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Informationsverarbeitung und Entscheidungsverhalten von Marktteilnehmern auf Anomalien hin zu analysieren und die dahinterliegenden Muster zu erkennen. Im Idealfall unterbreitet die Behavioral Finance Vorschläge für bessere Finanzentscheidungen.

      Wir vertreten auch ganz bewusst einen holistischen Ansatz: Das heißt, menschliches Verhalten in alltäglichen Situationen (z. B. unserer Risikoverhalten bei Freizeitaktivitäten) kann einen Einfluss auf Anlageentscheidungen haben. Ebenso kann auch die Versorgung mit Versicherungsschutzprodukten (z. B. Lebens- oder Rentenversicherungen) eine Auswirkung darauf haben, dass Menschen an den Kapitalmärkten risikofreudiger agieren. Kann bedeutet aber nicht muss, denn monokausale Begründungsmuster funktionieren in einfachen Modellen, weniger in der Realität.

      Erfolg in Finanzfragen kann beispielsweise mit Gewinnen und Verlusten gemessen werden. Bezugspunkte sind Kaufkurse oder der Anfangsbestand einer Vermögensposition. Ebenso wie zur Bewertung von Gewinnen und Verlusten ein Bezugspunkt benötigt wird, ist dies auch für die Beurteilung von Irrationalität erforderlich. Objektiver Bezugspunkt für das Erkennen von Irrationalität ist das Modell des Homo oeconomicus, der im Verlauf der einzelnen Kapitel immer wieder als Referenzgröße aufgegriffen wird.

      In Hauptkapitel II werden wir uns dann mit den aus unserer Sicht wichtigsten Heuristiken (Daumenregeln für schnelles Entscheiden) und Biases (systematische, kognitive Verzerrungen, denen wir bei Finanzentscheidungen unterliegen können) beschäftigen. Wenn man die einschlägige Forschung konsultiert oder im Internet nach Biases sucht, findet man eine Vielzahl an bis heute erforschten und belegten systematischen Verzerrungen. Wir mussten eine Auswahl treffen und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unser Ziel ist es, ein grundlegendes Verständnis für die Materie zu vermitteln.

      In der folgenden Übersichtsdarstellung (image Abb. E.3) haben wir die von uns ausgewählten Heuristiken und Biases aufgeführt und diese Darstellung soll verdeutlichen, dass das Zusammenwirken der Effekte durchaus komplexer Natur ist.

      Es gibt eine grundsätzliche Struktur, der ein Entscheidungsprozess folgt. Informationswahrnehmung, Informationsverarbeitung und Informationsbewertung sowie letztendlich die Entscheidungsfindung bilden den Kern dieser Struktur. Begleitet wird dies von individuellen Beschränkungen (z. B. Emotionen), Einstellungen zu Risiken oder das Eintreten für bestimmte Werte, um nur einige Aspekte aufzugreifen. Zudem ist die Informationsbasis, auf deren Grundlage wir entscheiden müssen, nicht immer eindeutig. Bisweilen verfügen wir über zu viele Informationen, in anderen Situationen mangelt es uns an umfangreichen oder guten Daten. Selbst bei verfügbaren Informationen können wir nicht immer sicher sein, dass diese objektiv und ausreichend sind – Ökonomen sprechen dann von asymmetrischer Informationsverteilung.

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      Asymmetrische Informationen sind gegeben, »wenn eine Seite besser als die andere Seite über die relevanten Eigenschaften des am Markt gehandelten Gutes informiert ist. Dieser Fall ist z. B. im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, Aktionär und Vorstand oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedeutsam, außerhalb des Marktes aber auch zwischen Politiker und Wähler.« (Brümmerhoff, 2011, S. 98)

      Asymmetrische Informationen waren etwa einer der Auslöser der Finanzkrise 2008/09: Viele private Investoren hätten das ein oder andere Finanzprodukt nicht gekauft, wenn ihnen das wahre Risiko, das dem Anbieter bekannt war, bewusst gewesen wäre. Der Dieselskandal bei VW und die aktuellen Betrugsvorwürfe gegen Wirecard sind weitere Beispiele für asymmetrische Informationen, wenngleich hier auch noch kriminelle Energie hinzukommt.

      Entscheidungsprozesse verlaufen selten linear, vielmehr finden wechselseitige Beeinflussungen statt. So wirkt beispielsweise die selektive Informationswahrnehmung (manchmal sehen wir nur, was wir sehen wollen) unmittelbar auf unser Risiko- und Kontrollempfinden und führt dann zu selektivem Entscheiden. Dies erfolgt jedoch unter Einbeziehung grundlegender Risikoeinstellungen und Wertvorstellungen, die den Rahmen des Entscheidungsprozesses determinieren. In Summe kann die Entscheidung dann entweder auf das Individuum zurückwirken oder, sofern die Masse ähnlichen Mustern folgt, auf die Märkte insgesamt. Uns ist es daher wichtig, darauf hinzuweisen, dass die betrachteten Heuristiken und Biases nicht isoliert betrachtet werden sollten, sondern man muss sich ihrer wechselseitigen Beeinflussungen bewusst sein. In der graphischen Darstellung haben wir diesen Sachverhalt durch das hinterlegte Gitternetz abgebildet. Zudem sind eher emotionale Biases (Herdenverhalten, Risikoumkehr, Dispositions-Effekt, Besitztums-Effekt, Selbstattribution, Status-quo-Effekt und die Regretaversion) hervorgehoben, die übrigen Biases und Heuristiken der Übersicht sind eher kognitiv geprägt (image Abb. E.2). Es ist schon wichtig zu wissen, ob schlechte Entscheidungen eine emotionale oder in kognitive Ursache haben.

      In Hauptkapitel III greifen wir einige Ideen auf, wie Finanzentscheidungen »besser« getroffen werden könnten, wobei der Schwerpunkt auf kognitiven Verzerrungen (kognitiven Störungen des Entscheidungsprozesses) liegt. Emotionale Verzerrungen sind weitaus schwerer zu handhaben und bedürfen meist eines psychologisch geschulten Beraters.

      Seit einiger Zeit wird das Nudging (vom englischen »to nudge« für »schubsen«) in Wissenschaft und Praxis durchaus kontrovers diskutiert. Durch das Nudging soll bewirkt werden, dass Menschen vor Fehlern bewahrt werden. Leichte Schubser in die richtige Richtung sollen, unter Beibehaltung der freien Alternativenwahl, Verbesserungen im Entscheidungsverhalten herbeiführen (Thaler & Sunstein, 2012, S. 14 ff.).

      Da sich das vorliegende Buch auch und gerade an Menschen richtet, die einer Tätigkeit im Finanzsektor (etwa in der Finanzberatung) nachgehen oder diese anstreben, erscheint aus unserer Sicht das Nudging eine geeignete Vorgehensweise zu sein, um im Sinne der Kunden der Aufgabe als Finanzberater nachkommen zu können. Beratung ist nie wertfrei und verfolgt immer eine Absicht. Sofern die Absicht aber im Einklang der Interessen von Kunden, Beratern und der betroffenen Unternehmen steht, kann und wird sich daraus eine nachhaltige Beratungsleistung ergeben.

      Ferner plädieren wir für einen Perspektivenwechsel im Kontext der Vermeidung von schädlichen Heuristiken und Biases (der Advocatus Diaboli etwa ist hierfür bestens geeignet) und bringen den Homo oeconomicus ins Spiel, wenn es denn die Situation zulässt. Bei kognitiven Verzerrungen ist eine sachorientierte Faktenvermittlung grundsätzlich geeignet, um zu besseren Entscheidungen zu gelangen. Denn bei klar strukturierten Entscheidungssituationen (z. B. beim Vergleich eindeutiger Produkt- oder Investitionsalternativen) ist eine Optimierung möglich und geboten. Bei emotionalen Verzerrungen hingegen, wenn Kunden beispielsweise schlecht gelaunt oder beseelt sind, werden Fakten schwierig an die Entscheider heranzubringen sein.

      Da die Zielgruppe dieses Buches u. a. Studierende im Bachelorstudium sind und wir zudem versuchen, auch Praktiker mit diesem Werk in die Grundlagen der Behavioral Finance einzuführen, sind den Kapiteln bisweilen kurze, möglichst realistische Fallstudien zugeordnet.

      Wir können mit unserem Ansatz sicherlich nicht allen Ansprüchen gerecht werden. Sowohl bei der inhaltlichen Strukturierung als auch bei der Auswahl der aufgegriffenen Themen mussten wir, wie im echten Leben auch, Kompromisse eingehen. Vielleicht ist uns dieser Kompromiss ja gelungen (Unterliegen wir etwa dem Optimismusbias?) oder aber wir hätten einen anderen Ansatz wählen sollen (Plagt uns vielleicht die Regretaversion?). Aber als Volkswirte sind wir geübt darin, im Nachhinein zu begründen, warum etwas gut oder weniger gut gelaufen ist.

      Ein derartiges Buchprojekt ist nicht allein umsetzbar und wir wissen, dass wir hierbei Unterstützung hatten. Wir danken Herrn Dr. Uwe Fliegauf vom Kohlhammer Verlag für die freundliche, professionelle und zielführende Begleitung beim Entstehen des Werks.

      Ein ganz besonderer Dank gebührt unseren Ehefrauen. Sie gaben Hinweise für das bessere Verständnis einzelner Passagen und sind eine wertvolle Stütze in allen

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