die Titanic, wie die Konstrukteure gebetsmühlenartig immer wieder beteuerten, um ein Mehrfaches überflügle. Und damit nicht genug: Im Heckbereich würde uns das Wasser selbst dann noch nur bis Oberkante Unterlippe stehn, wenn die hintersten vier Abteilungen vollgelaufen sind. Zumindest würden wir uns etliche Stunden über Wasser halten und Passagiere und Mannschaften geordnet evakuieren können. Sofern nicht auch noch Sturm dazukommt.

      Im Übrigen bestehen die Schotten aus dreieinhalb bis sechs Zentimeter dicken Stahlplatten und die Kammerwände und Türsysteme sind auf eine Notfallbelastung von vierzehnhundert Zentnern Druck pro Quadratmeter ausgelegt. Kann doch einfach nur halten! Außerdem, ich meine, wir hatten ja alle dieses grandiose Vorbild vor Augen: unsere Olympic. Fast baugleich und seit einem Dreivierteljahr auf See unterwegs. Und mit allen Wassern gewaschen. Immerhin war sie bereits bei ihren ersten Fahrten vom Pech verfolgt: Zuerst verliert sie ein Schraubenblatt, und dann, letztes Jahr im September, kollidiert sie mit dem Kreuzer Hawke. Die anschließende dreimonatige Reparatur hat ja auch die Fertigstellung der Titanic verzögert. Aber bei all dem zeigte sich doch immer: Die Olympic hält und schwimmt! Also müssen beim Schwesterschiff acht Stunden ja wohl satt und genug sein, um die Controllettis und uns von der Seetauglichkeit des Nachens zu überzeugen.

      In Wahrheit war in der Kürze der Zeit, wie gesagt, ein gründliches Austesten der Manövrierfähigkeit, geschweige denn des Verhaltens der Maschinen unter Volllast überhaupt nicht zu machen. Und um mal wenigstens ein Manöver ansatzweise durchzuführen, gab der Alte den Befehl, ein paar wenige Rettungsboote auszuschwingen. Grade man zwei davon wurden sozusagen spaßeshalber mit einer Hand voll Leute besetzt und bis knapp über die Wasseroberfläche abgefiert. Kein Feuerlöschmanöver, kein Bootsmanöver! Warum auch? Man hatte ja die Bootszertifikate der Werft. Musste Sicherheit genug sein. Gut nur, dass die Rettungsboote bei unserer Havarie gestern nicht wirklich zum Einsatz kamen und ihre erste Bewährungsprobe nicht gleich im Ernstfall bestehen mussten.

      Es gibt jedenfalls kein Vertun: Ein ausgewachsenes Rettungsmanöver mit der gesamten Besatzung auf offener See wäre absolut unerlässlich gewesen. Wie bei andern Schiffen dieser Größenordnung auch hätte eine Seeerprobung von vier bis sechs Tagen angestanden. Und nicht so ein Acht-Stunden-Durchmarsch im Hochgalopp. Und eigentlich hätten, schon um den üblichen Gepflogenheiten Genüge zu tun, Harland & Wolff vor der Übergabe und White Star vor der Übernahme unangekündigte, mindestens stichprobenartige

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