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Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch
Читать онлайн.Название Der Dreißigjährige Krieg
Год выпуска 0
isbn 9783962818555
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Документальная литература
Серия Sachbücher bei Null Papier
Издательство Bookwire
Daran, dass er zum Tode verurteilt werden würde, zweifelte er nicht mehr; aber dass das Urteil ausgeführt würde, das glaubte er doch nicht, im letzten Augenblick würde die Gnade des Kaisers dazwischentreten.
Es war ein dunkler Novembertag, als ihm angekündigt wurde, dass er sein Gefängnis verlassen müsse, um nach dem Rathause übergeführt zu werden: ein weiteres Zeichen des nahen Endes. Die lange Haft hatte ihn so schwach gemacht, dass er ohne Hilfe die steile Treppe nicht hinuntersteigen konnte. Das Zimmer, das ihm angewiesen wurde, war größer und luftiger als das vorige, die Tür war von Soldaten bewacht, die bloße Schwerter in der Hand und Gewehre über der Schulter hängen hatten. Im Laufe des Tages wurde ihm das Todesurteil zur Kenntnis gebracht, und gleichzeitig kam der Jesuit, der ihn vorbereiten und seine Beichte empfangen sollte. Anfänglich gebärdete sich Rußworm ungestüm entrüstet als das Opfer boshafter Ränke und tyrannischer Willkür; aber die verständnisvolle Milde des Geistlichen machte ihn allmählich zugänglicher. »Ich glaube Euch«, so etwa sagte dieser, »dass rachsüchtige Feinde die Ursache Eures Todes sind, auch mag es sein, dass jener Belgiojoso nicht von Eurer Hand gefallen ist oder dass er Euch nach dem Leben stellte; aber anstatt an Eure Feinde und ihr Unrecht zu denken, vergleicht Euch mit jenem Mercoeur, der, ein tadelloser Held, durch den Willen Gottes unter Ketzern sterben musste, oder vergleicht Euch mit dem Herrn Christus, unserem Heiland, der zwischen Missetätern am Kreuze hing. Scheint es Euch dann noch, als ob Ihr schuldlos littet? Ist kein Flecken auf Eurem Gewissen, den mit Eurem Blute tilgen zu dürfen Euch lieb sein sollte?«
Rußworm wurde hierauf schweigsam und nachdenklich. Da der Pater ihn nach einer Weile fragte, ob er das heilige Abendmahl zu nehmen wünsche, bat er, zunächst eine Weile allein bleiben zu dürfen; er fühle das Bedürfnis, in sein Inneres einzukehren und sich mit Gott zu versöhnen, bevor er das Sakrament empfinge.
Dunkel zusammengeballt waren Gefühle und Gedanken in der Seele des Feldherrn emporgestiegen; es graute und gelüstete ihn zugleich, sie zu entwirren. Er trat an das Fenster und sah in die unruhige Spätherbstnacht hinaus: wie eine Herde hungriger Wölfe jagte der Wolkenhimmel über die schaudernde Stadt hin. Vor der kalten, nassen Luft, die durch die Fugen drang, zog Rußworm unwillkürlich seinen Mantel dichter über sich zusammen. Es fiel ihm auf einmal die langvergangene Zeit ein, wo er sich vor der Dunkelheit in die Arme der Mutter geflüchtet hatte. Wie hatte ihn einst ihr Kuss beseligt, mit dem sie zuweilen, wenn er fragend zu ihr aufsah, ihm die Augen schloss! An seinem Bette hatte sie das Lutherlied gesungen, und er erinnerte sich plötzlich deutlich an das trotzige Blitzen ihrer schönen Augen, das sich für ihn mit dem Gesang verknüpfte. Wie hatte er später, als Katholik, dies Lied so hassen können, dass er, wenn er es in einer Kirche singen hörte, sich kaum zurückhalten konnte, mit seinen Soldaten einzubrechen und den Ketzern mit dem Schwerte das Maul zu stopfen? Hatte er sich überhaupt immer zurückgehalten? Fast nie mehr hatte er an seine Kindheit zurückgedacht; der Tag seines Religionswechsels hatte ihn von der Wurzel seiner Vergangenheit losgerissen und den Stürmen des Schicksals preisgegeben. In die blendende Zukunft stürzte er sich, deren Gipfel er in einem Anlauf nehmen wollte, einen Gipfel des Ruhmes, des Reichtums, aller irdischen Genüsse. Wer ihm dabei im Wege stand, den betrachtete er als seinen Feind; niemals war es ihm in den Sinn gekommen, das Recht der anderen und eigenes Recht oder Unrecht abzuwägen.
Ein graues Schloss im Elsaß stieg vor ihm auf, dessen unheilvolle Schwelle seine Erinnerung nie wieder betreten hatte; nun tat er es unwillig, mit der Hand den Griff des Fensterkreuzes umklammernd. Im Auftrage seines damaligen Vorgesetzten, des Marschalls Bassompierre, hatte er es besetzt und zugleich den Schutz einer vornehmen Dame und ihrer Tochter übernommen, die sich dorthin geflüchtet hatten. Die Mutter war schöner; aber das Mädchen, fast noch Kind, hatte ihn wie einen Gesandten Gottes angesehen, dessen Beruf es sei, das Böse auf Erden zu bekämpfen, und ihr bewundernder, unbewusst sich hingebender Blick hatte ihn hingerissen. Nachdem er sie verführt hatte, schien es ihm, als habe sie schuld an der ärgerlichen Sache, und die Empörung und Verzweiflung der Mutter und das Flehen des Kindes erregten eine so grausame Lust in ihm, dass er die Geschändete in einer wilden Nacht seinen trunkenen Kameraden überließ. Er fühlte keine Reue, sondern Wut und Hass, als er die entehrenden Worte hören musste, mit denen Marschall Bassompierre ihm seine unritterliche Tat vorwarf. Vor schmachvoller Strafe rettete ihn die Flucht, und schon wähnte er sich sicher, als ein zufälliges Abenteuer ihn wieder in die Hände des Marschalls führte, der unverzüglich das Todesurteil an ihm vollziehen wollte.
Damals war er verfallen. Warum büßte er nicht willig seine ersten Verbrechen? War es Gott, der ihm noch einmal die Freiheit gab, damit er sich durch edle Taten entsündigte? Er jedoch hatte die Frist benützt, um sich desto tiefer in die Hölle zu verstricken. Jetzt schien es ihm, als habe er, während er sich der zweiten glücklichen Flucht gerühmt und sie als Gewähr betrachtet habe, dass er gefeit vor Gefahren sei, zutiefst in der Brust das Bewusstsein getragen, dass er ein entronnener Verbrecher sei. Er sah sich, wie er den Soldaten, den Kameraden, den Vorgesetzten erschien: stolz, gefürchtet, bewundert, gehasst; wie ihm nichts genügte und eine sinnlose Ungeduld ihn vorwärts trieb. Die Siege, die ein anderer errang, freuten ihn nicht, die Ehren, die anderen zuteil wurden, schmerzten ihn schlimmer als Wunden. Ermordet hatte er weder Schwarzenberg noch Mercoeur, noch Solms; aber hätte er sie nicht sterben lassen, wenn es in seiner Macht gewesen wäre? Gewiss war, dass ihr Tod ihm willkommen war und dass er sich einbildete, Gott habe alle diese Männer hingemäht, damit er aufstiege. Er, der alle hasste, die über ihm waren, vergab niemals Neid oder Eifersucht und Widersetzlichkeit, die sich gegen ihn richteten. Er sah sich bei Raab, als die Türken besiegt und in die Flucht geschlagen waren, wie er, trunken vom Schlachten, triefend und klebend von Schweiß, Schmutz und Blut, durch das verlassene Lager der Türken voll der von ihnen zurückgelassenen Schätze ritt, deren größter Teil ihm, als dem Feldobersten, zufallen musste. Als sein Blick auf zwei