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Standards zur Teilhabe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung und komplexem Unterstützungsbedarf. Deutsche Heilpädagogische Gesellschaft
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isbn 9783170395220
Автор произведения Deutsche Heilpädagogische Gesellschaft
Жанр Учебная литература
Издательство Bookwire
Mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) stellen Personenzentrierung und Teilhabe die zentralen Leitbegriffe für eine zukunftsweisende Behindertenhilfe dar. Im Leistungsdreieck von Leistungsberechtigten, Leistungsträgern und Leistungserbringern stärkt das neue Teilhaberecht sowohl die Steuerungskompetenz durch die Leistungsträger der Eingliederungshilfe als auch die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Deren verstärkte Rechte beziehen sich allgemein auf Selbstbestimmung, auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, vor allem in der Teilhabe am Arbeitsleben und der sozialen Teilhabe.
Im Besonderen zielen sie darauf,
• dass die »Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich« wahrgenommen werden kann,
• dass Wünsche einschließlich nach einer »gewünschten Wohnform« und dem »Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen« berücksichtigt werden, »soweit sie angemessen sind«, und
• dass erforderliche Assistenzleistungen »zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum« erbracht werden (§§ 91 SGB IX, 104 SGB IX und 113 SGB IX).
Zwar gelten diese verstärkten Rechte auf umfassende Teilhabe und erforderliche Assistenzleistungen in einer Wohnform nach Wahl unabhängig vom Umfang des jeweiligen Unterstützungsbedarfs, fehlende Ressourcen und fortbestehende institutionelle Strukturen bleiben jedoch wesentliche Barrieren für die Realisierung personenzentrierter Teilhaberechte. Außerdem stellt die Komplexität des Unter stützungsbedarfs sowohl an Leistungsträger (»Leistungen wie aus einer Hand«) als auch an Leistungserbringer (»Leistungsmix«, »Hilfen aus einer Hand«) zusätzliche Anforderungen an Koordination und Kooperation im Leistungssystem.
Viele rechtliche Ansprüche und fachliche Anforderungen des neuen Teilhaberechts sind erst noch mit Leben zu erfüllen. Die Realisierung einer umfassenden Teilhabe – ohne Exklusion und unabhängig vom Unterstützungsbedarf – bedarf einer systematischen Verankerung in der Umsetzung, Evaluation und Weiterentwicklung des Teilhaberechts. Die DHG-Standards zur Teilhabe bei komplexem Unterstützungsbedarf sind als Beitrag zum notwendigen Prozess der Ausgestaltung, Konkretisierung und Umsetzung von Teilhabe in fachlicher, rechtlicher und sozialpolitischer Hinsicht zu verstehen. Sie richten sich nicht nur an Leistungsträger und Leistungserbringer und deren Mitarbeitende, sondern auch an weitere Akteure wie Angehörige, Selbstvertretungsgruppen, Fach- und Berufsverbände sowie die Wissenschaft.
Komplexer Unterstützungsbedarf ist eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Aufgabe. Dabei kommt in der alltagsgestaltenden Assistenz der pädagogischen Disziplin (Soziale Arbeit, Heilpädagogik, Andragogik) bzw. den pädagogischen Fachkräften (der Heilerziehungspflege und Heilpädagogik) mit ihren entwicklungs-, lebenswelt- und beziehungsorientierten Handlungsfeldern11 und einem an Selbstbestimmung orientierten, komplexem Assistenzkonzept12 eine herausragende Rolle zu. Unverzichtbar ist je nach Unterstützungsbedarf die Kooperation mit anderen Leistungssystemen, Disziplinen und Fachkräften (vor allem aus Sozialer Arbeit, Pflege, Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie) und mit deren Kompetenzen in einem strukturierten Teilhabemanagement.
In Anbetracht eines Personenkreises, der sich nicht oder nur sehr eingeschränkt für seine Interessen artikulieren kann, sieht sich die DHG in der Verantwortung, entsprechende Standards zunächst in anwaltschaftlicher Vertretung zu formulieren. Gleichwohl stellt sich die DHG der noch offenen Herausforderung zur Entwicklung einer Kultur der Selbstbestimmung und Beteiligung bei komplexem Unterstützungsbedarf.
Im Rahmen der Umsetzung des BTHG konzentriert sich die DHG mit ihren Standards zur Teilhabe auf fünf Handlungsfelder: Teilhabe und Assistenz; Teilhabe und Pflege; Individuelle Teilhabeplanung und Teilhabemanagement; Teilhabe im Sozialraum; Teilhabe am Arbeitsleben. Es ist beabsichtigt, diese Standards in einem fortlaufenden Prozess sowohl fortzuschreiben als auch um weitere Standards zu erweitern.
Literatur
Bundesarbeitsgemeinschaft der Ausbildungsstätten für Heilerziehungspflege in Deutschland (BAG HEP) (2019): Qualifikationsprofil Heilerziehungspflege. Länderübergreifendes kompetenzorientiertes Qualifikationsprofil für die Ausbildung von Heilerziehungspfleger*innen an Fachschulen für Heilerziehungspflege. Online verfügbar unter: https://www.akademie-schoenbrunn.de/fileadmin/data_akademie/Berufliche_Schulen/HEP_HEPH/Qualifikationsprofil_fuer_Heilerziehungspfleger.pdf, Zugriff am 29.06.2020.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2013): Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung. Berlin. Online verfügbar unter: https://www.bmas.de/Share dDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a125-13-teilhabebericht.pdf?__blob=publicatio nFile&v=2, Zugriff am 30.07.2020.
Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) (Hrsg.) (2005): Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Genf: World Health Organization.
Kopyczinski, W. (2016): Assistenz zur Selbstbestimmung. Fachliche und menschenrechtliche Grundlagen zur Assistenz von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Marburger Beiträge zur Inklusion 01. Marburg: Lebenshilfe Hessen.
Seifert, M. (2002): Menschen mit schwerer Behinderung in Heimen. Ergebnisse der Kölner Lebensqualität-Studie. In: Geistige Behinderung, 41 (3), 203–222.
5 vgl. dazu die DHG-Schriften: www.dhg-kontakt.de/schriften/
6 leistungsrechtlich als »Geistige Behinderung« bezeichnet
7 DIMDI 2005
8 Seifert 2002; vgl. auch Kap. 8 (Zielperspektive Lebensqualität) dieser Standards
9 Die Verwendung des Begriffs »Menschen mit Behinderungen« ist hier und im Folgenden an der Bezeichnung des Personenkreises in der UN-BRK und im BTHG orientiert, die auf dem Behinderungsverständnis der ICF basiert. Im Teilhabebericht der Bundesregierung wird zwischen Behinderung und Beeinträchtigung unterschieden. Beeinträchtigung bezieht sich auf konkrete Einschränkungen, z. B. beim Gehen, Hören oder Sehen. »Erst wenn im Zusammenhang mit dieser Beeinträchtigung Teilhabe und Aktivitäten durch ungünstige Umweltfaktoren dauerhaft eingeschränkt werden, wird von Behinderung ausgegangen.« (BMAS 2013, 7).
10 Pflegestärkungsgesetze 1, 2 und 3 (2014–2016); vgl. Kap. 4 (Teilhabe und Pflege) dieser Standards
11 vgl. BAG HEP 2019: Qualifikationsprofil Heilerziehungspflege
12 vgl. Kopyczinski 2016
2 Leitbegriffe
Die DHG-Standards orientieren sich an Leitbegriffen, die im Bundesteilhabegesetz (BTHG) verankert sind und die fachliche Arbeit mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und komplexem Unterstützungsbedarf