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wir sie dann behalten?« trällerte Bernemann lauthals, bevor er einen neuen gehäuften Löffel Eis einfuhr.

      »Das ist nicht ungefährlich, junger Mann«, warnte der Kommissar. »Du solltest die Waffe auf keinen Fall anfassen.« Er reichte mir eine Visitenkarte mit einer Polizeirevieranschrift in Aurich. »Rufen Sie mich an, wenn Ihnen etwas auffällt. Und auch für Sie wäre es besser, wenn Sie die Pistole nicht anfassen, damit wir die Spuren sichern können.«

      »Geht klar«, sagte ich und steckte die Visitenkarte ein.

      Kommissar Harald Hasenleder erhob sich. Er streckte mir die Hand hin. »Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt in Ostfriesland. Und ärgern Sie sich nicht, wenn Sie einen Snack up platt nicht verstehen.« Und mit erhobener Stimme: »Junger Mann, laß dir das Eis schmecken.«

      Damit stapfte er davon. In seinem zerknitterten Herbstmantel sah er tatsächlich ein wenig wie Inspektor Columbo aus.

      4.

      Nachdem Bernemann sein Eis vernichtet hatte, erhoben auch wir uns, um unser Zimmer aufzusuchen. Mutter Gretchen stand hinter ihrer Theke und hantierte an der Kaffeemaschine herum.

      »Sag mal, Mutter Gretchen, wie war das denn letzte Woche mit diesem Polizeieinsatz?«

      Die Wirtin wandte sich uns zu. »Naja, ich hab das mal zuerst gar nicht gemerkt. Dieser Kriminelle ist wohl auf gut Glück ins Haus gekommen, und plötzlich wimmelte hier alles von Polizisten.«

      »Und warum war ausgerechnet unser Zimmer der Ort des Geschehens? Sind die Zimmertüren denn nicht abgeschlossen?«

      »Normalerweise schon. Aber das Zimmer war letzte Woche nicht belegt, und ich wollte schon alles auf eure Ankunft vorbereiten. Da stand die Tür für ein paar Minuten offen. Das Zimmermädchen hat zwischendurch schnell noch ein anderes Zimmer saubergemacht. So wie es aussieht, hat sich der Kriminelle diese Zufälligkeit zunutze gemacht. Er hatte aber ohnehin keine Chance zu entkommen. Wie gesagt – es wimmelte nur so von Polizisten.«

      »Offenbar hat der Typ hier irgendwo seine Pistole versteckt.«

      »Ja, offenbar«, sagte sie. »Aber die Polizei hat nichts gefunden.«

      »Naja«, brummte ich, »wir gehen mal auf unser Zimmer. Nachher kommen wir zum Abendessen runter.«

      »Bis dann«, sagte sie.

      Im Zimmer schaute ich mich erst einmal gründlich um. Natürlich schaute ich mich erst einmal gründlich um, wenn ich darüber informiert worden war, daß man hier möglicherweise eine Pistole versteckt hatte. Wer hätte so etwas im idyllischen Ostfriesland erwartet? Ich jedenfalls nicht. Und Bernemann sowieso nicht.

      Es gab einen sehr hohen und sehr wuchtigen Kleiderschrank, der fast bis zur Decke reichte. Rechts eine Abteilung, wo man Hosen, Jacken und Kleider aufhängen konnte, und links viele kleine Fächer für Unterwäsche und Socken und Blusen und Hemden und meinetwegen auch für Baseballkäppis. Der Schrank war so hoch, daß man das oberste Fach nicht einsehen konnte, wenn man kein Zweimetermann war. Da ich nur eins dreiundachtzig messe, mußte ich mich auf die Zehenspitzen stellen, um das oberste Fach einsehen zu können, und selbst dann mußte ich noch ein wenig in die Höhe hopsen.

      ›Oh Mist!‹ dachte ich. Da oben, ganz hinten in der Ecke, lag tatsächlich eine schwarzglänzende Beretta 9 mm Parabellum. Du lieber Himmel, wie war denn das möglich? Hier waren angeblich ganze Hundertschaften von Polizisten durchs Zimmer getrampelt – und denen allen sollte die Waffe des Kriminellen entgangen sein? Ich konnte es kaum fassen. Ich wollte es nicht glauben. Mit Rücksicht auf den kleinen Kumpel Bernemann sagte ich erst einmal nichts. Ich platzierte einen Stapel Socken in das oberste Fach vor die ominöse Knarre, und damit ließ ich es vorläufig gut sein. Bernemann konnte dieses Fach ohnehin nicht erreichen.

      Morgen, dachte ich, morgen rufe ich Kommissar Hasenleder an, und dann würde diese leidige Angelegenheit endlich erledigt sein.

      Wir gingen zum Essen, verputzten gigantische Portionen von Krabben und Spiegeleiern und Bratkartoffeln, und Bernemann spülte das Zeug mit riesigen Gläsern Kirschsaft hinunter, während ich drei oder vier friesisch-herbe Pils in mich hineinstürzte. Es war alles in allem ein sehr nahrhaftes und äußerst befriedigendes Abendmahl. Bernemann und ich – wir schliefen dann beide vor dem Fernseher ein.

      5.

      Am nächsten Morgen gegen neun gingen wir hinunter, um zu frühstücken. In dem Vorraum vor dem Gastzimmer, in der sogenannten Lobby also, gab es ein weit ausladendes giftgrünes Plüschsofa, drei giftgrüne Sessel und ein breites Pult, auf dem ein Computer stand. Dort registrierte Mutter Gretchen ihre Gäste, ihre Einkäufe und ihre Einnahmen aus dem Pensionsbetrieb.

      In diesem Vorraum lungerte ein junger Mann um die 25 mit Dreitagebart und brauner Stoppelfrisur herum.

      Als wir herankamen, sprach er uns an: »Haben Sie Zimmer 102?«

      »Warum«, konterte ich, »wollen Sie das wissen?«

      »Ich will’s halt wissen«, sagte er barsch. »Also, was ist jetzt?«

      »Und wenn schon«, sagte ich. Mir schwante schon, was da kommen würde. Eine dunkle Ahnung stieg in mir hoch. Ich versuchte, nur noch ein wenig Zeit zu gewinnen.

      »Geh schon mal rein an unseren Frühstückstisch, Bernemann. Ich komme gleich.«

      »Aber wir haben doch 102«, piepste der Knirps, der das Szenario noch nicht durchschaut hatte. Dann trottete er in das Gastzimmer hinein.

      »Also Sie sind es«, sagte der Typ.

      »Was wollen Sie?«

      »In Ihrem Zimmer befindet sich etwas, was mir gehört.«

      »Ich habe keine Ahnung, worauf Sie hinauswollen.«

      »Okay, Klartext«, knurrte der Kerl. »Du gibst mir jetzt deinen Zimmerschlüssel, und ich hole mir mein Eigentum. In drei Minuten ist alles vorbei. Du gehst einfach frühstücken, und ich lasse den Schlüssel stecken …«

      »Aha«, machte ich. »Und inzwischen klauen Sie alles aus meinem Zimmer, was nicht niet- und nagelfest ist. Sie sind der Dieb, den man letzte Woche hier festgenommen hat. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich Sie in unser Zimmer lasse! Wieso sind Sie überhaupt auf freiem Fuß? Ich dachte, Sie sind eingebuchtet worden?«

      »Ich bin nur ein Kleinkrimineller«, sagte der Mann mit Nachdruck. »Bis zu meiner Verhandlung bin ich frei, und dann bekomme ich wahrscheinlich Bewährung. Sagt mein Anwalt.«

      »So ist das also.«

      »Und nun gib mir schon den Schlüssel, sonst muß ich andere Saiten aufziehen!«

      »Wenn ich Sie wegen Nötigung anzeige«, sagte ich, »dann ist es vorbei mit der Bewährung. Und jetzt verschwinden Sie.«

      »Sei vorsichtig, du«, versetzte der Kleinkriminelle, »sonst passiert noch was sehr Unangenehmes, okay? Du willst doch nicht, daß ich den lieben Kleinen kidnappe, oder?«

      »Wenn noch Erpressung und Kindesentführung hinzukommen«, erläuterte ich, »dann wirst du ein paar Jahre im Knast brummen.«

      »Ach komm«, wiegelte mein Kontrahent ab, »ich will doch niemandem etwas zuleide tun. Ich will nur mal kurz ins Zimmer 102.«

      »Hauen Sie endlich ab, Mann.« Ich zeigte in Richtung Ausgangstür.

      Er zuckte die Schultern. »Okay, ich gehe jetzt. Aber ich komme wieder. Und dann läuft die Sache anders. Darauf kannst du dich verlassen. Darauf kannst du dich felsenfest verlassen.«

      Er ging. Und ich ging zum Frühstück.

      6.

      Mutter Gretchen fuhr zum Frühstück in gewohnter Weise groß auf. Bernemann saß schon an unserem Tisch und schlürfte seinen Kakao. Mir stellte sie natürlich den typisch ostfriesischen

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