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Mörderischer Rollback. Heide-Marie Lauterer
Читать онлайн.Название Mörderischer Rollback
Год выпуска 0
isbn 9783946435105
Автор произведения Heide-Marie Lauterer
Жанр Языкознание
Серия Vera Roth
Издательство Bookwire
Wenn wir beide abends zu Hause waren, machten wir es uns auf dem Sofa gemütlich. Maxi kuschelte sich in eine Decke, ich setzte mich zu ihr, sie hielt mir ‚Die Abenteuer des Tom Sawyer‘ unter die Nase, die sie beim Auspacken meiner Bücherkiste entdeckt hatte. „Lies mir was vor!“
„Tom – keine Antwort. Tom! – Tiefes Schweigen. Möchte wissen, wo der Bengel wieder steckt! To–om!“ Die Stelle wurde bei uns zum geflügelten Wort; wenn ich Maxi im Stall oder sonst wo suchte oder sie mich, riefen wir zum Spaß ‚Tom!‘ Und wenn sie oder ich nicht gleich auftauchten, fügten wir hinzu: ‚Tiefes Schweigen’, was uns regelmäßig zum Lachen brachte. An diesen Abenden verwandelte sich Maxi in das kleine Mädchen, das sie bei ihrer Mutter nie hatte sein dürfen.
Dass sie nicht wirklich zufrieden war und ihr der tägliche Umgang mit Alles Paletti fehlte, konnte ich gut verstehen. Immer öfter erzählte sie mir, was sie nach ihrem 16. Geburtstag alles machen wollte. Erst einmal fieberte sie ihrem 14. Geburtstag entgegen. Dann wären es nur noch zwei Jahre bis 16 und dann finge das an, was sie das ‚richtige Leben‘ nannte. Sie hatte sich über ihre neuen Rechte informiert und wollte spätestens einen Tag nach ihrem Geburtstag nach Amerika fliegen um auf einer Working Ranch zu arbeiten, den ganzen Tag im Sattel sitzen und den Cowboys helfen. Abgesehen davon kam sie jede Woche mit neuen Ideen, die immer abenteuerlicher wurden. Das letzte Mal hatte sie auf einem Rettungsschiff im Mittelmeer anheuern und Ertrinkende aus dem Meer fischen wollen. Und davor hatte sie sich auf einer Alm in den Schweizer Bergen zusammen mit den Tieren einschneien lassen wollen. Oder sie wollte sich einer radikalen Tierschutzgruppe anschließen, die eingepferchte Schweine befreite. Maxi liebte Geschichten, da waren wir uns ähnlich.
Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit meiner traurigen Lage abzufinden. Und das bedeutete zuerst einmal Arbeit und noch einmal Arbeit, was mich immerhin davon abhielt, mich in meinem Elend einzurichten.
Ich nahm alle möglichen Aufträge als Ghostwriterin an, schrieb Bachelor-Arbeiten für alleinerziehende Studentinnen oder die Lebensgeschichten reicher alter Leute, die vor Eitelkeit platzten und nicht wussten, wohin mit ihrem Geld. Nach Feierabend schrieb ich manchmal auch kleine Geschichten, in denen ich meiner Phantasie freien Raum ließ. Sie handelten meistens von Reiterinnen, die sich durch irgendwelche Zufälle und Schicksalsschläge in ihren kühnsten Träumen wiederfanden. Eine von ihnen wurde von einer Nomadenfamilie in Kasachstan adoptiert und ritt mit ihnen durch die Steppe von einem Weidegrund zum anderen. In einer anderen erbte die Protagonistin sehr viel Geld von einem entfernten Verwandten, der auf einer Kreuzfahrt im Swimmingpool ertrank. Mit dem Geld erfüllte sie sich einen Lebenstraum: Sie baute ein Reitzentrum auf und heiratete ihren 20 Jahre jüngeren Reitlehrer. Zugegeben, die Geschichten waren nicht besonders originell, doch sie boten mir kleine Fluchten, die mich für die Zeit des Schreibens meine ausweglose Lage vergessen ließen. Ich schickte die Geschichten an alle möglichen Wettbewerbe, und hoffte jedes Mal aufs Neue auf einen kleinen Geldpreis, ich erhielt jedoch nie eine Antwort, nicht einmal eine Eingangsbestätigung.
Nebenbei machte ich eine Online-Ausbildung zur Privatdetektivin. Die Idee, mit dem Schnüffel-Job Geld zu verdienen, ließ ich bald wieder fallen. Ich hatte keine Lust den Rest meines Lebens in Kaufhäusern hinter Vorhängen von Umkleidekabinen herum zu stehen und Mädels in Maxis Alter beim Klauen zu erwischen. Der Basiskurs ‚Grundbegriffe‘ war trotzdem hilfreich. Ich lernte neue Recherchemethoden kennen und bewegte mich problemlos im Darknet, was meinen Geschichten Pfiff gab. Manchmal konnte ich sogar eine Geschichte an die Tageszeitung verkaufen.
Ohne meinen ‚nine to five‘-Bürojob konnte ich mir immerhin meine Arbeitszeit frei einteilen. Für eine Pferdefrau wie mich war das ein entscheidender Vorteil. Im Grunde hätte ich jetzt viel Zeit für meine Pferde gehabt, doch nun fehlte mir das nötige Kleingeld für mein teures Hobby. Ich musste an Gerson denken, der immer, wenn er wütend auf mich war, sagte: ‚Reiten ist entweder ein Sport für Aristokraten mit Dienerschaft oder für Millionärinnen‘. Dass darin ein Fünkchen Wahrheit lag, musste ich inzwischen zugeben. Ich gewöhnte mir an, meine Teebeutel zweimal aufzubrühen, aber das stopfte die Löcher in meinen Taschen auch nicht.
Iris goss Öl auf meine Wunden. „Maxi ist begabt, ein Naturtalent, wir sollten sie unbedingt fördern. Ich würde sie gern auf meinen Hof mitnehmen. Ich fange bald ein Sozialprojekt mit Jugendlichen an, da könnte sie Reitstunden geben.“
„Iris!“ Ich versuchte ja alles um unsere miese Situation zu ändern, hatte sogar angefangen im Lotto zu spielen, doch Iris’ Vorschlag half uns bestimmt nicht weiter. „Das verrate ich ihr lieber nicht“, sagte ich. „Sie ist imstande und schmeißt hier alles hin. Sie muss zumindest die Mittlere Reife machen.“
Maxi traf Gerson regelmäßig in der Stadt in einem Café, oder bei den Fridays-for-future-Demos, die er als Fotojournalist begleitete. Ich wusste, wie wichtig diese Treffen für sie waren; wenn sie zurückkam, sprühte sie vor guter Laune, doch ich verbot ihr, mir etwas davon zu erzählen.
Bald musste ich feststellen, dass alle meine Sparmaßnahmen nichts brachten, ich vergaß die Teebeutel und brühte meinen Tee wieder nur noch ein Mal auf. Meine Schreibarbeiten brachten kaum etwas ein, und die Boxenmiete für AP und Nine auf dem Leierhof verschlang meine Ersparnisse; es half alles nichts, ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, AP zu verkaufen und mir eine kostengünstige Lösung für Nine zu überlegen.
Ich wartete eine Weile, bevor ich mit Maxi darüber sprach, obwohl ich den Eindruck hatte, dass sie meine Absicht schon längst erraten hatte. Sie machte einen bedrückten Eindruck und war einsilbig, ganz im Gegensatz zu ihrer natürlichen Erzählfreude; wenn wir zusammen im Stall waren, brauchte sie ewig, bis sie sich von AP verabschiedet hatte, schlang die Arme um seinen Hals und flüsterte ihm Versprechungen ins Ohr: ‚Ich will dich nie vergessen, wir bleiben zusammen, versprochen‘ oder so ähnlich. Sie färbte sich die Haare blau, am nächsten Tag grün und bekam dicke Pickel auf der Stirn. Als ich mich endlich aufraffte, um mit ihr über meine Entscheidung zu reden, standen Tränen in ihren Augen. „Warum müssen wir uns von allen trennen? Nine, Gerson und jetzt auch noch AP?“, brachte sie heraus. Ich konnte sie gut verstehen, doch was hätte ich anderes tun sollen? Und dann sagte sie noch etwas, das mich erschütterte: „Glaub bloß nicht, dass ich mich von dir adoptieren lasse, jetzt wo du AP verkaufen willst.“ Sie ahnte bestimmt nicht, wie sehr mich diese Drohung traf. Gerson und ich hatten noch vor kurzem mit dem Gedanken gespielt; doch jetzt hatte er uns verlassen und die schöne Vorstellung von einer richtigen Familie war wie eine Seifenblase in der Luft zerplatzt.
Joey
Wenn ich Joey nicht kennengelernt hätte, hätte ich nicht gewusst, was tun.
Als er das erste Mal bei uns auftauchte, zauberte Maxi gerade ihre Lieblingsspaghetti mit selbstgemachter Tomatensoße und Basilikum. Sie wusste nicht, dass ich mit Joey über den Verkauf von AP reden wollte, und lud ihn kurzerhand zum Essen ein. Er schaute in den Kochtopf und sagte: „Das nächste Mal bringe ich ein Pfund Hackfleisch mit.“ Das hätte ins Auge gehen können, doch Maxi schien seine Bemerkung überhört zu haben. Oder war es deshalb, weil sie mit Käpt’n Nemo flirtete, der schwanzwedelnd zu ihr aufsah? Der grau-braune Rüde mit dem treuem Boxerblick und den lustigen Fledermausohren kam mit Joey im Doppelpack. Der eine war ohne den anderen nicht zu haben.
„Netter Kerl“, sagte Maxi später beim Geschirrspülen. „Obwohl er Fleisch isst! Leichenteile von toten Tieren! Aber seinem American Staffordshire gibt er nur Gemüse! Wie cool ist das denn!“
„Was?“ Ich konnte es nicht glauben. „Bist du sicher? Der sanft blickende Nemo soll ein