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Wenn ihr nicht trainiert, euch instinktiv an diese Gewohnheiten zu halten, werden sie euch weder auf der Bühne noch im Leben von Nutzen sein. Gibt es irgendwelche Fragen?«

      Im Augenblick gibt es keine, also nickt Bill: »Okay. Dann haben wir einen guten Anfang gemacht. Ich bin zufrieden. Geht an die Arbeit und sät euren Kohlsamen. Wir werden sehen, wo ihr das nächste Mal steht.«

      ***

      Ich bleibe noch ein wenig und höre zu. Einige Schüler überhäufen Bill mit Fragen, doch er weist die Fragenden ab: »Mal sehen, was nächstes Mal passiert«, ist die Antwort, die ich immer wieder von ihm hören werde. Offensichtlich ist das nicht die Antwort, die die meisten neuen Schüler hören wollten. Aber es ist die beste Antwort für angehende Künstler auf der Suche nach Orientierung. Wenn es etwas gibt, was Bill mir gründlich beigebracht hat, dann, dass die Suche nach Orientierung von innen heraus erfolgen muss. Zu vollständige oder zu schnell gelieferte Antworten können den Künstlern schaden und sie der Gabe berauben, auf eigene Faust fremde, unbekannte Territorien zu erkunden.

      Ich kenne Bill gut genug, um zu wissen, wie sehr er mit der unstillbaren Neugier seiner Schüler sympathisiert, nichtsdestotrotz glaubt er, dass Meisterschaft in der Schauspielkunst nur durch einen mühsamen Trial-and-Error-Prozess erlangt werden kann. Fall hin, steh wieder auf und versuch es noch einmal.

      Für den Augenblick entscheide ich, dass meine eigenen Fragen warten können. Ich überlasse Bill seiner Arbeit und verlasse das Studio C.

       Die Wiederholung wird fortgeführt: Hast du wirklich gehört, was er tatsächlich gesagt hat?

      CANDIDA: Sie dürfen alles sagen, was Sie wirklich und wahrhaftig fühlen. Alles, ganz gleich, was es ist. Ich habe keine Angst, solange es Ihr eigenes Selbst ist, das spricht, und nicht eine bloße Attitüde; eine tapfere Attitüde oder eine böse oder auch nur eine künstlerische Attitüde. Das müssen Sie mir auf Ehre und Gewissen versprechen. Und nun sagen Sie, was immer Sie sagen wollen.

      GEORGE BERNARD SHAW

      (Candida, aus dem III. Akt)

       (Dieses Zitat hängt eingerahmt über Bills Schreibtisch in seinem New Yorker Studio. Ein Geschenk an Bills Frau Suzanne, von einem ihrer Schüler.)

      Am nächsten Unterrichtstag fragt Bill: »Wie sind eure Proben gelaufen?« Sofort schießen sämtliche Hände in die Höhe. Jeder hat Fragen. »Gut, wer zuerst?«

      Uma wirft einen Blick auf ihre Notizen: »Bill, mir ist nicht klar, wie die Wiederholungsübung beginnt.«

      »Gute Frage. Die Wiederholung beginnt immer damit, dass ein Schauspieler seine ganze Aufmerksamkeit dem anderen widmet und etwas Konkretes entdeckt, das für ihn von Interesse ist, auch wenn es noch so belanglos ist. Er drückt dann dieses Interesse mit einer Bemerkung oder Beobachtung aus.«

      »Und wie zum Beispiel?«, fragt Uma.

      Bill lacht. »Ich habe keine Ahnung. Und du auch nicht, bis dein Partner vor dir steht. Wenn du ihn dann anschaust, sagst du vielleicht: ›Wow, ich mag diese Halskette.‹ Es spielt keine Rolle, wie deine erste Reaktion lautet, solange sie sich auf etwas bezieht, das wirklich mit der anderen Person zu tun hat. Danach geht’s los mit der Wiederholung.«

      »Ich könnte also nicht sagen: ›Hi. Wie geht’s dir heute?‹«

      Bill schüttelt den Kopf: »Meidet Small Talk. Meidet ebenso allgemeine Bemerkungen wie ›Alles klar?‹ oder ›Warm genug für dich?‹«

      »Warum?«

      »Weil die Fähigkeit, Small Talk zu führen, nichts ist, was Schauspieler brauchen. Deine Bemerkung soll nicht ausgedacht sein, sondern durch etwas hervorgerufen werden, was konkret mit deinem Partner zu tun hat. Wer ist dein Partner?«

      »Adam.«

      »Okay, versuchen wir’s.«

      Adam und Uma betreten die Spielfläche. Bill geht zu seinem Schreibtisch, um ihnen Raum zu geben, und sagt: »Uma, wenn du Adam anschaust, was fällt dir auf?«

      Uma sagt: »Er trägt ein weißes Hemd.«

      »Gut«, sagt Bill. »Adam hat tatsächlich ein weißes Hemd an. Das Hemd existiert. Was noch?«

      Uma schaut Adam wieder an. »Ich mag seinen Gürtel.«

      »Gut. Ich bin froh, dass du das gesagt hast, weil es etwas zur Sprache bringt, das wir uns wirklich ansehen müssen.«

      Er wendet sich an die Klasse: »Was ist der Unterschied zwischen den beiden Bemerkungen, die Uma gerade gemacht hat? ›Er trägt ein weißes Hemd‹ und ›Ich mag seinen Gürtel.‹«

      Ein Latino mit der Figur eines Bodybuilders, rasiertem Schädel und der Haltung eines wütenden Pitbulls hebt die Hand. Es ist Tyrone. »Das eine ist eine Feststellung, das andere eine Meinung.«

      »Richtig. Das weiße Hemd existiert. Du hast es bemerkt und angesprochen. Aber die Beobachtung des Gürtels geht weiter. Du hast daraus eine persönliche Bemerkung gemacht. Sie ist subjektiv. Du magst den Gürtel, aber jemand anders könnte ihn sehen und langweilig finden.«

      Bill macht eine kurze Pause, bevor er fortfährt: »Jetzt hört genau zu. Ich werde euch etwas sagen, was für eure Entwicklung absolut entscheidend ist. In der Kunst ist die geschätzte Antwort immer die subjektive Antwort. Das unterscheidet Kunst von Wissenschaft. Wissenschaftler schätzen nur objektive Antworten, weil objektive Antworten mit konkreten Fakten korrelieren. Künstler interessieren sich weniger für Fakten als dafür, was diese Fakten für sie bedeuten.

      Schließlich malt der Maler nicht die Schale mit Äpfeln auf dem Tisch vor ihm. Er malt das, was die Äpfel für ihn bedeuten, wie die Äpfel ihn beeindrucken, wie er sie empfindet. Vielleicht regt ihn das tiefe satte Rot der Äpfel an. Vielleicht inspirieren ihn die wunderschönen natürlichen Kurven der Frucht. Deshalb malt er sie auch. In ähnlicher Weise muss ein Schauspieler jeden Moment seiner Darbietung aus dem erschaffen, was er ihm bedeutet, wie er wirklich empfindet.

      Das bringt uns zu einem anderen sehr wichtigen Aspekt der Entwicklung eines Schauspielers. Wie können junge Schauspieler all das in sich kultivieren, was einzigartig und besonders ist und anders als alles andere? Deine eigene, unverwechselbare Persönlichkeit zu offenbaren, ist enorm wichtig beim Schauspielen.

      Als ich an der Rutgers University unterrichtete, brachte ich jede Abschlussklasse nach New York, um Managern, Agenten und Casting-Agenten eine szenische Werkschau zu präsentieren. Vor einigen Jahren kam ein Agent nach einer Aufführung zu mir und meinte, ›Ich will mich bei Ihnen bedanken, Bill Esper. Sie sind unglaublich!‹ Das hat natürlich meine Aufmerksamkeit geweckt.«

      Die Klasse lacht.

      »Ich sagte: ›Wirklich? Warum?‹ Der Agent erwiderte: ›Ich besuche viele dieser Aufführungen, um nach Talenten zu suchen, und ich finde, dass viele Schulen Schauspieler ausbilden, die alle gleich aussehen, gehen, reden und sich gleich verhalten. Es scheint, als ob sie alle auf einem Fließband aus der immer gleichen Form gestanzt wurden. Das geht so weit, dass ich einen Schauspieler nicht vom anderen unterscheiden kann. Aber wann immer ich Ihre Schauspieler sehe, bin ich erstaunt, weil nicht zwei von ihnen sich im Entferntesten ähneln. Ich gestehe, ich bin sehr neugierig darauf, wie Sie das fertigbringen.‹

      Für mich ist es das vielleicht schönste Kompliment, das ich je bekommen habe. Weil ich glaube, wenn du einen Schauspieler nicht wieder mit all dem verbindest, was ihn einzigartig und besonders macht, dann hast du wirklich nichts für ihn getan. Das Einzige, was du als Schauspieler zu bieten hast, ist deine einzigartige Persönlichkeit, das, was dir und nur dir allein gehört. Wenn du Komponist werden möchtest, nützt es nichts, Musik zu komponieren, die nach Mozart klingt. Wenn jemand Mozart hören will, gibt es ihn schon. Warum sollte er eine zweitrangige Kopie hören?«

      Reg hebt seine Hand. »Bill, wie können wir diese Dinge in uns finden? Wie finden wir heraus, was einzigartig an uns

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