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Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
Читать онлайн.Название Das Prinzip Uli Hoeneß
Год выпуска 0
isbn 9783895337345
Автор произведения Christoph Bausenwein
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Es folgte das feucht-fröhliche Nachspiel. Hoeneß: »In der Kabine stand Sekt parat, kistenweise. Davon war bald nichts mehr übrig. Leicht selig fuhren wir zum offiziellen Bankett ins Hilton-Hotel. Ebenfalls beim Bankett: die Holländer. Wenn auch, verständlicherweise, mit ernsteren Gesichtern. Einige drückten uns, leicht verschämt, die Hand. Andere besahen sich unsere überschäumende Freude etwas nachdenklich aus einer Ecke. Langsam tauten auch sie auf, die sich im Finale als großartige Mannschaft präsentiert hatten.« Die Offiziellen des DFB, die den Frauen der Spieler die Teilnahme am Bankett untersagt hatten, tauten allerdings nicht auf. Und so wurde Uli Hoeneß’ Frau Susi, die trotz des Verbotes am Tisch der Weltmeister Platz genommen hatte, zum Ausgangspunkt eines heftigen Streits. DFB-Funktionär Deckert erschien am Tisch und bestand darauf, dass Frauen den Saal zu verlassen hätten. Laut Franz Beckenbauer entspann sich daraufhin folgender Dialog:
Uli Hoeneß (auf einige ältere Damen mit Perücken hinweisend, die an der Funktionärstafel dinierten): »Aber da sind ja auch andere Frauen.«
Deckert (die Hände flach auf den Tisch legend, wütend): »Das sind die Damen der Offiziellen, das ist etwas ganz anderes. Hier herrscht noch Zucht und Ordnung. Maßen Sie sich nicht Rechte an, die Ihnen nicht zustehen.«
Uli Hoeneß: »Halten Sie doch die Luft an.«
Damit stand Uli Hoeneß auf und verließ mit seiner Frau den Saal, Beckenbauer folgte ihm. »Mit seiner geschlossenen Gesellschaft hatte sich der DFB selbst an den Pranger gestellt«, resümierte Beckenbauer. »Gerd Müller erklärte noch in der gleichen Nacht seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Andere schlossen sich an.«
Der Vorfall zeigte, dass mit den Weltmeistern von 1974 eine neue Generation von Spielern herangewachsen war. Sie hatte sich weit entfernt von der Generation der Arbeiterkinder, die meist nur für einen angestammten Verein gegen das Leder traten und sich davon einen bescheidenen Ruhm als »local hero« sowie gewisse berufliche Privilegien versprachen. Jetzt waren es Profis, die im Zuge einer kontinuierlich ansteigenden Kommerzialisierung des Spiels ihren Wert einzuschätzen wussten, denen bewusst war, dass sie die Zuschauer in die Stadien und vor den Fernseher lockten, die Kasse klingeln ließen und die Bühne für die Funktionäre bereiteten. Fußball war nicht mehr nur in trauter Vereinstümelei betriebener Sport, sondern Teil der Unterhaltungsindustrie. Die höhere mediale Beachtung hatte die Helden des Rasens in einen Rang ähnlich den Stars der Popmusik erhoben, und dementsprechend hatte sich auch ihr Verhalten geändert.
Dieses neue Selbstbewusstsein hatte aber nicht nur mit dem gestiegenen Ansehen und Einkommen der Sportler zu tun. Über allem lag ein Hauch von »’68«. Das dokumentierte sich in den langen Haaren und dem lässigen Auftritt, im Aufbegehren gegen verknöcherte Autoritäten, das selbst den überzeugten CSU-Wählern unter den Profis nicht fremd war, sowie in einem anderen Verständnis über die Rolle der Frauen. Der Eklat im Hilton war also keineswegs nur ein zufälliges Ereignis, sondern Ausdruck eines Zeitenwandels, der aus Fußballspielern selbstbewusste Stars gemacht hatte – Stars, die in vorher noch nicht dagewesener Weise von jungen Leuten umjubelt wurden, so etwa durch die Schüler, die an ihrer Lehranstalt in Ulm ein Transparent mit dem Namen »Uli-Hoeneß-Gymnasium« entrollten.
Ein angeschlagener Weltmeister
Im Jahr 1974 standen die Bayern auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Deutscher Meister, Europapokalsieger und – Weltmeister, denn bei der WM hatten ja mit Maier, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Breitner, Müller und Hoeneß sechs Bayern zur Stammformation gezählt. Zum Bundesliga-Auftakt gegen Offenbach im Frankfurter Waldstadion machte Karl-Heinz Rummenigge sein erstes Spiel und erlebte gleich den Beginn der ersten großen Bayern-Krise: Die Männer um Beckenbauer und Müller schossen kein einziges Tor, die Gegner deren sechs. Bayern begann die Saison als Tabellenletzter. Danach wurde es nicht allzu viel besser. Offenkundig waren viele Spieler nach den großen Triumphen satt. Außerdem gingen den Bayern die Kräfte aus, denn die Auswechselbank war schmal und qualitativ nicht gut besetzt. Dazu war die Stimmung im Verein alles andere als harmonisch. Die vergangenen Erfolge hatten die Mannschaft nicht zusammengeschweißt, im Gegenteil: Überall wucherten Neid und Missgunst und trieben tiefe Risse in das Mannschaftsgefüge.
Die Bayern waren kein Team mehr, sondern mutierten zu einem Ensemble aufeinander eifersüchtiger Stars, in dem jeder seine Pfründe verteidigte. Als die Weltmeister drei Wochen vor dem Auftaktspiel der neuen Bundesligasaison ins Training einstiegen, war die Stimmung aufs Äußerste gespannt. Deutlicher Ausdruck der allgemeinen Gereiztheit war Uli Hoeneß’ Reaktion auf das Gerücht, die Bayern wollten den bei der WM groß herausgekommenen Polen Gadocha verpflichten: »Wir können nicht noch einen Star in der Mannschaft vertragen.« Franz Beckenbauer sah in einem ganz bestimmten Star, nämlich in Uli Hoeneß, den Quell des Unfriedens. »Bei Hoeneß hatte sich wohl die Idee festgesetzt, ich würde ihm seine Karriere nicht gönnen, ihn nicht zu groß werden lassen wollen beim FC Bayern und in der Nationalelf. Er fand einen Verbündeten in Udo Lattek.« Der Kapitän verdächtigte den Trainer, er bevorzuge Abiturienten und Studenten. »Hoeneß, Breitner und Lattek bildeten eine verschwörerische Allianz. Eine spöttische Bemerkung beim Essen, eine kleine Bösartigkeit beim Training, die Luft hatte plötzlich einen giftigen Geruch.« Dazu hatte sich ein »Damenkränzchen« gebildet mit einer Susi (Hoeneß) und zwei Hildegards (Breitner und Lattek). »Udo Latteks Frau führte Regie«, behauptete Beckenbauer. »In diesem Kreis wurde dann besprochen, wie ungerecht es doch bei den Bayern zuginge, alles drehe sich nur um Beckenbauer, Müller und Maier. Wie viel mehr Geld die drei verdienen würden, viel mehr als ihre Männer. Und dann erst dieser Robert Schwan, ein Tyrann und Diktator, der nur im Sinn hätte, sich und Beckenbauer die Taschen zu füllen.«
Zum schlechten Betriebsklima gesellten sich unübersehbare Verschleißerscheinungen. Die Vielfachbelastung der letzten Jahre – Meisterschaft, DFB-Pokal, europäische Wettbewerbe sowie die Turniere der Nationalmannschaft inklusive Qualifikationsspiele – hatten nicht nur beim »Kaiser« ihren Tribut gefordert. Als Beckenbauer über nicht enden wollende Schmerzen in der Leistengegend klagte, wiegelte Lattek ab und sprach von einem Muskelkater, der sicher rasch wieder vergehe. »Ich hörte den Spott heraus«, kommentierte der in seiner Autorität angegriffene Bayern-Kapitän, »ich sah die Blicke, die er mit Uli Hoeneß und Paul Breitner wechselte. Ich wusste: Es gibt Ärger. Ich fühlte mich wie in einem Rudel von Wölfen. Ich stellte mir vor, dass es dort so sein müsste: Die Jungen sind es leid, die Führung des Leittiers zu akzeptieren, auch wenn es für alle nur ein Vorteil war, die Erfahrung, die Stärke des Alten, die den Erfolg bei der Jagd garantierten.«
Paul Breitner verabschiedete sich nach Madrid und prophezeite dem Klub eine schwere Zukunft. »Die Bayern sind satt.« Im Dezember 1974 musste der immer ratloser wirkende und mit Alkoholeskapaden auffällig gewordene Udo Lattek seinen Hut nehmen. Franz Beckenbauer, so der Bayern-Spieler Rainer Zobel, sei »nicht unmaßgeblich am Abschuss von Lattek beteiligt« gewesen. Sein Nachfolger Dettmar Cramer, zuvor Nationaltrainer der USA, war mit seiner professoralen Art ein gänzlich anderer Typ als der joviale und medienerfahrene Lattek. Er kam anfangs in München nicht sehr gut an. »Am Ende haben wir alle das Abitur, aber keine Punkte«, klagte ein verwirrter Wilhelm Neudecker, ehemaliger Maurerlehrling und aktueller Bayern-Präsident. Das mit dem Abitur klappte nicht, die Furcht vor zu wenigen Punkten hingegen war nicht unberechtigt. In der Rückrunde näherten sich die Bayern zwischenzeitlich sogar der Abstiegszone, am Ende wurden sie immerhin noch Zehnter, mit 26 Punkten Rückstand auf den Meister Borussia Mönchengladbach. Erfolgreich blieb die Cramer-Truppe allerdings im Europapokal. »Wir konnten uns nur noch bei Europapokalspielen zusammenreißen«, resümierte Uli Hoeneß die Situation. »Zwei Spiele, alle vier bis sechs Wochen – dazu reichte die Konzentration aus.« National ein Flop, europäisch top – so lautete das Motto der Bayern dieser Jahre.
An einem feuchten 23. Oktober 1974 trafen die Münchner im Achtelfinale des Landesmeister-Cups auf den 1. FC Magdeburg. Beim Hinspiel im Olympiastadion führte der Gast aus der DDR zur Pause mit 2:0, dann drehten die Bayern das Spiel durch zwei Treffer von Gerd Müller und ein Eigentor noch um. Zum Rückspiel nach Magdeburg reiste der FC Bayern mit eigenen Lebensmitteln und eigenem Koch an. Um zu erklären, was er gegen die ostdeutsche Küche habe,