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könnte. Nach dem Mittagessen begleitete ich sie in ihre Praxis und sah mich um. Nach etwa zehn Minuten hatte ich genug gesehen, bat sie, mit mir vor die Tür zu gehen und sagte:

      »Dies ist eine Kinderzahnarztpraxis, oder? Ich schlage vor, wir betrachten sie jetzt einmal gemeinsam aus den Augen eines Kindes.«

      Und genau das taten wir dann auch. Auf allen vieren krabbelten wir ins Wartezimmer und sahen uns um. »Was siehst du?«, fragte ich meine Freundin. Erstaunt blickte sie mich an und meinte dann, »Hm, wenig bis gar nichts.«

      Und wirklich: Alles befand sich auf Augenhöhe eines Erwachsenen. Die Dame am Empfang war überaus liebenswert und freundlich, aber hinter dem hohen Empfangstresen für Kinder praktisch unsichtbar.

      »Was hältst du davon, den Empfangstresen niedriger zu machen, damit deine kleinen Patienten sehen, dass dahinter eine sehr nette Frau sitzt? Als nächstes achte einmal darauf, was du gerade hörst. Wie klingt das für dich?«

      Wir lauschten. Es klang, als ob irgendein bösartiger Mensch im Behandlungszimmer hilflose Mäuse folterte. Solche Hintergrundgeräusche will kein Kind hören, das zum Zahnarzt muss. Ich schlug meiner Freundin vor, über Lautsprecher eine entspannende Hintergrundmusik laufen zu lassen, deren Takt in etwa dem menschlichen Herzschlag entsprach. Das hätte zum einen eine beruhigende Wirkung auf die Patienten und würde zum anderen die Geräusche aus den Behandlungszimmern übertönen. Ein bisschen schalldämpfendes Material in den Räumen wäre sicherlich auch nicht verkehrt.

      Als ich meine Freundin fragte, wie sie den Praxisgeruch empfand, rümpfte sie spontan die Nase. Kein Wunder, denn es roch, wie es in einer Arztpraxis nun eben einmal so riecht. Bei einem Kind löst dieser Geruch panische Angst aus. Sobald es über die Schwelle tritt und ihn riecht, denkt es sofort an die letzte Spritze, die es bekommen hat, und bekommt Angst.

      Meine Freundin sah mich nachdenklich an. »Wir sollten das Ganze komplett anders aufziehen, oder?«, fragte sie mich.

      »Das sehe ich auch so«, stimmte ich ihr zu.

      Das Problem war, dass meine Freundin ihre Praxis aus Zahnarztsicht statt aus Kindersicht gestaltet hatte. Die Lösung war, eine andere Perspektive einzunehmen, die sich durch die Richtungsumkehr eröffnete, sich als Erwachsener in die Wahrnehmung und Gedankenwelt eines Kindes zu versetzen. Als ich sie das nächste Mal in ihrer Praxis besuchte, bot sich mir ein vollkommen anderes Bild. Sie hatte tatsächlich jeden meiner Vorschläge umgesetzt und seitdem kann sie sich nicht mehr über mangelnden Zulauf beschweren.

      Zündende Ideen lassen selten lange auf sich warten, wenn Sie bereit sind, notfalls auch auf Händen und Knien herumzukrabbeln, um die Dinge aus einer völlig neuen Perspektive zu betrachten und sich vorstellen können, wohin die aktuellen Trends uns in Zukunft treiben könnten. Der ganze Trick besteht darin, mit dem Blick auf das gegenwärtig Machbare schon heute zu vollbringen, was noch als unmöglich erscheint.

      Dass Sie sich Gedanken über Sicherheitsverbesserungen an Bohrplattformen machen oder sich dazu berufen fühlen, die Lösung für die Energiekrise aus dem Ärmel zu schütteln, halte ich für eher unwahrscheinlich. Sie haben sicherlich genug damit zu tun, die Herausforderungen zu meistern, die Ihr Leben für Sie bereithält. Vielleicht sind Sie in einer ähnlichen Situation wie meine Freundin, die Kinderzahnärztin, und möchten Ihr Geschäft ankurbeln. Möglicherweise brauchen Sie dringend eine zündende Idee, um Ihre Firma vor dem Untergang zu bewahren, oder Sie fragen sich, wie Sie trotz der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt Ihrer Karriere auf die Sprünge helfen können. Auch wenn Ihre Probleme vermutlich weniger weltbewegend sind wie Ölteppiche und Umweltkatastrophen, ist ihre Lösung für Sie persönlich sicherlich eine dringliche und vielleicht ebenso unmöglich erscheinende Aufgabe. Die gute Nachricht ist: Egal, ob Sie permanent unter immensem Zeitdruck stehen, die Finanzen knapp werden, Ihr Absatzmarkt schrumpft, Sie sich vor Arbeit kaum retten können oder vor einem scheinbar unüberwindbaren Hindernis stehen, es gibt für jedes Problem die perfekte Lösung – man muss sie lediglich sichtbar werden lassen.

      In die Zukunft zu blicken, war schon immer praktisch, aber noch nie so essenziell wichtig wie heute. Der Wandel vollzog sich früher viel langsamer und in so kleinen Schritten, dass wir relativ mühelos mit ihm mithalten konnten. Bei dem Schwindel erregenden Tempo, mit dem sich der technologische Fortschritt mittlerweile vollzieht, ist es jedoch überlebenswichtig, schon heute zu wissen, was morgen möglich und machbar ist.

      Es gab einmal eine Zeit, in der nur einige Auserwählte – Geistliche, Gelehrte und Kaufleute – lesen und schreiben konnten. Es gab einmal eine Zeit, in der kaum ein Mensch Autofahren konnte oder wollte. Es gab auch einmal eine Zeit, in der nur eine Handvoll Wissenschaftler und Militärstrategen wussten, was das Internet ist und was man damit machen kann. Und bis heute gibt es nur eine Handvoll Menschen, die ganz ohne Kristallkugel in die Zukunft blicken und treffsichere Prognosen erstellen können. Es ist höchste Zeit, dass jeder erfährt, wie das geht.

      Kapitel 1

      Von sicheren Fakten ausgehen

      Am 10. März 1986 marschierte ich über das weitläufige Werksgelände einer großen Firma am Stadtrand von Kansas City in die Fabrikhalle, betrat die Rednerbühne, trat an das Mikrofon und räusperte mich, während ich meinen Blick über die Massen schweifen ließ. Mehrere Tausend Männer und Frauen saßen vor mir und warteten schweigend darauf, was ich ihnen wohl zu sagen hatte. Sie sahen ganz und gar nicht glücklich aus, im Gegenteil. Die Stimmung war miserabel.

      Grund dafür war ein heftiger Disput zwischen dem Management und der Belegschaft der Folgers Coffee Company, der zum Abbruch der Lohnverhandlungen geführt hatte. Zum ersten Mal in der 78-jährigen Firmengeschichte standen alle Maschinen still, damit die gesamte Belegschaft an der Versammlung teilnehmen konnte.

      Einige Wochen vorher hatte mich einer der Manager nach einer Veranstaltung angesprochen und gefragt, ob ich bereit wäre, vor den Angestellten von Folgers zu sprechen, um die ins Stocken geratenen Verhandlungen vielleicht auf diese Weise wieder in Gang zu bringen. Ich wies ihn darauf hin, dass ich als Zukunftsforscher nicht unbedingt der Richtige wäre, um einen Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Disput zu schlichten. Das sei ihm schon klar, meinte er, doch er habe mich über das Thema »Von sicheren Fakten ausgehen« sprechen gehört und das Gefühl, dass sich auf der Basis dieser Idee die Gespräche vielleicht wieder aufnehmen ließen. Einen Versuch war es ihm auf alle Fälle wert.

      Tja, und da stand ich nun, mit trockenem Mund und einem knackenden Mikrofon.

      »Mein Name ist Dan Burrus«, stellte ich mich vor. »Ich bin hier, weil mich Ihr Management darum gebeten hat, mit Ihnen zu sprechen. Ich möchte vorausschicken, dass ich mein Honorar bereits erhalten habe, daher kann ich jetzt eigentlich sagen, was ich will.«

      Angespanntes Gelächter raunte durch die Menge.

      »Bevor wir über irgendetwas sprechen, möchte ich zunächst abklären, ob es Punkte gibt, über die Sie einer Meinung sind«, fuhr ich fort. »Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass Sie alle Ihre Arbeitsplätze behalten möchten?«

      Einige Dutzend nickten grimmig, und ich hakte den ersten Punkt auf der Checkliste ab, die ich an diesem Morgen noch schnell entworfen hatte: Arbeitsplatz behalten.

      »Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass Sie und Ihre Familien nicht umziehen, sondern in Kansas City bleiben möchten?«

      Dieses Mal nickten einige Hundert, und ich hörte das eine oder andere »Verdammt richtig« und »Auf jeden Fall«. Ich hakte den nächsten Punkt ab: in Kansas City bleiben.

      »Gut, was noch? Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass keiner von Ihnen möchte, dass das Unternehmen den Bach hinuntergeht?«

      Das ging noch eine ganze Weile so weiter, bis wir schließlich eine Liste von 40 Punkten hatten, über die sich alle einig waren. Ich las sie noch einmal im Zusammenhang vor, ließ meinen Blick über die Masse der Angestellten und das kleine Grüppchen der Führungskräfte schweifen und verkündete dann: »Sie haben sich auf 40 Punkte geeinigt. Jetzt müssen Sie nur noch gemeinsam einen Weg finden, wie Sie sie umsetzen können.«

      Das Verblüffende war: Es klappte. Der Disput war

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