ТОП просматриваемых книг сайта:
Mörderischer Rollback. Heide-Marie Lauterer
Читать онлайн.Название Mörderischer Rollback
Год выпуска 0
isbn 9783946435105
Автор произведения Heide-Marie Lauterer
Жанр Языкознание
Серия Vera Roth
Издательство Bookwire
So hätte es weitergehen können, doch das wäre eine andere Geschichte geworden. Eine ganz andere. Ich musste eine andere Bedeutung von Rollback kennenlernen und feststellen, dass sie ziemlich wenig mit Glück zu tun hatte.
Vor der Sattelkammer wartete Tom auf mich, der Pächter des Leierhofs. „Kennst du den Mann?“, fragte er und deutete mit dem Kopf in Richtung Hoftor.
„Welchen Mann?“ Meistens konnte ich mir einen Reim auf Toms übergangslos gestellte Fragen machen, aber in diesem Augenblick wusste ich wirklich nicht, wen er meinte. Aber da fiel es mir wieder ein. Der Typ am Hallentor, der gerade, als wir unseren Stopp hingelegt hatten, wie ein Schatten vorbeigehuscht war? Jemand, der mich beobachtet und sich dann schnell weggeduckt hatte?
„Da hat vorhin einer nach dir gefragt. Keine Ahnung, vielleicht will er dein Showpferd kaufen?“
„Mein Showpferd kaufen?“ Alles Paletti? Nines erstes Fohlen, meinen quirligen kleinen Hengst, den wir kurz AP riefen? Schon wahr, Iris wollte ihn zum Westernpferd ausbilden, aber von Verkaufen war nie die Rede gewesen und von ‚Show‘ schon gar nicht, und wenn, dann hätte ich mich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt.
„Wie kommst du auf so eine Idee?“ Es kam mir wie Verrat an AP vor und ich hoffte, dass er nicht zugehört hatte. Sicher war ich mir nicht, denn er bekam immer irgendwie alles mit, wenn es um ihn ging.
„Hast ja recht, never change a winning team, stimmt’s?”, sagte Tom augenzwinkernd. „Vielleicht wollte der Typ auch nur beim Training zusehen und ist wieder gegangen, als ihr fertig wart.“
„Dann muss er halt bis zum nächsten Mal warten, Iris fährt heute wieder ins Jura zurück.“
Es sollte kein nächstes Mal geben. Bevor wir den Rollback üben konnten, dauerte es noch eine ganze Weile. Vorher erwischte er mich im wirklichen Leben. Es war, als hätte mich eine unsichtbare Hand irgendwo hart abgesetzt und in eine andere Richtung getrieben. Bei meiner abrupten Wendung ging einiges zu Bruch, ich konnte nichts tun, als die Scherben aufzusammeln und die Erzählsplitter zu einer Geschichte mit Anfang und Ende zu ordnen.
Mit dem Job fing es an. Mein Vertrag wurde wieder einmal nicht verlängert, diesmal war es endgültig. Mit dem Arbeitslosengeld konnte ich die Box für Alles Paletti und für Nine auf dem teuren Leierhof nicht mehr stemmen. Nine stand glücklicherweise noch bei Iris im Schweizer Jura, ihr drittes Fohlen würde im Herbst zur Welt kommen, dann wollte ich sie wieder zurückholen. Bis dahin musste ich natürlich die Miete für ihre leere Box auf dem Leierhof bezahlen und das war ein ganz netter Batzen. Meine Pferde, meinen Job, das regelmäßige Gehalt, all das hatte ich für feste, unverbrüchliche Bestandteile meines Lebens gehalten. Doch plötzlich war es nichts als ein schöner Traum, der wie eine Seifenblase zerplatzte.
Leider war das noch nicht alles und nicht einmal das Schlimmste. Aller guten Dinge sind drei, unkte mein Kollege Helmut, und genauso kam es. Das dritte ‚Ding‘ war alles andere als gut, denn es betraf Gerson.
Gerson, mein Lebenspartner und bester Freund, der zu mir stand in guten und in schlechten Tagen bis zu diesem Zeitpunkt zumindest. Er war der einzige, für den ich im Restaurant ohne zu fragen etwas von der Speisekarte hätte auswählen können und es hätte ihm geschmeckt. Auch damit war es jetzt vorbei.
Sein Geständnis traf mich wie ein Blitz in schwarzer Nacht, obwohl ich mir eingestehen musste, dass sich die Katastrophe schon länger angekündigt hatte. Ich hatte die Zeichen einfach nicht erkannt. Die Neue hieß Cora, sie wollte ein Kind von ihm, Pferde ließen sie kalt, das änderte alles.
Sie war Gersons Assistentin, zehn Jahre jünger als ich, klein und pummelig, aber unglaublich schlagfertig und witzig. Ein Kind, hämmerte es hinter meinen Schläfen. Gerson und ich hatten uns nie ernsthaft Gedanken über eigene Kinder gemacht, und wenn er das Thema ein- oder zweimal angeschnitten hatte, dann hatte er es schnell wieder fallen lassen. Doch jetzt musste ich mir eingestehen, dass ich ihn nie nach seinen Wünschen gefragt hatte. Ich hatte ganz selbstverständlich angenommen, dass er meine Pferdeleidenschaft verstand, weil ihm klar war, dass die Pferde bei mir an erster Stelle standen.
Auf einmal fügte sich eins zum anderen: Seine langen Fotosafaris in der Camargue, die Anrufe zu allen möglichen und unmöglichen Tages-und Nachtzeiten, seine plötzlichen Aufbrüche, wenn wir gerade die vorletzte Flasche Ulisses Lima öffnen wollten. Zugegeben, was unsere Verabredungen anging, war ich auch nicht gerade zuverlässig gewesen; Nine hatte nur zu oft unsere gemütlichen Abende durcheinandergebracht, weil sie eine Kolik oder Husten hatte und ich im Stall auf den Tierarzt warten musste. Wenn ich weg musste, kümmerte er sich um Maxi. Nicht nur, weil er sich verpflichtet fühlte, sondern weil er es gerne tat und die beiden sich mochten.
Sie war elf, als sie zu uns kam. Eigentlich hieß sie Jaqueline, ein Name, den sie hasste, weil sie alle Leute auf dem Leierhof und in der Schule ‚Schackeline‘ riefen. Sie nannte sich Maxi, eine kleine, stämmige Person, mit dunklen, mandelförmigen Augen, die ihr in manchen Situationen einen schlangenartigen Ausdruck verliehen. Wenn sie jemand mit ihrem richtigen Namen ansprach, antwortete sie nicht, bis die Leute sie Maxi nannten und Schackeline für immer vergaßen.
Ihre Mutter war Alkoholikerin, sie schickte ihre Tochter zur ‚Tafel‘ zum Einkaufen, ließ sie stundenlang den Hausflur schrubben oder sperrte sie wegen des kleinsten Vergehens in den Keller. Das ließ sich Maxi nicht gefallen, sie entwischte durch das Kellerfenster und flüchtete zu uns in den Stall. Dort fand ich Nine und sie eines Abends aneinandergeschmiegt im Stroh liegen. Von da an kam Maxi regelmäßig, striegelte Nines Fell, kratzte ihre Hufe aus, putzte sogar freiwillig das Sattelzeug. So lange, bis ich ihr Reitstunden gab. Von da an gehörten wir drei zusammen.
Eines Tages stand sie mit ihrem Rucksack vor unserer Wohnungstür. „Kann ich heute Nacht bei euch schlafen?“ Ihre Mutter hatte in einem Wutanfall die ganze Wohnungseinrichtung zertrümmert; die Nachbarn hatten die Polizei gerufen; sie wurde in die Psychiatrie eingeliefert und später zur Entziehungskur geschickt. Maxi hatte erst am nächsten Tag von dem Zusammenbruch ihrer Mutter erfahren, weil sie bei Nine, die einen schlimmen Husten hatte, im Stall übernachtete. Das war ihr Glück, denn wenn sie zuhause gewesen wäre, wäre sie vermutlich gleich im Heim gelandet. Aus einer Nacht wurden zwei, dann drei – sie blieb eine ganze Woche und dann war klar, dass ihre Mutter so bald nicht wieder zurückkäme.
Maxi wurde unsere Pflegetochter. Wir richteten für sie unser kleines Gästezimmer her, das den Anforderungen des Jugendamtes entsprach. Es war ihr erstes eigenes Zimmer, das sie sich so gestalten durfte, wie es ihr gefiel. Gerson schenkte ihr eine kleine Kamera und brachte ihr das Fotografieren bei, sie tapezierte die Wände mit selbstgeschossenen Fotos von Nine und später auch von Alles Paletti. Sie sog alles gierig auf, was wir ihr boten – abends nach der Arbeit spielten wir zu dritt Federball auf der Neckarwiese oder machten Fahrradtouren am Neckarufer entlang. Manchmal packten wir ein Picknick ein und wanderten auf den Heiligenberg zur Michaelsbasilika. Wenn wir zusammen Nines Box ausmisteten oder Jakobskreuzkraut auf der Koppel ausrissen, erzählte ich ihr Geschichten aus meiner Kindheit; so wuchsen wir mehr und mehr zusammen und jeder, der uns sah, hielt uns für eine richtige Familie.
Vielleicht hatte es damals schon angefangen, ganz sicher sogar, aber das hatte ich einfach nicht bemerkt.
Ich wünschte Cora zur Hölle, nannte sie insgeheim eine dicke, dumme Pute und reihte ein Klischee ans andere. Sie war nicht einmal Reiterin! Aber was hätte das geändert? Bestimmt nichts. Gerson zog Hals über Kopf aus unserer gemeinsamen Wohnung aus, weil er für Cora und sich eine neue Wohnung gemietet hatte. Fahrten zu Ikea, Kinderzimmer zusammenbauen, Schwangerschaftsyoga, mir wurde schlecht bei dem Gedanken. Als er seine Habseligkeiten ausgeräumt und seine Bücher, Fotos und Kameras von den Regalen genommen und mir seinen Schlüssel ausgehändigt hatte, sagte er: „Wir bleiben in Verbindung, Vera.“ Ich schluckte meine Tränen hinunter und schwieg. Er schaute mich kurz an, ich bekam Herzklopfen, es war mir, als ob er mich umarmen wollte, doch er sagte: „Du hast doch Nine und Alles Paletti“, drehte sich um, kam noch einmal zurück und fügte hinzu: „Und Maxi.“
Er hatte es so dahingesagt, um mich zu trösten, und er hatte recht. Ich hatte Maxi. In der Zeit nach der Trennung wuchsen wir noch mehr zusammen. Wir fanden eine