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hält abrupt inne und tätschelt Friedrichs Arm: »Damals in den Sechzigern auf eurem Trip durch Indien wart ihr doch Babys, aufgezogen hinter den sieben Bergen, ohne Internet, ohne Welt. Ich bin anders, wir sind heute anders. Ich geh da hinaus, es ist das einundzwanzigste Jahrhundert, und ich bin vorbereitet.«

      Alma packt das Messer und mit gezielten Schnitten zerteilt sie die zarten Blättchen. Friedrich wiegt die Paprika in seiner Hand. Er muss lächeln, als er Alma betrachtet, wie sie so verbissen auf den unschuldigen Koriander einhackt, eine Falte aus Trotz, Widerstand und Rechthaberei über der Nasenwurzel. Er nickt. Diese wilde Kratzbürste, die vor Lebendigkeit nur so funkelt, würde er niemals zähmen, so viel steht fest. Und wenn er ehrlich ist, er will es auch gar nicht.

      »Indien bleibt immer Indien«, setzt er dennoch nach. »All die rasante Entwicklung, die ich die letzten Jahre gesehen habe, wenn ich bei Suriya in Südindien zu Besuch war, kann das nicht überspielen. Und«, er streckt die Hand aus, »Friede. Ich verspreche: ab hier, vortragsfreie Zone.«

      Alma streicht das geschnittene Koriandergrün mit der Handkante in das bereitgestellte Schüsselchen, dann hebt sie den Kopf und mit einem Lächeln schlägt sie ein. Sie hält Friedrichs Hand fest und zieht ihn auf den Stuhl neben sich: »Eines möchte ich aber doch noch wissen: Wie war das damals für dich, diese Geschichte mit dem heiligen Mann? Diesem orangerot gewandeten, unterwegs ins Nirwana.«

      »Ach«, Friedrich zieht die Augenbrauen hoch, »daran erinnerst du dich noch?«

      Alma nickt.

      Er greift sich in den Nacken, überlegt und stützt dann die Ellbogen auf die Knie: »Mein Gott, war ich erschöpft damals. All das Elend, die Armut, das Chaos – und diese Schönheit. Das Nichtverstehen hat mich ausgebrannt. Und dann war da dieser zerlumpte Mann, mit Schmutzkrusten auf der Haut. Er sei ein Anhänger Shivas, hieß es. Hat mich angesehen, Augen wie Kristalle. Mit seinem harten Englisch, seinem harten Daumen und mit Asche hat er mir die Worte in die Stirn gerieben: You take India nice and slow! Immer und immer wieder. Und die Asche ist in meine Augen gerieselt, und Tränen sind geflossen.« Er richtet sich auf und sieht Alma mit einem langen Blick direkt in die Augen: »Ich habe mich immer daran erinnert. Alles war anders danach.«

      Alma neigt sich zu Friedrich, nähert ihre Stirn der seinen und flüstert: »Das nehm ich mit. Danke.« Und während sie aufspringt und nach den Zucchini greift: »Rufst du mich an, damit ich’s nicht vergesse?« Mit Daumen und kleinem Finger simuliert sie ein Handy an ihrem Ohr: »Stell dir vor, die haben jetzt Buschtelefon da unten.« Sie dreht den Wasserhahn voll auf. »Und übrigens, auf der Hochzeit der Tochter deines Freundes Suriya vertrete ich dich gerne, aber die Idee mit dem Cousin der Braut, diesem Karthik, als Reisebegleitung – das kannst du komplett streichen.«

      »Alma ...«

      »Nein!« Sie stößt prustend Luft aus. »Entschuldige mal, ich brauche wirklich kein Kindermädchen!« Blitzschnell dreht sie sich um: »Kapiert?!«, und schleudert eine Zucchini quer durch die Küche. Friedrich erwischt sie mit einem Hechtsprung, kurz bevor sie am Kühlschrank zerschellt wäre.

      »Genau!«, ächzt er. »Forever nice and slow!«

      1

       EINREISE? NO PROBLEM!

       DER INDISCHE PAPIERTIGER

      Alma, auf den Knien, kauert neben dem Immigrationsschalter. Um sie herum, wie nach einer Explosion verstreut, der Inhalt ihrer Tasche.

      »Dieser blöde Wisch!«, schnaubt sie. »Will ich hier etwa meine Einbürgerung beantragen? Oder was?«

      Mist! Offensichtlich hat sie das obligatorische Einreiseformular – tausenderlei Fragen auf einem winzigen Zettel – im Flugzeug vergessen. Nach zehnstündigem Flug um drei Uhr früh auf dem Indira-Gandhi-Flughafen in Neu-Delhi, nach einer gefühlten Ewigkeit in der Ausländerschlange mit einem Vorgeschmack auf das Schneckentempo der indischen Bürokratie vernebelt Müdigkeit Almas Kopf.

      Endlich hat sie ein Ersatzpapier für das vergessene Einreiseformular ausgefüllt und sich erneut am Ende der Schlange eingereiht. Wieder fixiert sie der Beamte missmutig. Mit herablassender Miene blättert er vor und zurück im Pass, hält das Visum dicht vor seine Augen, setzt den Stempel aufs Stempelkissen, legt ihn wieder ab und starrt ihr ins Gesicht. Alma blinzelt. Stimmt etwas mit ihrer Augenfarbe nicht? Jetzt blättert er wieder. Almas Fußspitze tappt auf den Boden, ihre Nackenmuskeln spannen sich an. Mit geradezu übermenschlicher Anstrengung hält sie zurück, was ihr ganz vorne auf der Zunge liegt und was sie Autofahrern, die in zugeparkten Straßen millimeterweise vorankriechen, gerne aufmunternd zuruft: »Come on, baby, du schaffst es!«

      Neidisch blickt sie auf die Inder, die lässig und zügig den Schalter für residents passieren und, wie Alma findet, mit einem aufreizend triumphierenden Lächeln zu ihr herüberblicken. Doch, jetzt! Tatsächlich ergreift der Beamte den Stempel und nach einer weiteren zögerlichen Schweberunde landet dieser mit einem Knall wie ein Startschuss auf den Seiten des Visums.

      Vor lauter Erleichterung strahlt Alma den alten Miesepeter an, der schon mit allerknappster Handbewegung den nächsten Reisenden heranwinkt.

      »Bye, bye!«, flötet sie und eilt erlöst Richtung Gepäckausgabe.

      Am Kofferband herrscht Hochbetrieb. Rumpelnd und polternd trifft Koffer auf Koffer über die Rutsche ein. Gepäckkarren, kreuz und quer vor dem Band geparkt und teilweise schon turmhoch bepackt, versperren Alma den Weg. Auf Zehenspitzen tänzelnd versucht sie, ihren Koffer auszumachen. Der vertraute dunkelgrüne ist nicht zu entdecken. Ihre Augen brennen vor Schlafmangel und den Nachwirkungen der Desinfektionswolke, die kurz vor Verlassen der Maschine wie eine Unkrautbekämpfungsmaßnahme von den indischen Stewardessen über alle Passagiere gesprüht wurde. Bei dem Gedanken daran wallt in Alma noch einmal Empörung auf: Kommt sie nicht aus einem geradezu keimfreien Land? Und besucht sie nicht einen zugegebenermaßen von vielen Plagen heimgesuchten Subkontinent? Wie kann es sein, dass sie desinfiziert werden muss? Irgendwie setzt das ganze Empfangsprogramm ihren freudigen Erwartungen einen Dämpfer auf.

      Jetzt stoppt die Kofferrutsche. Und wo ist nun ihr Koffer? Sie drängelt sich nach vorne – nichts! Sie hat es ja geahnt! Hier steht sie nun in Delhi, und ihr Koffer wurde einfach nach Vancouver durchgecheckt. Oder Sydney. Alles verloren: ihr weißes Kostüm für den Vortrag bei der Konferenz, ihr neuer Bikini, ihre Sonnencreme Lichtschutzfaktor 50 – ach, ach, ach.

      »No problem!«, tönt es da von der Seite.

      Alma wendet sich nach links. Aber hallo, klar gibt’s hier ein Problem, möchte sie sofort gereizt dagegenhalten, doch augenblicklich steigt warme Freude in ihr auf, als ihr ein breites Lächeln entgegenblitzt, viele weiße Zähne und strahlende dunkle Augen.

      »No problem. Coming, coming!«, beruhigt sie kopfwackelnd der Inder neben ihr, der mit weicher Geste in Richtung der stillstehenden Kofferrutsche wedelt.

      Problem hin oder her, plötzlich fühlt Alma sich glücklich. Da hat Indien echt hart daran gearbeitet, dem sich womöglich überlegen fühlenden firangi (Weißer/Fremder) die kalte Schulter zu zeigen, mit giftigen Dämpfen, kleinkrämerischer Bürokratie und arroganten Staatsdienern – und was hat’s genützt? Gar nichts! Ein einziges herzliches Lächeln plus liebenswürdigem Wortgeklingel, und Alma fühlt sich willkommen und freundlich aufgenommen.

      Und Wunder über Wunder, nach weiteren zehn Minuten setzt sich die Kofferrutsche abermals aufheulend in Bewegung und speit drei Nachzügler aus, darunter Almas grünen Koffer, den sie mit einer überschwänglichen Umarmung vom Band stemmt.

      In der Ankunftshalle empfängt Alma dröhnender Lärm. Massen dunkler Menschen drängen gegen Barrieren, schwenken Schilder mit aufgemalten Namen, winken, rufen, schreien. In Almas Kopf dreht sich alles. Klar, Indien hat mehr als eine Milliarde Einwohner, meldet ihr Verstand, aber warum sind die verflixt noch mal alle hier? Ihr inneres System funkt Alarm: Nix wie weg!

      Widerstandslos

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