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viele der – mit der Aufrechterhaltung der Theorie des absolut immer ökonomisch sinnvoll agierenden Menschen entstandenen – mikroökonomischen Regeln längst widerlegt hat.

      Neben jenen Menschen, die unter einem guten Leben ein eher hedonistisches oder ein rationales verstehen, gibt es auch jene, die ein an Gütern im allerweitesten Sinn orientiertes Leben als „gut“ ansehen.

      Ganz neu ist die aktuelle individuelle Suche nach dem Guten im 21. Jahrhundert natürlich dennoch nicht. Trotz all der früheren klaren Orientierungen vom Himmel herab dachte auch schon Sokrates, dass immer ein wenig Spielraum bleibe, wenn er die Menschen dazu aufforderte, in jedem Gespräch das eigene Denken zu überprüfen. „Ein Leben ohne Selbstprüfung ist nicht lebenswert.“18 In anderen Übersetzungen heißt es sogar, dass man sich ein Leben ohne Selbstcheck „gar nicht verdient“ habe.

      Natürlich kann das auch übertrieben werden. Zeitgenossen, die tagtäglich – und es gibt sie – über die Für und Wider ihres momentan geltenden Lebensentwurfes sinnieren, sollen wenn möglich nicht zum Vorbild gereichen. Sehr oft – muss man bedauerlicherweise feststellen – gleiten diese bemitleidenswerten (kein Zynismus!) Einzelkämpfer ins Neurotische ab und landen mehr oder weniger lang im Zwang.

       Versuch zum „objektiv“ Guten

      Bisher haben wir eher von subjektiven Theorien gesprochen, den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen, die eine einzelne Person in sich trägt und mit deren zumindest teilweiser Erfüllung sie gerne ein an und für sich gutes Leben basteln würde. Legen wir aber die Betonung auf an und für sich, also auf das, was die deutsche Sprache unter „im Allgemeinen“ versteht, wird es deutlich schwieriger mit der Definition des guten Lebens. Und man kann es drehen und wenden, wie man will, der Mensch wird immer auch auf der Suche nach etwas Allgemeingültigen sein. Ob das dann wissenschaftlich fundiert ist, ist ihm eher egal. Es sollte also doch etwas sein, worunter viele Menschen ein gutes Leben verstehen könnten – unabhängig von den individuellen Lebenszielen des Einzelnen. Etwas „objektiv“ Gutes und Wertvolles. Hier landen wir sehr rasch bei Charles Taylor. Der 1931 in Montreal geborene Politikwissenschaftler und Philosoph sieht die Wurzeln für die Ratlosigkeit der Moderne ebenfalls in der späteren Neuzeit, als den Menschen schrittweise die „umfassende Ordnung“ abhandengekommen ist. Taylor spricht von einer kosmischen Ordnung und einer Kette der Wesen. Wir haben diese Kette bereits erwähnt: Gott, Kirche, Hierarchien – und viel mehr ist da nicht. Der Verlust dieser Ordnung leite eine Verengung des Lebens ein, so Taylor weiter. Eine Reduzierung vom großen Ganzen auf das Ich. Dass Menschen das Private zugunsten einer beruflichen Karriere opfern, ist nicht neu, dass aber heute viele meinen, sie müssten mit ihrem Leben so verfahren, weil es sonst ein vergeudetes wäre, stimmt schon längere Zeit nachdenklich.

      Laut Taylor lande der Mensch so beim „Ideal der Authentizität“. Ideal ist ironisch gemeint, wenn der kanadische Philosoph gleichzeitig darauf hinweist, wozu dieses ausschließliche Hören auf die eigene innere (Vernunft-)Stimme führe. Denn, wenn jeder seine eigene Wahrheit in sich spürt, degradiert er damit alle anderen zu Instrumenten für sein eigenes Wohlbefinden, also für sein eigenes gutes, aber für andere gar nicht so gutes Leben. Es entsteht eine Welt von Einzelkämpfern oder eine fragmentierte Gesellschaft.

      Da liegt die Vermutung nahe, dass die gesamte Gesellschaft, jede Vereinigung, ja jede politische Partei für diesen Einzelkämpfer, diese Einzelkämpferin instrumentalisiert wird. Wie kann dann aber ein gemeinsamer Zweck einer Gesellschaft definiert werden?

      Für Taylor ist das nur dann möglich, wenn diese Selbstverwirklichung, nennen wir sie hier eine Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf (andere) Verluste, von einem Gefühl für das wirklich Wichtige begleitet wird. Es sollte also bei jeder individuellen Entscheidung etwas mitschwingen, von dem man spürt, dass es eine gewisse allgemeine Bedeutung hat. Oder noch präziser formuliert: Man sollte in der Lage sein, genau das herauszufinden, was einem in ganz bestimmten Punkten von anderen unterscheidet, warum es einem wichtig und warum dieses Unterschied machen zu anderen grundsätzlich bedeutend ist.

      „Anders formuliert, die eigene Identität kann ich nur vor dem Hintergrund von Dingen definieren, auf die es ankommt. Wollte ich jedoch die Geschichte, die Natur, die Gesellschaft, die Forderungen der Solidarität und überhaupt alles ausklammern, was ich nicht in meinem eigenen Inneren vorfinde, so würde ich alles ausschließen, worauf es möglicherweise ankommen könnte. Nur wenn ich in einer Welt lebe, in der die Geschichte, die Forderungen der Natur, die Bedürfnisse meiner Mitmenschen, die Pflichten des Staatsbürgers, der Ruf Gottes oder sonst etwas von ähnlichem Rang eine ausschlaggebende Rolle spielt, kann ich die eigene Identität in einer Weise definieren, die nicht trivial ist.“19

      Aber was sind nun objektive „Güter“, die – sollte man sie zur Verfügung haben – zu einem guten Leben führen?

      Selbstverständlich sind darunter auch

       materielle Güter

      zu verstehen. Es stimmt nicht, dass bestimmte Dinge, so man sie sich schon länger wünscht und irgendwann hat, nicht glücklich machen. Sie schaffen das manchmal sehr wohl, zumindest für eine gewisse Zeit. Dann muss wieder etwas Neues her. Doch davon, warum welche Dinge glücklich machen, allerdings nicht für immer und überhaupt zur Frage, was ist Glück und was führt dorthin, etwas später im Kapitel Glück.

      Weiters führen

      anthropologische Güter,

      so man sie hat, ziemlich sicher zu einem besseren Leben. Darunter sind etwa spezielle Fähigkeiten und Eigenschaften zu verstehen, die man hat oder gerne besitzen würde, um bestimmte menschliche Grundbedürfnisse stillen zu können. Abraham Maslow hat auf vereinfachende Weise in seiner Bedürfnispyramide versucht, diese menschlichen Bedürfnisse zu beschreiben. Seine Hierarchie der Bedürfnisse basiert auf vielen Experimenten und bestimmten klinischen Befunden bei physisch Kranken.

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       Abraham H. Maslow. „Motivation and Personality“, 1954

      Auch

       konstitutive Güter20

      sind Bestandteile eines guten Lebens:

      • Gesundheit und Schmerzfreiheit,

      • die Fähigkeit, Fantasie und Denkvermögen zu gebrauchen,

      • die Fähigkeit zur sozialen Integration,

      • Arbeit und politische Mitbeteiligung,

      • Spiel und Erholung,

      • die Fähigkeit zur Freiheit der Selbstbestimmung.

      Und schließlich wollen wir noch auf die vierten „objektiven“ Güter eingehen, die zumindest jene gerne in sich tragen würden, für die der Weg des guten Lebens mit Schwärmerei, Verträumtheit, Fantasie, Idealen, Feingefühl und Feinsinnigkeit, Zartbesaitung und einer gehörigen Portion Realitätsferne gepflastert ist:

      die romantischen Güter.

      Aufgekommen vor 300 Jahren mit dem 1712 in der Schweiz geborenen Philosophen und Pädagogen Jean-Jacques Rousseau, zeigt sich dieses gefühlsbetonte Handeln letztlich bis heute als ein möglicher Weg, um ein gutes Leben zu führen. Die Gefühle und nicht die Vernunft führten zu Sinnstiftung, lehrte Rousseau, und dieser sinnstiftende Wert rage über den einzelnen Menschen hinaus. Gemeint sind das Schöne, die Kunst, die Erkenntnis, das Humane an sich – und natürlich auch das weit über Gefühle und Einzelinteressen des Menschen Hinausragende: die Religion, das Soziale und die Liebe.

      Auch Menschen, die ihr Leben für eine gerechtere Welt aufs Spiel setzen, Menschen, für die die Vernunft nie Endzweck, sondern maximal Mittel zum Erreichen eines wirklich großen Gefühls ist, gehen den romantischen Weg. So gesehen, ist dieser romantische Weg auch klar abgrenzbar von seinem

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