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über Stasi-Spitzel, Vergiftungsversuche und ähnliches. Neudeckers Entschluss traf vor allem die 3.000 Fans in Dresden, die stundenlang vor dem Hotel gefroren hatten, um die Fußballstars aus dem Westen begrüßen zu können.

      In den Jahren, die seitdem vergangen sind, musste sich der FC Bayern manche Klage über sein Verhalten in diesem November 1973 anhören. Heute weiß man, dass die Befürchtungen der Bayern keineswegs völlig haltlos waren. Zwar hatte niemand das Essen der Gäste mit leistungshemmenden Mitteln vergiftet, doch in der Nacht vor dem angenommenen Eintreffen der Bayern hatte man das gesamte Personal im Hotel Newa gegen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit ausgetauscht, und der »Salon Puschkin«, in dem die Mannschaft sechs Stunden vor dem Spiel ihre Abschlussbesprechung abhielt, war mit Wanzen gespickt. Latteks Ansprache wurde Wort für Wort in der Zentrale der Dresdener Stasi mitgeschrieben. Der Schreiber überreichte die Notizen einem Boten, der sich mit einem MZ-Motorrad auf den Weg zur Mannschaftssitzung der Dynamos machte. Dort übergab er den Zettel dem Trainer Walter Fritzsch, und der trug seinen Spielern den Inhalt vor: »Wir kommen jetzt zur Aufstellung der Bayern … .«

      Fritzsch wusste also genau, was seine Elf in dem mit 36.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllten Rudolf-Harbig-Stadion erwartete. Aber er muss vergessen haben, seinen Verteidiger Eduard Geyer vor Uli Hoeneß zu warnen. In der Erwartung, dass sich die Dresdener Abwehr voll auf Gerd Müller konzentrieren würde, hatte Lattek den schnellen Hoeneß auf Höhe der Mittellinie in Lauerposition postiert. Für Hoeneß’ Gegenspieler Eduard Geyer, der später als letzter Auswahltrainer der DDR in die Sportgeschichte eingehen sollte und 1997 den Drittligisten Energie Cottbus ins DFB-Pokal-Finale und später in die 1. Bundesliga führte, wurde der Abend zum Albtraum. Keine zwölf Minuten waren vergangen, da war der blonde Schwabenpfeil dem schwerfälligen Geyer schon viermal enteilt. Beim ersten Mal verunglückte sein Pass auf Müller noch, beim zweiten Mal foulte Dresdens Torwart Claus Boden den Bayern-Stürmer, ohne dass ein Elfmeterpfiff erfolgt wäre. Beim dritten Mal war Hoeneß dann erfolgreich: Er täuschte Boden und schoss zur Bayern-Führung ein. Der vierte Streich war ebenfalls erfolgreich, wobei ihm diesmal ein wenig das Glück zur Seite stand: Nachdem er den Dynamo-Keeper angeschossen hatte, landete der Abpraller an seinem Kinn und fand von dort den Weg ins Tor.

      Das Spiel war aber noch nicht gelaufen. Wenige Minuten vor der Pause gelang Dynamo der Anschlusstreffer, sieben Minuten nach dem Wiederanpfiff der Ausgleich. Und als in der 56. Minute auch noch das 3:2 folgte, stand nun aufgrund der größeren Zahl auswärts erzielter Treffer plötzlich Dresden im Viertelfinale. Doch die Freude währte nur zwei Minuten: In der 58. Minute besorgte Gerd Müller den Ausgleich zum 3:3-Endstand.

      Im Viertel- und Halbfinale hatten es die Bayern abermals mit Mannschaften aus dem Ostblock zu tun, doch so knapp wie gegen Dresden wurde es nicht mehr. Gegen den bulgarischen Meister ZSKA Sofia (4:1, 1:2) und den ungarischen Titelträger Ujpest Dosza Budapest (1:1, 3:0) reichten zwei klare Heimsiege zum Weiterkommen. Auffälligster Spieler in diesen Partien war nicht jener, von dem die »Abendzeitung« schrieb, dass er sich vor Spielen aus Aberglauben nicht rasiert und immer als Letzter auf den Rasen läuft – nämlich Uli Hoeneß –, sondern der Mann mit den roten Schuhen, der Präsident Neudecker in Atvidaberg so begeistert hatte: der erstmals für die Bayern im Europapokal angetretene Conny Torstensson. Mit vier Toren und einer Torvorlage erwies sich der Schwede in diesen Spielen als gefährlichster Bayern-Stürmer, und Uli Hoeneß war offensichtlich derart neidisch auf seinen neuen Kollegen, dass er fortan – so jedenfalls behauptete es Torstensson – kein persönliches Wort mehr mit ihm sprach. Doch es wartete noch das Finale, und in dem sollte, nach einem langen Anlauf, Uli Hoeneß seinen größten Auftritt haben.

       Der Triumph von Brüssel

      Vor dem Endspiel gegen Atlético Madrid, das für den 15. Mai 1974 in Brüssel angesetzt war, galt der FC Bayern als Favorit. Der spanische Meister hatte die türkische Meistermannschaft Galatasaray Istanbul nur knapp geschlagen und war dann sowohl gegen Dynamo Bukarest als auch gegen Roter Stern Belgrad wirklich überzeugende Leistungen schuldig geblieben. Erst beim 2:0-Heimsieg gegen Celtic Glasgow im Halbfinale hatten die Spanier ihre Klasse andeuten können. »Wir werden siegen«, verkündete daher Trainer Lorenzo vor dem Endspiel im Vertrauen auf die ansteigende Form seines Teams: »Gerade jetzt hat sich meine Mannschaft heißgespielt und lechzt nach einem neuen Opfer.« Der Verlauf des Spiels schien ihm Recht zu geben. Zwar hatten die Bayern anfangs gute Chancen, doch dann fanden die Spanier immer besser ins Spiel. Der 34 Jahre alte Adelardo legte Hoeneß an die Kette, Eusebio ließ Gerd Müller keinen Raum, Mittelstürmer Garate prüfte auf der anderen Seite des Spielfelds Sepp Maier immer wieder mit kraftvollen Schüssen. Die Bayern spielten seltsam schwach, »katastrophal«, wie Hoeneß hernach zugeben sollte, und Fernsehkommentator Oskar Klose rätselte, warum »diese jungen Burschen nicht ihr Letztes geben, um Atlético Madrid, das doch durchaus zu schlagen ist, zu besiegen«.

      Obwohl ein Müller-Tor wegen angeblichen Fouls nicht anerkannt wurde, war das 0:0 nach der regulären Spielzeit aufgrund der zahlreichen Chancen der Spanier für die Münchner recht glücklich. Auch die Verlängerung schien keine Entscheidung zu bringen. Von den 30 Minuten waren bereits 24 vergangen, da verschuldete Hansen einen Freistoß. Der 36-jährige Mittelfeldspieler Luis, als treffsicherer Freistoßschütze bekannt, trat an, drehte den Ball über die sechsköpfige Mauer hinweg und dann an Maier vorbei ins kurze Toreck. Alles schien jetzt verloren. Doch dann, in der letzten Spielminute, als den Spaniern schon der finale Jubelschrei in den Kehlen steckte, kam der Moment, als »Katsche« Schwarzenbeck im Mittelfeld den Ball trieb und niemanden fand, zu dem er ihn abgeben konnte. »Wenn du im Spiel einmal über die Mittellinie läufst, darfst du nie aufs Tor schießen«, hatten ihn seine Mitspieler stets ermahnt, denn »Katsches« Schussversuche waren in der Regel grauenvoll. Aber in seiner Verzweiflung zog er diesmal, aus 30 Metern, einfach ab – und der Ball war drin. Das 1:1 kam so überraschend, dass alle für einen Moment voller Verblüffung erstarrten – dann pfiff der Schiedsrichter, und die durch eine Art Wunder erlösten Bayern fielen sich freudestrahlend in die Arme.

      Da Endspiele damals noch nicht durch Elfmeterschießen entschieden wurden, musste der Sieger in einem Wiederholungsspiel ermittelt werden. Das sollte nur zwei Tage später erneut im Heysel-Stadion zu Brüssel stattfinden. So hatte man 48 Stunden, um die Wunden zu lecken und sich Gedanken zu machen über die Fehler, die man im ersten Spiel begangen hatte. Der 22 Jahre junge Uli Hoeneß, in der Presse zuvor als »der schnellste lebende Stürmer Europas« gefeiert, gehörte zu den Bayern-Spielern, von denen die Beobachter am meisten enttäuscht waren; sein behäbiger Gegenspieler, der 34 Jahre alte Rodriguez Adelardo, hatte ihm während des gesamten Spiels kaum einen Stich gelassen. Als Susi Hoeneß am Morgen nach dem Spiel ihren Mann im Hotel »Le Grand Veneur« besuchte, sah sie sofort, dass er total deprimiert war. »Wir sagten nur ›Grüß Gott‹ zueinander und setzten uns dann auf eine Wiese. Es war ein herrlicher Sonnentag. Ich glaube, wir saßen drei Stunden wortlos da und guckten nur in die Gegend. Ich spürte, dass es besser war, meinen Mund zu halten. Irgendwie hat ihm das gut getan. Als wir uns trennten, war er ganz guter Stimmung.« Wie seine Mitspieler war auch Uli Hoeneß völlig kaputt, aber er wusste, dass die überalterten Atlético-Kicker sich vermutlich noch schwerer erholen würden als die junge Bayern-Mannschaft. Und außerdem hatte er für das Wiederholungsspiel einen Plan gefasst: »Wir müssen das Mittelfeld schneller überbrücken als am Mittwoch, damit die Spanier keine Gelegenheit haben, sich mit acht Mann zurückzuziehen. Wir Sturmspieler müssen mehr tun.« Trainer Lattek goss den Plan in den taktischen Auftrag an Müller, sich immer wieder aus der Sturmmitte zurückfallen zu lassen, dadurch seine Gegenspieler mitzuziehen und somit für die schnellen Vorstöße von Hoeneß mehr Platz zu schaffen. Mehr tun – das hieß also für Hoeneß, seine alte Rolle als voranpreschender »Jung-Siegfried« neu aufzulegen. Er interpretierte sie diesmal so bravourös wie nie zuvor.

      Schon nach einer Viertelstunde hat Hoeneß, der seinen Bewachern mit Vollgas davongezogen war, die Chance zur Führung auf dem Fuß: Gefühlvoll, aber mit etwas zu starkem Druck lupft er den Ball über den Balken. Auch Müller hat gleich darauf Pech, als sein Kopfball am Pfosten landet. Dann die 28. Minute. Breitner angelt sich kurz vor dem eigenen Strafraum den Ball, dreht sich einmal um die eigene Achse und drischt die Kugel nach vorne, dorthin, wo sein Spezi Uli wartet. Während der Ball fliegt – 40, vielleicht 50 Meter weit – sprinten Hoeneß und sein

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