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Tisch legt.

      »Und … das war’s schon?«, fragt Appaz und merkt, wie seine Stimme zittert.

      Ohne eine Antwort zu geben, beginnt die Ärztin, die Wunde zu vernähen. Appaz bewundert sie im Stillen. Das ist cool, denkt er, echt cool. Sollte ich mal ein Beil im Kopf stecken haben, möchte ich auch, dass sie es mir rauszieht. Ich sollte sie vielleicht nach ihrem Namen fragen.

      Plötzlich ist ein Zivi da. Seine Augen flackern unsicher in einem Gesicht, das nach Schlaf schreit. Entweder ist er noch nicht lange dabei, denkt Appaz, oder er hat sich die halbe Nacht mit Gras zugedröhnt. Die Wolke, die den Zivi umgibt, lässt eher Letzteres vermuten.

      Als die beiden anfangen, dem alten Mann die nassen Klamotten auszuziehen, geht Appaz wieder auf den Gang hinaus. Er überlegt, ob er die Gelegenheit nutzen und einfach verschwinden soll. Aber er will die Ärztin ja noch nach ihrem Namen fragen.

      Nach einer Weile kommt der Zivi mit dem Bett. Appaz greift nach der Hand des Alten, die kraftlos über den Rand hängt, und legt sie ihm vorsichtig auf den Bauch.

      »Also dann«, sagt er und nickt der Ärztin zu. »War nett, Sie kennengelernt zu haben.« Er wartet, bis der Zivi um die Ecke ist. »Ach ja, ich wollte noch fragen …«

      »Gehen wir ins Arztzimmer«, unterbricht ihn die Ärztin. »Ich habe Ihnen ja einen Kaffee versprochen. Und den Papierkram müssen wir auch noch erledigen.«

      Appaz folgt ihr. Unter der blauen Baumwollhose zeichnet sich deutlich ihr Slip ab. Auf der Rückseite des Kittelhemdes sind ein paar verwaschene Blutflecken.

      Dann sitzen sie sich gegenüber an einem Schreibtisch, dessen Platte nahezu vollständig von irgendwelchen Papieren und einem Wirrwarr aus Arzneimittelpackungen, Rezeptblöcken und Werbekugelschreibern verschiedener Pharmafirmen bedeckt ist. Es regnet inzwischen stärker. Die Regentropfen lassen den Blick durch die Scheibe nach draußen verschwimmen und trommeln eintönig auf das Fensterbrett.

      Die Ärztin dreht abwesend ihren Kaffeebecher zwischen den Händen. Appaz verbrennt sich gleich mit dem ersten Schluck die Zunge, lässt sich aber nichts anmerken, sondern zieht sich nur die Jacke auf und streckt die Beine aus. Der Schirm der Schreibtischlampe ist gegen die Wand gedreht. Eine Kinderzeichnung hinter Glas zeigt ein Mädchen im Krankenbett; die Sternschnuppe, die am oberen Bildrand für immer festhängt, ist leuchtend gelb.

      Appaz würde gerne rauchen. Er räuspert sich.

      »Das ist mir auch noch nicht passiert«, sagt die Ärztin im selben Moment. »Aber neulich hatte ich zwei junge Männer, beide Fixer, beide schwul. Der Eine hatte dem Anderen ein Messer in den Hals gerammt, irgendeine Eifersuchtsgeschichte. Aber dann hat er Angst gekriegt, dass er ihn umgebracht hat, und ist mit ihm hierhergekommen. Mit einem blutdurchtränkten Küchenhandtuch auf der Wunde.«

      »Und?«

      »Zum Glück hatte er nicht die Ader getroffen.«

      Sie lacht. Dann beugt sie sich vor und streckt Appaz die Hand hin.

      »Darleen.«

      Für einen kurzen Augenblick ist er irritiert. Aber Darleen klingt nicht nach einem Nachnamen.

      »Kurt«, sagt er also und schüttelt die ausgestreckte Hand. Nur um seine eigene gleich darauf zurückzuziehen und hektisch in der Innentasche seiner Lederjacke nach einer Autogrammkarte zu suchen.

      »Auf der Rückseite steht meine Homepage«, sagt er. »Und E-mail und alles.«

      Die Ärztin blickt auf das Foto und zurück zu Appaz.

      »Sie sind das also. Ich kenne einen Roman von Ihnen. Hat Spaß gemacht, ihn zu lesen. Aber dass ich jetzt hier plötzlich mit Ihnen sitze, hätte ich nie gedacht!«

      »Mit dir«, korrigiert Appaz. »Darleen und Kurt. Du hast damit angefangen, nicht ich.«

      »Kurt«, wiederholt die Ärztin lachend. »Gut. Gerne.«

      Appaz überlegt, ob er fragen soll, welchen Roman sie gelesen hat. Aber die Frage erscheint ihm plötzlich zu heikel. Er will es gar nicht so genau wissen, vielleicht würde sie etwas sagen, was ihm nicht gefällt. Lass es langsam angehen, denkt er, ich weiß ohnehin gar nicht, was das hier werden soll…

      Mit sicherem Griff fischt die Ärztin jetzt eine Zigarettenschachtel aus dem Chaos auf ihrem Schreibtisch. Der Aschenbecher ist in der obersten Schublade versteckt und müsste dringend geleert werden.

      Sie hält Appaz die Schachtel hin.

      »Ich dachte, Ärzte rauchen nicht«, sagt Appaz.

      »Ärzte trinken auch zu viel, die meisten jedenfalls.«

      Appaz nickt. »Schriftsteller auch. Fallada soll angeblich 140 Zigaretten am Tag geraucht haben. Und Jack London hat nur deshalb morgens um vier schon zu schreiben angefangen, weil er unbedingt tausend Worte geschafft haben wollte, bevor er sich den ersten Whiskey genehmigte, so gegen acht dann.«

      Du redest Blödsinn, denkt er gleichzeitig, was um alles in der Welt laberst du da? Doch dann erzählt er auch noch von Erich Kästner, der ebenfalls Kettenraucher war und grundsätzlich nicht vor zwei Uhr mittags aufstand, weil er jede Nacht in der Kneipe verbrachte. Aber wenigstens die Geschichte von Brendan Behan spart er sich, der seine Schreibmaschine gleich auf der Theke aufgebaut hatte und zwischendurch gerne auch mal ins Spülbecken kotzte.

      Die Ärztin lässt ihr Feuerzeug aufflammen. Unter ihren Augen sind dunkle Schatten, die Appaz vorher nicht bemerkt hat.

      Als es an der Tür klopft, schrecken beide hoch. Der Zivi stammelt irgendwas, dass der Alte wieder bei sich ist und unbedingt nach Hause zu seiner Frau will.

      Die Ärztin drückt ihre Kippe aus.

      »Ich muss mich kümmern«, sagt sie zu Appaz.

      »Und der Papierkram?«, fragt Appaz. »Soll ich hier warten?«

      Die Ärztin schüttelt den Kopf.

      »Schlaf dich aus. Und nimm eine Aspirin, bevor du ins Bett gehst, damit du morgen ein paar zusammenhängende Sätze aufs Papier bringst.«

      Dann ist sie auch schon zur Tür raus.

      Appaz steht einen Moment unschlüssig vor ihrem Schreibtisch, bevor er nach einem Kugelschreiber greift und seine Handynummer auf der Autogrammkarte notiert. »Ich würde mich freuen«, schreibt er dahinter, »K.«

      Der Pförtner guckt schnell weg, als Appaz aus dem Fahrstuhl kommt.

      Draußen regnet es immer noch. Am Eingang zur UBahn-Station zögert Appaz einen Moment. Dann entschließt er sich, zu Fuß zu gehen. Wahrscheinlich ist die letzte U-Bahn ohnehin längst weg, denkt er, und es ist lange her, dass du nachts alleine durch die Stadt gelaufen bist, wird mal wieder Zeit für einen ordentlichen Fußmarsch. Und deinem Kopf kann es nur gut tun, Alter.

      Als wieder irgendwo ein Hund bellt, muss er grinsen. Wenn sie sich das nächste Mal sehen, wird er Kerschkamp von dem Mann mit dem Beil in Kopf erzählen. Dagegen ist die Geschichte mit der Gummipuppe gar nichts, das wird auch Kerschkamp zugeben müssen. Von Darleen wird er ihm nichts erzählen. Oder vielleicht doch, das macht die ganze Sache vielleicht glaubwürdiger. Quatsch. Gerade das wahrscheinlich nicht. Du bist immer noch betrunken, denkt er, und guck mal, da vorne ist die Fahrschule, wo Kerschkamp und ich den Führerschein gemacht haben, aber damals haben wir noch auf einem Käfer gelernt und nicht auf einem tiefergelegten Golf mit Regensensoren und solchen Sachen! Wie lange kennt er jetzt Kerschkamp eigentlich schon? Bestimmt fast vierzig Jahre, nein, sie sind ja schon in der Volksschule zusammengewesen, das macht über vierzig Jahre, mindestens.

      So viel Zeit, denkt Appaz, aber wir sind immer noch befreundet, und das ist gut.

      Zu Anfang mochte Appaz Kerschkamp nicht besonders. Kerschkamp war groß und dick und schwitzte stark, und außerdem war Appaz sich sicher, dass Kerschkamp ihm gleich in der ersten Woche seine Buntstifte geklaut hatte. Aber als er sich endlich traute und Kerschkamp zur Rede stellte,

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