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Kunst und Handwerk des Schauspielers. William Esper
Читать онлайн.Название Kunst und Handwerk des Schauspielers
Год выпуска 0
isbn 9783895815546
Автор произведения William Esper
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
»Gut.«
Kenny hebt die Hand: »Man ändert also die Wiederholung, wenn man denkt, dass es Zeit ist, zu etwas anderem überzugehen.«
Bill schüttelt den Kopf: »Nein. Sich eine Veränderung für die Wiederholung auszudenken ist falsch. Es ist unorganisch und berechnend, wie der Versuch, ein Gespräch zu manipulieren. Mit der Wiederholung wollen wir nicht unseren Verstand entwickeln, sondern eher unsere Instinkte. Alles, was in der Wiederholung geschieht, sollte durch Impulse ausgelöst werden. Von Emotionen. Du musst auf das, was du von deinem Partner hörst, ohne Analyse reagieren. Jedes Mal, wenn dein Verstand in die Wiederholung eingreift, unterdrückst du deine wahren Impulse und katapultierst dich selbst aus der Übung.«
Kenny schüttelt den Kopf: »Ich glaube, ich bin mir nicht ganz sicher, was ein Impuls ist.«
»Natürlich bist du das«, sagt Bill. »Du hattest dein ganzes Leben lang Impulse. Es ist so: Wenn du dich auf einen Nagel setzt, was passiert dann?«
»Autsch!«, sagt Amber.
»Richtig«, nimmt Bill auf. »Dein Impuls ist, aufzuschreien und sofort aufzustehen. Musst du innehalten und nachdenken? Überhaupt nicht. Es ist eine instinktive Reaktion. Es ist ein natürlicher Impuls. Man kann einen Impuls nicht denken. Wenn du dem Impuls aufzustehen folgst, geht es dir gut. Wenn nicht, sitzt du dort und hast Schmerzen, bis du aufstehst.«
Bill macht eine kurze Pause. Dann sagt er: »Eine Verbindung mit seinen Impulsen ist eines der wichtigsten Dinge, die ein Schauspieler entwickeln kann, denn wer du wirklich bist, zeigt sich durch deine spontanen Impulse. Ich meine nicht das ›Du‹, das du gerne wärst, oder das ›Du‹, von dem du glaubst, dass eine andere Person dich so haben will. Ich spreche von deinem wahren Selbst. Um ehrlich gegenüber dir selbst zu sein, musst du handeln, bevor du denkst. Im Moment heißt das: Wiederhole, bevor du denkst. Das mag dem widersprechen, was du in der Vergangenheit gelernt hast: Schau hin, bevor du springst. Denk nach, bevor du sprichst. Sieh dich selbst an, bevor du deiner Tante sagst, dass sie echt fett ist. Ich sage jedoch: Sprich, bevor du denkst. Spring, bevor du hinschaust! Dies ist der einzige Weg, spontan zu sein, der einzige Weg, wie du jemals als Mensch lebendig wirst.
Bei diesen Wiederholungen ist euch vielleicht aufgefallen, dass sie inhaltlich nicht besonders geistreich und intelligent sind. Und das ist gut, denn es gibt etwas, was sehr viel wichtiger ist: Der Austausch ist sehr lebhaft.
Eine der wenigen Meinungen, die Sanford Meisner und Lee Strasberg teilten, war die über den größten Schauspieler, den sie je gesehen hatten. Paul Muni, ein hervorragender Schauspieler, war übrigens derselben Ansicht. Alle drei stimmten darin überein, dass der größte Schauspieler, den sie je gesehen hatten, ein Sizilianer namens Giovanni Grasso sei. Grasso war in den 1920er und 1930er Jahren in den USA und spielte mit seiner Truppe unten an der Second Avenue in New York. Sie hielten ihn für ein Genie. Wenn er die Bühne betrat, konnte man die Augen nicht von ihm lassen. Wenn er wollte, dass seine Zuschauer lachen, lachten sie. Wenn er wollte, dass sie weinen, weinten sie. Wenn er wollte, dass sie zusammen lachen und weinen, taten sie auch das. Er war wie eine Naturgewalt.
Aber Meisner, Strasberg und Muni stimmten auch darin überein, dass Grasso – abseits der Bühne – ein grober, ungehobelter Mensch war. Es war unmöglich, ein intelligentes Gespräch mit ihm zu führen. Wenn er spielte, tat er dies aus seinem Instinkt und Gefühl heraus. Er spielte nicht aus seinem Intellekt heraus. Er schien tatsächlich keinen zu haben.
Jemand fragte einmal Harold Clurman: ›Welche Eigenschaften muss man haben, um ein wunderbarer Schauspieler zu werden?‹ Clurman antwortete: ›Zunächst einmal muss man eine wunderbar geschulte Stimme haben, so dass, wenn man den Mund zum Sprechen öffnet, alle kerzengerade auf ihren Stühlen sitzen und zuhören. Zweitens muss man ein sehr lebendiges und ausdrucksstarkes physisches Instrument haben, das jede Nuance dessen, was man fühlt, vermitteln kann. Drittens muss man viel Temperament haben – was bedeutet, dass man sich schnell aufregt, man leicht lacht und leicht weint.‹
Die Person, die Clurman diese Frage gestellt hatte, nickte und sagte: ›Okay. Ich verstehe. Und was noch?‹
›Was noch?‹, fragte Clurman. ›Das ist es! Wenn du diese drei Eigenschaften hast, kannst du ein wunderbarer Schauspieler werden!‹«
Bill hebt einen Finger. »Achtet darauf, was Clurman in seinem Porträt eines großen Künstlers ausgelassen hat.«
»Intelligenz«, sagt Dom.
»Richtig. Aber versteht mich bitte nicht falsch. Ich meine nicht, dass ihr dumm sein müsst oder es sein solltet. Ich sage nur, dass euer Verstand sich nicht in eure Arbeit einmischen soll. Lasst ihn zu Hause, wo er hingehört. Für Schauspieler ist Intelligenz weniger wichtig als ein großes, verständnisvolles Herz, das sich mit dem, was in einem anderen Menschen vorgeht, identifizieren kann.
Schauspieler denken – bestimmt tun sie das –, aber es ist eine sehr spezifische Art zu denken, die Denkart eines Schauspielers. So wie Maler visuell denken und Musiker in Klängen, so denken Schauspieler mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf.«
***
Bill übt die Wiederholung mit weiteren Schülern, unterbricht sie hier und da, wo immer er Momente aufgreift, die er für ungenau oder unglaubwürdig hält. Das passiert während der Arbeit mit Vanessa.
»Ich mag deine Bluse«, sagt Bill.
»Du magst meine Bluse«, wiederholt Vanessa.
Bill bleibt dabei. »Ich mag deine Bluse.«
»Du magst meine Bluse.«
»Ja, ich mag deine Bluse.«
»Du magst meine Bluse«, sagt Vanessa, offensichtlich gelangweilt. Bill unterbricht die Übung.
»Was hast du übergangen?«, fragt Bill.
»Was? Ich weiß nicht? Was?«
»Was habe ich gesagt?«
»Ich weiß nicht, du hast gesagt, dass du meine Bluse magst.«
»Nein«, sagt Bill. »Was ich – genau – gesagt habe, war: ›Ja, ich mag deine Bluse. ‹ Was hast du dann gesagt?«
Vanessa zuckt mit den Schultern: »Ich sagte: ›Ja, du magst meine Bluse.‹«
»Nein, hast du nicht. Du hast das ›Ja‹ weggelassen.«
»Oh, tut mir leid.«
Bill schaut weg, etwas frustriert. »Gut aufpassen!«
Vanessa runzelt die Stirn. »Ist es wirklich so wichtig?«
Jetzt zuckt Bill zusammen. »Oh«, sagt er, »du meinst dieses eine kleine Wort? Ist dieses eine kleine Wort so wichtig, in diesem größeren Zusammenhang? Lass mich eins klarstellen: Es ist wichtig, dass du alles genau wiederholst und nichts auslässt. Du hörst zu und wiederholst alles! Denn wenn du anfängst, ein Wort hier und ein Wort da auszulassen, wird das letztendlich deine Fähigkeit beeinträchtigen, mit der erhöhten Aufmerksamkeit zuzuhören, wie es ein Schauspieler tun muss. Schließlich wird es deinen Kontakt mit deinen Schauspielkollegen zerstören und auf eine entsetzliche Quälerei hinauslaufen.«
»Es scheint so eine kleine Sache zu sein«, schmollt Vanessa.
»Ach«, sagt Bill. »Kleine Sache. Was gibt es sonst noch?«
***
Nach einigen weiteren Runden an Wiederholungsübungen hebt Kenny erneut seine Hand. Bill sieht ihn an: »Ja?«
»Ich frage mich gerade«, sagt Kenny, »wann wir mit der Textarbeit anfangen?«
Der Blick, den Bill Kenny zuwirft, liegt zwischen Belustigung und unverhohlenem Ärger.
»Du meinst, wann ich euch Text aus einem Stück gebe?«, antwortet Bill.
»Genau. Ich meine, ich verstehe, was du hier mit der Wiederholung machst, und es gefällt mir, aber ich kann ein viel besserer