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Ein Herz für mich allein. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Ein Herz für mich allein
Год выпуска 0
isbn 9788711718681
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Bettina mußte sich den Weg zum Eßsaal selber suchen.
Die nächsten Wochen wurden für Bettina die schwersten ihres jungen Lebens.
So sehr sie sich auch bemühte, sich in die Gemeinschaft einzufugen, es gelang ihr nicht. Sie war und blieb eine Fremde. Zwar gab es mehrere deutsche Mädchen in dem Internat Madame Jeunis, aber Bettina gelang es nicht, Kontakt zu ihnen zu finden. Sie kannten sich alle untereinander, und Bettina brachte nicht den Mut auf, sich in ihren Kreis zu drängen. Schon allein dauernd französisch zu sprechen, machte ihr große Schwierigkeiten. Offiziell durfte im Internat nur französisch gesprochen werden, damit die Mädchen – es waren zum allergrößten Teil Ausländerinnen – die fremde Sprache wirklich beherrschen lernen sollten. Bettina, die nur ein paar Jahre in der Schule Französisch gehabt hatte, fehlten die Worte, sich richtig auszudrücken. Sie mußte sich äußerste Mühe geben, um überhaupt dem Unterricht folgen zu können. Es gab niemanden, der sich ihrer angenommen oder ihr etwas erklärt hätte. Dotty zeigte ihr hartnäckig die kalte Schulter, sprach prinzipiell nur mehr französisch mit ihr. Wenn Bettina sie deutsch ansprach, reagierte sie einfach nicht.
Frau Bürger hatte Bettina vor ihrer Abreise von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, und in Dortlingen war Bettina von ihren Kleidern, Mänteln, Jacken und Schuhen begeistert gewesen. Hier mußte sie plötzlich erkennen, daß alle anderen Mädchen weit eleganter waren als sie selber. Jedenfalls schien es ihr so. Sie fühlte sich wie ein Aschenputtel, wurde von Tag zu Tag schüchterner und unglücklicher.
Das Schlimmste war, daß sie nicht gewußt hatte, daß zum Pensum der Schule Reiten und Tennisspielen gehörte. Die meisten der sehr reichen jungen Mädchen hatten diese Sportarten von kleinauf betrieben, Bettina ahnte nicht einmal etwas von den Anfangsregeln. Dazu kam, daß sie weder ein Reitdreß, noch Tenniskleider besaß. Weder Frau Bürger noch sie hatten daran gedacht, daß sie so etwas brauchen würde.
Bettina ging ins Büro von Mademoiselle Legrand und bat, sie vom Sportunterricht zu dispensieren.
»Aber warum denn nur?« fragte Mademoiselle Legrand erstaunt. »Reiten und Tennis, das sind doch die Lieblingsfächer der meisten Mädchen. Sie sind wirklich die erste, die keine Lust dazu hat!«
»Ich möchte wirklich nicht«, sagte Bettina mit niedergeschlagenen Augen, »bitte, Mademoiselle, würden Sie es Madame Jeuni erklären?«
»Aber, Bettina, wie könnte ich denn das? Ich begreife es ja selber nicht. Wenn Sie mir wenigstens einen einleuchtenden Grund angeben könnten …«
Bettina rang nervös die Hände. »Es … es ist nur so …« Sie schlug die Lider auf, sah Mademoiselle Legrand aus ihren klaren, weit auseinander stehenden Augen flehend an, »ich kann es nicht. Ich habe es nicht gelernt.«
»Das macht doch nichts«, sagte Mademoiselle Legrand sofort, »wir haben auch Kurse für Anfängerinnen.«
»Ich … ich bin sehr ungeschickt … ich fürchte …«
»Sie haben Angst, sich zu blamieren, nicht wahr? Nein, Bettina, Sie sollten sich wirklich nicht so gehenlassen. Sie müssen diese Angst überwinden … überhaupt, ich wollte schon längst einmal mit Ihnen sprechen … Sie sollten etwas mehr aus sich herausgehen. Sie dürfen nicht erwarten, daß die anderen Mädchen von sich aus versuchen werden, sich mit Ihnen zu befreunden. Sie sind es, die zuletzt gekommen ist, Sie müssen schon den ersten Schritt tun.«
Bettina fühlte sich außerstande, Mademoiselle Legrand zu erklären, daß ihr dies einfach unmöglich war. Sie unterdrückte einen Seufzer, sagte: »Gibt es denn gar keinen Ausweg? Muß ich wirklich mitmachen?«
»Ich fürchte ja, Bettina. Es sei denn, Sie brächten ein ärztliches Attest bei.«
»Das kann ich nicht.«
»Na, sehen Sie … Sie geben also selber zu, daß Sie ganz gesund sind. Für einen jungen gesunden Menschen sollte es nichts Schöneres geben, als Sport treiben zu dürfen. Versuchen Sie es nur. Ich bin ganz sicher, es wird Ihnen Freude machen.«
Für Mademoiselle Legrand war das Gespräch damit beendet, sie erwartete, daß Bettina sich von ihr verabschieden würde. Aber das junge Mädchen rührte sich nicht von der Stelle.
»Sonst noch etwas?« fragte Mademoiselle Legrand.
»Ich habe kein Sportzeug, weil … ich habe ja nicht gewußt …«
»Ach so. Das ist natürlich ärgerlich. Aber, warten Sie, wir werden schon einen Ausweg finden. Haben Sie eine Ahnung, wieviel Sie auf Ihrem Konto haben?«
»Auf meinem …? Nein, das weiß ich nicht. Habe ich überhaupt ein Konto?«
»Die meisten Schülerinnen haben eines, damit sie sich irgendwelche Extrawünsche erfüllen können. Warten Sie einen Augenblick, ich schaue auf Ihrer Karte nach …«
Mademoiselle Legrand begann in einer großen Kartothek zu blättern; endlich hatte sie Bettinas Blatt gefunden, zog es heraus. »Nichts«, sagte sie enttäuscht. »Das tut mir leid. Das beste wird sein, Sie schreiben Ihrem Vater. Er ahnt gewiß nicht, daß Sie Geld brauchen. Bitten Sie ihn, ein ständiges Konto für Sie anzulegen. Sicher wird Ihr Vater diese Bitte verstehen.«
»Ich werde es versuchen«, sagte Bettina leise.
»Gut so, Bettina. Aber was machen wir bis dahin? Warten Sie mal, ich glaube, ich habe eine Idee … ich werde mal nachschauen, ob ich Ihnen vielleicht aushelfen kann. Kommen Sie heute nach dem Abendessen auf mein Zimmer, ja? Dann werden wir zusammen schauen, ob wir etwas Passendes für Sie finden.«– –
So kam es, daß Bettina ihre ersten Reit- und Tennisstunden in den abgelegten Kleidungsstücken von Mademoiselle Legrand absolvieren mußte. Sie fühlte sich durch die Tatsache entsetzlich gedemütigt, glaubte, daß man hinter ihrem Rükken über sie spöttelte.
Trotzdem schrieb sie ihrem Vater nicht. Sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Brief an ihn geschickt, und sie spürte deutlich, daß der erste Brief nicht gleich eine Bitte um Geld enthalten durfte.
Manchmal sehnte sie sich heiß nach ihrem unbekannten Vater, manchmal haßte sie ihn dafür, daß er sie in eine Situation gebracht hatte, der sie nicht gewachsen war. Abends, wenn sie nicht einschlafen konnte, setzte sie im Geiste oft lange Briefe an ihn auf, sehnsüchtige, anklagende, liebevolle oder zornige Briefe. Keinen von ihnen schrieb sie wirklich.
Ihre Mutlosigkeit wuchs von Tag zu Tag.– –
Dem Unterricht zu folgen, fiel Bettina, sobald sie sich daran gewöhnt hatte, Französisch als Umgangssprache zu gebrauchen, nicht schwer. Die Schülerinnen der Klasse 2 a, in die der Vater sie angemeldet hatte und zu der auch Dotty gehörte, wurden nicht für einen Beruf vorbereitet, sondern, wie Madame Jeuni immer wieder betonte, für das Leben, oder, genauer ausgedrückt, für die Ehe. Die Mädchen lernten Kochen, Schneidern, Säuglingspflege, Literatur, Kunstgeschichte, Musikerziehung – jede mußte mindestens ein Instrument beherrschen lernen – und dann natürlich der Sport. Es wurden keine Noten für die Leistungen in den einzelnen Fächern erteilt. Madame Jeuni setzte, wie sie immer zu sagen pflegte, voraus, daß die jungen Damen selber die Zeit im Institut ausnutzten, um sich so viele Fähigkeiten wie nur möglich anzueignen.
Allerdings stellte Bettina schon bald fest, daß das nicht zutraf. Ein großer Teil der Mädchen – sie waren durchweg aus sehr reichen Häusern, verwöhnt und verzogen – gab sich nicht die geringste Mühe, irgend etwas zu lernen. Sie benutzten den Aufenthalt im Internat nur dazu, die Zeit totzuschlagen, bis sie sich erwachsen nennen durften.
Dotty Glenford war eine der besten Schülerinnen. Sie war zwar nicht fleißig, aber begabt und von rascher Auffassungsgabe. Immer wurde sie den anderen als leuchtendes Beispiel vorgehalten. Niemand der Lehrpersonen schien zu durchschauen, daß sie eine Doppelrolle spielte. Den Erwachsenen gegenüber gab sie sich sanftmütig, gehorsam, eifrig und ungeheuer brav, sobald sie mit ihren Mitschülerinnen