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einem Perkolationsverhalten. Zunächst, bei nur wenigen Teilnehmern, krochen die Tiere in der Arena einzeln in verschiedenen Richtungen umher, dann in willkürlich bewegten kleinen Gruppen, und erst ab etwa 50–100 Tieren pro Quadratmeter änderte sich das Verhalten schlagartig: Jetzt entstand eine Große Gruppe, die gemeinsam, alle in einer Richtung wie ein strömender Fluss die Arena umkreiste. Der Schwarm war geboren. Die Ähnlichkeit dieses Vorgangs mit unserem Bierdeckelspiel und den dabei entstehenden Inseln bis hin zur Perkolation ist schon frappierend und sicher nicht zufällig. Dichte erzeugt Verbindung und Zusammenhang, und das wiederum führt auf gleichförmiges Verhalten.

      Die Perkolationstheorie und das plötzliche Entstehen von zusammenhängenden Gebilden findet wie gesagt eine Vielzahl von Anwendungen in den verschiedensten Bereichen. Dicht zusammengepresste Atomkerne bilden eine neue Form von Materie, Quarkmaterie, aus der das sehr frühe Universum bestanden hat. Gaswolken im etwas späteren Universum treffen zusammen und bilden Galaxien. Und in dem uns hier interessierenden Bereich bilden sich fast immer Schwärme, wenn genügend viele Tiere auf engem Raum zusammenkommen.

      Es gibt aber noch weitere Fragen zu unserem Thema, die man durch simple Perkolation nicht beantworten kann. Der Schwarm besteht ja nicht nur aus irgendwie zusammengedrängten Tieren, die einander nun mögen; sie bewegen sich ja auch alle in die gleiche Richtung. Wie verwandelt sich eine Menge von wahllos durcheinanderkrabbelnden Tieren – eines hierhin, das andere dorthin – in eine geordnete Marschtruppe, in der alle zusammen in eine bestimmte Richtung ziehen? Zu diesem Problem kehren wir gleich zurück, nachdem wir zunächst das ganz ähnliche Problem bei Starenschwärmen erläutert haben.

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      Die Stare von Rom

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      Foto: Tommy Hansen

      Der Palazzo Massimo in Rom liegt im Zentrum der Stadt, schräg gegenüber vom Hauptbahnhof Roma Termini und beherbergt eine der größten Sammlungen römischer und griechischer Kunst und Kultur. In den drei Wintern von 2004 bis 2006 fanden dort ungewöhnliche Vorgänge statt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Rom, Biologen und Physiker, hatten auf dem Dach des Palazzo stereografische Hochgeschwindigkeitskameras installiert, mit denen sie Millionen von Aufnahmen von Vogelschwärmen machten, die auf nahe gelegenen Bäumen übernachteten, um dann tagsüber zur Futtersuche auf ferne Felder zu fliegen. Es handelte sich dabei um die allgemein bekannten Stare (Abb. 4.1), die die Angewohnheit haben, bei der abendlichen Heimkehr längere Zeit in großen Schwärmen Kunstflugformationen vorzuführen – Massenflüge, die bis zu einer halben Stunde anhalten und an denen je Schwarm mehrere Tausend Vögel teilnehmen. So entstehen am Himmel dreidimensionale Gebilde, die herumwirbeln, sich ausdehnen und wieder zusammenziehen, aufsteigen und dann wieder herunterkommen. Wie diese Schwärme zustande kommen und koordiniert werden, war schon immer ein Rätsel; es gibt sicher keinen Choreografen, der die Manöver der Formationen plant und leitet. Die Schwärme müssen sich irgendwie selbst organisieren und ihre Bewegungen bestimmen, durch wechselseitigen Informationsaustausch zwischen den einzelnen Vögeln. Für die Biologen war das schon lange Zeit ein ganz wesentliches Rätsel. Vor den römischen Untersuchungen gab es nur sehr dürftige und kaum aufschlussreiche Daten über recht kleine Vogelgruppen. Andrerseits hatte der Computertheoretiker Craig Reynolds 1987 in Kalifornien ein Programm entwickelt, in dem er Roboter (er nannte sie boids,als Abkürzung von birdoids) frei umherlaufen ließ, mit nur einer einfachen örtlichen Regel:

      Abb. 4.1 Europäischer Star (Sturnus vulgaris).

      Bleib bei deinem Nachbarn, bewege dich in die gleiche Richtung wie er, aber bedränge ihn nicht.

      Das Ergebnis dieses Programms war das Entstehen von Boid-Gruppen, die sich wie Schwärme im Raum bewegten. Es war somit sicher wichtig, zusätzliche und detailliertere Informationen über Struktur und Verhalten von wirklichen Vogelschwärmen zu bekommen.

      Das Ziel des gerade erwähnten und von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekts STARFLAG in Rom war es, die empirische Basis für eine systematische Untersuchung dieses Phänomens zu schaffen. Als mein Kollege Giorgio Parisi, Physiker und Koordinator dieses EU-Projekts mir von den Ergebnissen berichtete, meinte ich sofort, dass man die dort gewonnenen Erkenntnisse mithilfe von ähnlichen Strukturen in der statistischen Physik würde erklären können. Giorgio erwiderte nur, dass ich damit leider zu spät käme – das sei schon vor mehr als zehn Jahren durchgeführt worden, noch vor den Aufnahmen in Rom, nur als eine Modellvorstellung, mit der der ungarische Physiker Tamás Viczek und seine Mitarbeiter zusammenfassend das Schwarmverhalten von verschiedensten Tieransammlungen untersuchen wollten, das von Vögeln wie auch das von Fischen. Wir werden später noch auf diese Arbeiten zurückkommen, nachdem wir einige Ergebnisse der statistischen Physik etwas näher erläutert haben.

      Die Kommunikation innerhalb eines Vogelschwarms hat wie gesagt Forscher schon seit Langem vor Rätsel gestellt. Wie ist es möglich, dass so viele Vögel fast gleichzeitig zur Wendung ansetzen oder fast gleichzeitig landen? Wie wird Information innerhalb des Schwarms weitergegeben? Der britische Ornithologe Edmund Selous hat vor 100 Jahren vermutet, da sei eine Form von Telepathie im Spiel, es gäbe eine kollektive Intelligenz, die alle Vögel miteinander verbindet. Heute aber haben wir aus der statistischen Physik gelernt, dass eine kurzreichweitige Wechselwirkung zwischen benachbarten Teilchen durchaus unmittelbare langreichweitige Konsequenzen zwischen vielen haben kann. Im folgenden Kapitel werden wir näher darauf eingehen. Die inhärente, lokale Reichweite der Wechselwirkung zwischen einzelnen Teilchen und die daraus resultierende effektive, globale Reichweite sind absolut nicht gleich.

      Abb. 4.2 Wendung eines Starenschwarms (nach Ballerini et al. 2008).

      Aber kehren wir zunächst zurück zu den Staren in Rom. Sie wurden simultan von zwei Kameras fotografiert, die 25 m voneinander entfernt standen, mit 20 Bildern pro Sekunde. Bei den Aufnahmen war der Schwarm etwa 100 m von den Kameras entfernt, und es wurde jeweils minutenlang aufgenommen, mit dem Ziel, so eine fortlaufende dreidimensionale Darstellung aller Vögel im Raum zu erhalten. Bei einer sehr viel kleineren Zahl von Vögeln (um die zehn) hatte man so etwas früher schon mithilfe von menschlichen Auswertern versucht, aber stieß dann rasch an messtechnische Grenzen. Die römische Gruppe hatte da einen wesentlichen Vorteil: Sie verfügte über die Analysemethoden, die die Physiker zur Untersuchung von Teilchenerzeugung in hochenergetischen Kollisionen entwickelt hatten, Methoden die auf dem Einsatz von leistungsstarken Großrechnern basierten und bei denen die Messungen mithilfe von umfangreichen Algorithmen durchgeführt wurden. Durch diese Form der Untersuchung ließ sich das Problem tatsächlich weitgehend lösen. Es konnten Tausende von Vögeln identifiziert und vermessen werden, und das bedeutete einen echten Durchbruch in der Schwarmforschung.

      Zunächst einmal konnte man die Größe und Form von Schwärmen festlegen. Diese waren nicht, wie es Beobachtern am Boden zunächst erschienen war, von blasenähnlicher, kugel- oder eiförmiger Struktur. Sie waren vielmehr wie dünne Pfannkuchen, die sich parallel zur Erdoberfläche bewegten. Eine weitere Ausdehnung nach oben erforderte einen Arbeitsaufwand gegen die Schwerkraft, und den versuchten die Teilnehmer soweit möglich zu umgehen. In dieser Ebene gab es sowohl breite als auch lange Schwärme, die ihre Form von der einen zur anderen wechselten. Im Gegensatz zu den Wendemanövern im Militär, bei denen die inneren Teilnehmer praktisch anhalten, während die äußeren rasch umwenden, bleibt im Vogelschwarm die Form erhalten, nur die einzelnen Vögel ändern ihre Richtung (Abb. 4.2). Etwas Ähnliches geschieht, wenn der Schwarm plötzlich nach oben oder nach unten umschwenkt. Man hatte also schon eine Vorstellung von der Bewegung des Schwarms als Ganzes. Wie aber bezieht sich diese auf die Bewegung der Einzelnen?

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