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worden.

      Auf den ersten Blick sah die Beute vielversprechend aus. Pauls Einschätzung über den Inhalt der Schließfächer schien ein Volltreffer zu sein. Er konnte Dutzende Colliers, Armreifen, Ketten und andere Schmuckgegenstände ausmachen. Dazu kamen antik aussehende Kästchen, Reiseaccessoires und diverse Papiere wie Schuldverschreibungen, Wertpapiere und Dokumente, die er zu einem späteren Zeitpunkt sichten wollte. Dies konnte sich zu seinem bisher größten Coup entwickeln, dachte Paul. Wenn seine Truppe sich in den nächsten Wochen zusammenriss, und wenn der Verkauf über diverse Hehler wie geplant über die Bühne ging.

      »Also, Leute. Erst mal: super Arbeit. Ich denke, wir können stolz auf uns sein. Mit ein bisschen Glück könnten wir für einige Zeit ausgesorgt haben. Aber«, Paul verschärfte seinen Tonfall, »das funktioniert nur, wenn wir uns exakt daran halten, was wir vorher besprochen haben. Ist das allen klar?«

      Allgemeines Kopfnicken unterbrach kurz das Grinsen und Händereiben.

      »Das heißt: Jeder begibt sich an seinen vereinbarten Ort. Wir verteilen uns und halten die Füße still. Ihr bleibt während der ganzen Zeit getrennt. Achtet darauf, dass ihr nicht zu viel trinkt. Ihr wisst, was dann passieren kann!«

      »Paul. Jetzt lass doch nicht dermaßen den Schulmeister raushängen! Wir wissen Bescheid. Aber ein bisschen Feiern ist ja wohl erlaubt, oder?«, maulte Simon.

      »Ihr wisst selbst ganz genau, was ich meine, Leute. Wenn einem von euch was rausrutscht, sind wir alle dran, und die ganze Arbeit war für die Katz. Und noch etwas: Es wird die Zeit kommen, dass ihr ungeduldig werdet. Ich weiß das. In zwei oder drei Wochen werdet ihr denken: Wo bleibt denn nur der alte Paul mit dem Schotter? Hat der sich etwa aus dem Staub gemacht? Und dann passieren Fehler. Glaubt mir, ich hab es selbst schon erlebt. Ihr müsst mir vertrauen. Anders funktioniert das nicht. Und es kann dauern. Einen solchen Haufen vernünftig zu verkaufen, geht nicht innerhalb von ein bis zwei Wochen.«

      Ethan rutschte auf der Sessellehne herum, auf der er Platz genommen hatte. Seine Augen glitten unstet hin und her. »Aber du meldest dich ganz bestimmt bei uns, Paul?«

      »Ich verspreche es.«

      Die Vier beglückwünschten sich noch einmal zu ihrem gelungenen Coup, zogen ihre Jacken an, schnappten sich ihre privaten Taschen und verließen nach sehr unterschiedlichen Verabschiedungen jeweils im Abstand von einer halben Stunde die Wohnung. Die Euphorie war verflogen. Eine gewisse Ängstlichkeit und auch etwas Misstrauen ihm gegenüber hatte sich stattdessen breitgemacht. Paul spürte das deutlich. Aber anders ging es nun mal nicht.

      Allein in der Wohnung machte er sich daran, eine erste grobe Kalkulation vorzunehmen. Er hatte genug Erfahrung, um bei den meisten Gegenständen den Wert in etwa einzuschätzen und den Hehleranteil abzuziehen. Nach gut zwei Stunden erhob er sich, strich sich über die Haare und pfiff lächelnd durch die Zähne. Grob kam er auf einen Reingewinn von 1.200.000 Pfund. Das wären dann 600.000 für ihn. Nicht schlecht. Aber zunächst einmal standen ihm anstrengende Wochen bevor.

      Sein Blick fiel auf einen Briefumschlag, den er bisher übersehen hatte. Er sah alt und vergilbt aus. Das Format war ungewöhnlich und heutzutage sicher nicht mehr üblich. Der Umschlag war geöffnet, die Lasche nur wieder eingesteckt. Paul öffnete ihn vorsichtig und zog ein ebenfalls gelbes und fleckiges Stück Papier heraus. Der untere Rand schien abgerissen zu sein. Eine Seite war handschriftlich beschrieben, die Tinte gut erhalten. Aber entziffern konnte Paul zunächst nichts. Diese Schrift hatte er noch nie gesehen. Wort für Wort versuchte er, irgendetwas zu entschlüsseln, bis er schließlich drei Buchstaben fand, die mit ein wenig Fantasie das deutsche Wort »das« bedeuten konnten. Zumindest das »a« war ziemlich eindeutig, das »s« sah allerdings wie eine »1« aus. Paul war neugierig geworden. Ein alter deutscher Brief in einem englischen Schließfach? Er nahm sich vor, Nathan, dessen Familie aus Deutschland stammte, danach zu fragen.

      5. Kapitel

      Münster, Februar 1944

      Alfred von Strelitz war auf dem Weg nach Hause. Er hätte, wie üblich, seinen Chauffeur bitten können, ihn zu fahren, aber er musste nachdenken. Außerdem war das Wetter an diesem späten Februartag so schön, dass er Lust auf einen Spaziergang verspürte. Er hatte seine Dienststelle in der Bismarckallee 5 verlassen und war in östlicher Richtung aufgebrochen. Eine knappe Stunde würde er schon brauchen, bis er seine Wohnung in der Diepenbrockstraße erreichen würde. Zumal er einen kleinen Umweg über den Bahnhof eingeplant hatte, um mit seinem Mitarbeiter, Untersturmbannführer Keller, den morgigen Tag durchzusprechen. Sie erwarteten nach langer Zeit mal wieder eine Lieferung aus dem Osten.

      Von Strelitz war seines Zeichens Sturmbannführer bei der Allgemeinen Schutzstaffel, kurz SS genannt. Mit seinen 51 Jahren stand er noch sehr weit unten auf einer möglichen Karriereleiter, aber das war ihm eigentlich auch recht so. Ihm fehlte es sowohl an Ehrgeiz als auch an der für höhere Posten erforderlichen politischen Einstellung. Die Partei war ihm egal. Natürlich hatte er damals eintreten müssen, als man ihm diesen Posten angeboten hatte, aber er beschäftigte sich kaum mit parteiinternen Inhalten, und der große Krieg interessierte ihn nur insofern, als dass er hoffte, ihn zu überleben, und dass Deutschland möglichst bald den verdienten Sieg einfuhr. Er genoss das Privileg, in seiner Heimatstadt Münster arbeiten zu können, und ließ sich gerne von seiner Frau Ruth bekochen, was seinem Leibesumfang deutlich anzusehen war. Außerdem verbrachte er viel Zeit mit seiner 14-jährigen Tochter Lina, die für ihn trotz der fortgeschrittenen Pubertät sein kleines Mädchen blieb.

      Nachdenken musste er, weil ihm eine Sekretärin in der Gauverwaltung gerade einen Brief überreicht hatte, den er überhaupt nicht erwartet hatte.

      »Herr Sturmbannführer, ich habe hier ein Schreiben aus England für Sie«, hatte sie ihm diskret zugeflüstert. »Sie wissen, dass das ein eher ungewöhnlicher Vorgang ist, den ich eigentlich melden müsste. Die Poststelle hat ihn natürlich sofort geöffnet und den Inhalt überprüft. Aber es scheint sich nur um familiäre Angelegenheiten zu handeln. Seien Sie trotzdem ein wenig vorsichtig!«

      Er mochte diese Belinda. Sie war stets umsichtig und bemüht, Aufsehen zu vermeiden.

      Alfred wusste genau, von wem der Brief kam, und dass die Poststelle ihn gelesen hatte, machte ihm keine Sorgen. Aber trotzdem hatte er gerade heute, nach sechs Jahren, nicht damit gerechnet. Was konnte das bedeuten? Gutes eigentlich nicht. Natürlich waren die Zeiten unsicherer geworden. Schon seit drei Jahren fielen immer wieder Bomben auf die Stadt, aber dem Endsieg in absehbarer Zeit stand doch wohl nichts entgegen? Seine Gedanken wanderten 29 Jahre zurück, nach …

      *

      Ypern, Belgien, April 1915

      So wie zigtausend andere hatte sich Alfred mit seinen 21 Jahren im Sommer 1914 begeistert für den Kriegsdienst gemeldet. Schließlich musste man den befreundeten Österreichern helfen, und dass der Russe den Serben zur Seite sprang, sollte ihn teuer zu stehen kommen. Wenn dann auch noch die westlichen Nachbarn, Belgien, Frankreich und sogar England und Kanada, sich gegen das Kaiserreich formierten, musste eben aus allen Rohren geschossen werden. Es hatte ihn an die Westfront nach Flandern verschlagen.

      Längst war die Anfangseuphorie verflogen, zu viele Kameraden hatten ihr Leben verloren. Den Tränengasangriff der Franzosen hatte er mithilfe feuchter Tücher vor dem Gesicht überstanden und war nicht, wie einige seiner Mitstreiter, panisch aus den Gräben gesprungen, um dann brutal abgeschossen zu werden. Der französische Giftgasangriff war für die Deutschen eine wunderbare Begründung dafür, ihrerseits einen deutlich gefährlicheren Stoff, nämlich Chlorgas, einzusetzen. Alfred war das recht. Er wollte einfach nur weg hier. Von seiner Position aus konnte er beobachten, wie einige höhergestellte Kameraden Stahlflaschen mit dem Gas vorbereiteten. Es war mucksmäuschenstill. Der Gegner ahnte wohl, dass etwas bevorstand, und die deutschen Soldaten warteten gespannt auf die Wirkung der tödlichen Substanz. Die üblichen Feuergefechte waren jedenfalls eingestellt worden. Plötzlich sah man eine riesige gelblichweiße Gaswolke in Richtung der gegnerischen Gräben ziehen. In dem Moment, als sie den Feind erreichte, erschollen grauenhafte Schreie aus tausenden Kehlen. Männer stürzten aus den zur Falle gewordenen Gräben, in denen sich das Gas sammelte, rissen die Arme hoch, griffen sich an die Kehle und brachen

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