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nicht still stand. Aber die braunen Zöpfchen zu beiden Seiten ihres Gesichtes waren deutlich zu erkennen. Elga lachte und nickte ihrem Spiegelbild vergnügt zu: »Guten Tag! Guten Tag!«

      Dann nahm sie die Blume wieder aus dem Wasser und schaute sie zärtlich an. »Nun hast du genug getrunken, Blume, nicht wahr? Wie schade, daß ich gar nicht weiß, wie du heißt! Ich hätte die fremde Frau fragen sollen. So schade!«

      Da raschelte es neben ihr im Gras. Eine vertraute Stimme schnarrte: »Soll ich dir die Geschichte deiner Blume erzählen, kleine Elga?«

      »Ach, Grashüpfer«, rief Elga, »wie schön, daß du da bist!«

      »Ich bin die ganze Zeit über hier gewesen, du hast mich nur nicht gesehen!«

      »Bitte, Grashüpfer, sag mir doch, wie die Blume heißt!«

      »Lilie … Wasserlilie, genauer gesagt!«

      »Lilie! Das ist ein hübscher Name!«

      »Ja, deine Blume ist auch eine Prinzessin!«

      »Das habe ich mir gleich gedacht«, rief Elga begeistert. »Schau her, sie hat ein Krönchen auf dem Kopf und ein feines goldenes Kleidchen an! Aber wenn sie eine Prinzessin ist … wieso ist sie dann eine Blume geworden?!«

      »Hör gut zu!« mahnte der Grashüpfer mit knarrender Stimme. Er tat einen großen Sprung und landete auf Elgas Knie. »Lilie war die Tochter des Wasserkönigs. Sie war eine Wasserprinzessin, verstehst du? Wasserprinzessinnen leben immer nur im Wasser wie die Fische … Wenn sie ans Land kommen, müssen sie sterben!«

      »Ja«, sagte Elga atemlos vor Spannung. Sie wagte sich nicht zu rühren, denn sie wußte wohl, es war eine große Ehre, daß der Grashüpfer sich auf ihr Knie gesetzt hatte.

      »Nur einmal im Monat, wenn der Mond ganz dick und rund am Himmel stand, durfte die kleine Prinzessin Lilie den See verlassen — oder den Bach, in dem sie gerade schwamm — und für eine Stunde an Land gehen, von elf bis Mitternacht. Sobald die Kirchturmuhr den ersten Schlag zur zwölften Stunde tat, hüpfte Lilie schnell zurück in ihr Wasser!«

      »Wie sah sie denn aus, die Prinzessin Lilie?« Elga tauchte behutsam ihre schöne Blume wieder ins Wasser.

      »Wie diese Blume, die du in der Hand hast! Sie trug ein goldenes, wehendes Gewand und ein Krönchen auf dem Kopf!«

      »Und warum mußte sie Punkt zwölf wieder im Wasser sein?«

      »Ja, das hat die Prinzessin ihren Vater auch oft gefragt. Der Wasserkönig hat es ihr immer wieder erklärt: wenn eine Wasserprinzessin beim zwölften Glockenschlag nicht zurück im Wasser ist, löst sie sich auf in Nebel und steigt empor zum Himmel und wird eine Wolke …«

      »Und aus der Wolke regnet es dann, nicht wahr?« fragte Elga.

      »Ja, es regnet. Das Wasser kommt in die Bäche und Seen zurück. Aber eine Wasserprinzessin, die sich in Nebel aufgelöst hat, kann nie wieder eine Prinzessin werden. Sie wird einfach zu Wasser, und das ist natürlich schlimm.«

      »Ja«, stimmte Elga zu, »sehr schlimm! Aber jetzt weiß ich immer noch nicht, wie Lilie zu einer Blume geworden ist?«

      »Wart es ab!« mahnte der Grashüpfer und sprang von Elgas linkem Knie auf das rechte. »Lilie war eine junge und lustige Prinzessin. Es machte ihr Spaß, das ganze Reich ihres Vaters kennenzulernen. So plätscherte sie eines Tages vergnügt in einem Brunnen, als sich ein kleiner Junge über den Rand beugte. Es war ein netter kleiner Junge. Lilie fand, daß er das Hübscheste war, das sie je gesehen hatte. Der Junge setzte sein Segelschiffchen in das Wasser des Brunnens und ließ es schwimmen. Lilie, die unten im Wasser tauchte, spielte mit. Sie machte kleine und große Wellen. Auf und ab tanzte das Schifflein. Der Junge blies mit vollen Backen Wind in die Segel. Das Schifflein drehte und wendete sich, schwamm hin und her. Lilie unten im Wasser paßte auf, daß es nicht kentern konnte, so heftig der Wind auch blies und so kräftig die Wellen schaukelten. Noch nie im Leben hatte sie soviel Spaß gehabt. Plötzlich kam die Mutter des Jungen aus dem Hause gelaufen. Was denkst du, was jetzt geschah, Elga?«

      »Sie schimpfte mit dem kleinen Jungen!«

      »Ja, das tat sie. Sie schimpfte mit ihm und zog ihn fort. Sie holte das Segelschiffchen aus dem Wasser und verbot dem kleinen Jungen, am Brunnen zu spielen. Denn der Brunnen war tief und gefährlich. Die Mutter hatte Angst, daß ihr Junge hineinfallen und ertrinken könnte!«

      »Ja, das kenne ich«, seufzte Elga. Sie wußte, daß immer grade die schönsten Spiele verboten wurden, weil sie zu gefährlich waren. »Haben Lilie und der kleine Junge dann nie mehr zusammen gespielt?«

      »Doch, das haben sie. In der Nacht darauf war Vollmond. Der kleine Junge konnte nicht schlafen. Immer wieder dachte er an den Brunnen und das schöne Spiel, das ihm verboten war. Er stand auf, nahm sein Segelboot und lief im Nachthemd in den Garten hinaus. Lilie war im Brunnen. Sie hatte den ganzen Tag gewartet, ob der kleine Junge nicht wiederkommen würde. Als es Nacht wurde, war sie dort geblieben, denn Wasserprinzessinnen brauchen nie zu schlafen.«

      »Die haben’s schön«, sagte Elga.

      »Als Lilie den kleinen Jungen kommen sah«, fuhr der Grashüpfer fort, »war sie sehr glücklich. Die beiden begannen sofort ihr altes Spiel mit dem Segelschiff. Jetzt in der Nacht bei hellem Mondschein machte es noch viel mehr Spaß als am Tage. Es hatte längst elf Uhr geschlagen, Lilie hätte eigentlich aus dem Wasser steigen können. Aber sie vergaß es ganz über ihrem wunderschönen Spiel. Immer wilder und ausgelassener spielten die beiden miteinander, der kleine Junge und Lilie, die Wasserprinzessin, und plötzlich — da geschah es!«

      »Was?!« fragte Elga atemlos.

      »Kopfüber stürzte der kleine Junge in den tiefen Brunnen hinab!«

      »Oh!«

      »In diesem Augenblick begann die Kirchturmuhr die zwölfte Stunde zu schlagen. Was sollte Lilie tun? Entweder sie selber würde zu Wasser werden oder der kleine Junge mußte ertrinken! Was hättest du getan, Elga?«

      »Ich weiß es nicht!«

      »Die kleine Wasserprinzessin besann sich keinen Augenblick. Sie nahm den zappelnden Jungen in ihre Arme, tauchte auf, kletterte aus dem Brunnen und setzte ihren Freund behutsam ins Gras. Der traute seinen Augen nicht und starrte die schöne Prinzessin ganz verwundert an. In diesem Augenblick tat die Kirchturmuhr ihren zwölften Schlag …«

      »Und da …?«

      »Ja, da verwandelte sich die Wasserprinzessin vor den Augen des staunenden kleinen Jungen in eine goldene Blume, in die Blume Lilie!«

      ’»Aber … warum ist sie denn kein Nebel geworden?« wollte Elga wissen.

      »Weil sie nur aus dem Wasser gestiegen war, um ihren Freund zu retten. Für eine gute Tat darf man doch nicht hart bestraft werden. Sie wurde zu einer wunderschönen Blume. Aber weil sie doch früher eine Wasserprinzessin war, hat sie auch heute noch Sehnsucht nach dem Wasser.«

      »Deshalb ist sie auch ganz nahe beim Brunnen gewachsen, nicht wahr?«

      »Ja«, bestätigte der Grashüpfer, »du wirst eine Lilie immer nur da finden, wo es auch Wasser gibt — an Teichen oder Bächen oder auch an einem Brunnen!«

      »Komisch«, sagte Elga, »woher kommt es dann … ich meine, am Brunnen stand eine ganze Menge von den schönen Blumen! Und es war doch eigentlich nur eine einzige Prinzessin!«

      »Glaubst du mir etwa nicht?«

      Die Stimme des Grashüpfers klang beleidigt und ein bißchen böse.

      »Doch, ganz bestimmt!« versicherte Elga rasch. »Bloß … du hast doch selber gesagt: man muß nachdenken!«

      »Du wunderst dich, daß meine Geschichte von einer einzigen Lilie handelt, und in Wirklichkeit gibt es viele?«

      Elga nickte eifrig.

      »Ja, siehst du, als Lilie so traurig und allein am Brunnen stand, hatten ihre Schwestern Mitleid mit ihr. Sie baten ihren Vater,

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