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Brosius, der hier arbeitete. Doch leider hatte er an diesem Tag dienstfrei.

      Christian Neumann hielt nichts im Wartebereich. Mit langen Schritten durchmaß er den Gang, war einfach nicht in der Lage, sich zu beruhigen. Max zog zwei Becher Kaffee aus einem Automat und gab ihm einen. Für eine Weile blieb er da neben dem Landarzt stehen und bekannte leise: »Ich weiß net, wie es zu alldem hat kommen können. Ich habe mich doch richtig verhalten, habe dieses Mädchen zu nichts ermuntert. Wie schützt man sich gegen solche Menschen? Es ist nicht recht, dass sie aus einer Laune heraus alles zerstören können. Dagegen muss man doch was tun können!«

      Max schaute sein Gegenüber bekümmert an. Er hätte Christian Neumann gerne ein paar tröstende Worte gesagt. Doch er musste sich selbst eingestehen, dass es nur Platitüden gewesen wären. Und die hätten Christian Neumann kaum geholfen.

      In diesem Moment näherte sich ihnen ein junger Arzt. Er schaute den Lehrer an. »Herr Neumann?« Und als dieser nickte, erklärte er: »Ihre Frau ist außer Gefahr, wenn Sie möchten, können Sie nach ihr sehen. Wir behalten sie aber zur Sicherheit ein paar Tage hier, auch wenn der Eingriff nicht schwer war.«

      »Eingriff? Soll das heißen…«

      »Es tut mir leid, aber sie hat das Baby verloren.«

      »Haben Sie eine Ausschabung vornehmen müssen?«, fragte Max.

      »Nein, das war nicht nötig. Und Sie müssen sich keine Sorgen machen, Herr Neumann, Ihre Frau kann jederzeit wieder schwanger werden. Körperlich ist sie okay, es war wohl der Stress…«

      Christian nickte automatisch. Er spürte Tränen in sich aufsteigen, etwas, das ihm lange nicht passiert war. Beschämt wandte er sich ab, ging ein paar Schritte und blieb vor dem Fenster stehen, ohne draußen etwas zu erkennen. In seinem Herzen klaffte eine Wunde, Schuld und Scham beherrschten ihn. Und er empfand eine unbändige Wut auf Peggy Andersen, die ihm das alles angetan hatte.

      »Sie sollten jetzt nach Ihrer Frau sehen«, schlug Dr. Brinkmeier schließlich vor. »Sie wird Sie brauchen.«

      »Ja, natürlich…« Der junge Mann wischte sich flüchtig über die Augen und folgte dann dem Mediziner, der ihn zu Sabine brachte. Sie war sehr schwach, wirkte benommen. Und er musste nur in ihre Augen sehen, um zu wissen, dass sie die Wahrheit kannte.

      »Es tut mir schrecklich leid«, murmelte er mit flacher Stimme. »Es ist meine Schuld, ich weiß. Aber vielleicht wirst mir irgendwann verzeihen können, Sabine.«

      Sie streckte eine Hand nach ihm aus, er nahm sie und hielt sie ganz fest. Und was sie dann sagte, das wirkte wie Balsam auf seiner wunden Seele. »Du kannst ganz gewiss nix dazu, Chris. Jedem Menschen kann ein Unglück zustoßen. Und uns beide hat es heut getroffen. Wir müssen halt versuchen, damit fertig zu werden. Ich weiß im Moment nur noch net wie…«

      »Wenn wir zusammenhalten, schaffen wir es«, versicherte er ihr beschämt. »Es wird alles wieder gut, das verspreche ich dir.«

      Sie lächelte schwach, sagte aber nichts. Er sah die Traurigkeit in ihren Augen und wünschte sich nichts mehr, als Sabine wieder glücklich zu sehen. Dafür wollte er alles tun. Und er war fest entschlossen, dem gemeinen Spiel, das zu all dem geführt hatte, ein rasches Ende zu machen.

      *

      Susanne Fey wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, als sie ins Büro der Mutter Oberin bestellt wurde. Das Mädchen war sich zwar keiner Verfehlung bewusst, doch es fürchtete sich trotzdem vor der strengen Ordensfrau. Mit gesenktem Blick betrat Susanne das Büro von Maria-Roberta, die bat: »Komm näher und setz dich hin. Den Doktor Brinkmeier kennst ja schon.«

      Die Schülerin blickte scheu auf und nickte. »Grüß Gott.«

      Max erwiderte den Gruß und wollte wissen: »Du bist doch mit Peggy Andersen befreundet, net wahr?«

      »Wir wohnen auf der gleichen Stube. Aber Freundinnen…«

      »Du musst uns die Wahrheit sagen, Susanne«, mahnte die Mutter Oberin. »Dass du nie lügen sollst, weißt ja. Aber in diesem Fall ist es besonders wichtig. Es geht um ein Menschenleben.«

      Das Madel erschrak. »Aber was…? Die Peggy hat doch nix Schlimmes gemacht. Sie sagt, der Neumann war gemein und widerlich zu ihr. Und ich glaube ihr das.«

      »Nun hör mal zu, Susanne«, bat Dr. Brinkmeier die Schülerin sachlich. »Was die Peggy da erzählt hat, das ist aller Wahrscheinlichkeit nach erfunden. Ein Mädchen in ihrem Alter, das sexuell missbraucht worden ist, reagiert anders. Der Herr Neumann sagt, Peggy hat versucht, ihn zu verführen. Sie sei ihm ständig gefolgt und habe ihn belästigt. Nachdem er ihr einmal klipp und klar die Meinung gesagt hat, war sie sehr wütend, hat ihm Rache geschworen. Und ihre Behauptungen, die schauen doch sehr nach Rache aus, meinst net?«

      »Ich weiß net. Mir hat sie’s so erzählt.«

      »Mag sein. Aber du weißt doch sicher auch, dass sie hinter dem Lehrer her war, sich ihm an den Hals geworfen hat, oder?«

      Susanne zögerte kurz, dann murmelte sie unsicher: »Ich weiß net so genau…«

      Max tauschte einen knappen Blick mit Maria-Roberta, dann ließ er das Madel wissen: »Was die Peggy tut, ist sehr schlimm. Sie hat sich eine böse Geschichte ausgedacht, um dem Lehrer zu schaden. Und es ist ihr bereits gelungen. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie es so gewollt hat. Frau Neumann hat nämlich ihr Baby verloren.«

      Susanne riss ungläubig die Augen auf, sie wurde ganz blass. »Aber das… ist ja furchtbar!« Sie biss sich auf die Lippen, konnte aber nicht verhindern, dass ihr die Tränen kamen. »Mei, wenn die Peggy das erfährt… Ich hab’ ihr doch von Anfang an gesagt, sie soll die Finger von dem Neumann lassen. Jeder schwärmt mal für einen Lehrer, das kommt schon vor. Aber doch net so… Ganz narrisch war sie auf ihn. Und als er sie abgewiesen hat, da hat sie geheult wie net gescheit. Mei, Herr Doktor, ich habe ja nicht ahnen können, dass so was Schlimmes geschehen wird. Was soll denn nun mit der Peggy werden?«

      »Zunächst einmal werden wir mit ihr reden. Wenn sie ihre Lüge zugibt, muss der Direktor entscheiden, was geschehen soll. Schau, Susanne, es geht uns ja hier net darum, deiner Freundin zu schaden; im Gegenteil. Wir wollen diese schlimme Geschichte so rasch wie möglich aus der Welt schaffen. Bevor die Peggy sich noch weiter in ihre Lügen verrennt und alles noch arger macht.«

      Susanne nickte. »Ich verstehe. Soll ich denn mit ihr reden?«

      »Wennst magst, ja. Schick sie uns her, aber mach ihr auch klar, dass sie nur diese eine Chance hat. Wir kennen jetzt die Wahrheit. Und wenn sie bei ihrer Lüge bleibt…«

      »Ich werde ihr ins Gewissen reden, Herr Doktor«, versprach das pummelige Madel und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen.

      Schwester Maria-Roberta zog die Stirn in nachdenkliche Falten. »Ob Sie da keinen Fehler gemacht haben? Wir hätten Peggy besser überraschend mit den Tatsachen konfrontiert. Jetzt hat sie Zeit, sich Ausreden einfallen zu lassen. Und ich bin sicher, dass sie das auch tun wird.«

      Mit dieser Einschätzung lag die Mutter Oberin allerdings falsch. Es dauerte nicht lange, dann erschien die blonde Schülerin. Nie zuvor hatte die Ordensfrau das hübsche Mädchen so bescheiden gesehen. Man sah Peggy an, dass sie geweint hatte. Und sie wirkte völlig verändert. Von ihrem sonst zur Schau getragenen Selbstbewusstsein, das beinahe schon ein wenig an Überheblichkeit grenzte, war nichts mehr zu spüren.

      »Es tut mir leid«, murmelte sie mit belegter Stimme und musste schon wieder weinen. »Ich… hab’ das nicht gewollt, wirklich nicht!« Sie schaute verzweifelt zu Max Brinkmeier, der sie mahnte: »Mit einer einfachen Entschuldigung ist es wohl kaum getan, Peggy. Bitte sag uns jetzt die ganze Wahrheit.«

      Die Schülerin schneuzte sich, hielt dabei den Kopf gesenkt. Und als sie sprach, war ihre Stimme ganz klein. »Der Herr Neumann hat mir nie etwas angetan, ich habe alles nur erfunden, um ihm zu schaden. Ich war in ihm verliebt und wollte, dass er sich auch in mich verliebt. Deshalb habe ich alles mögliche angestellt. Aber nix hat genützt. Er hat mir die Meinung gesagt und mir gedroht, meine Eltern zu informieren, wenn ich ihn nicht in Ruhe

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