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Bernis Glück im Pech. Lise Gast
Читать онлайн.Название Bernis Glück im Pech
Год выпуска 0
isbn 9788711508350
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
„Natürlich!“ Friederun lachte. „Das war ja eine schöne Bescherung.“
„Na, nicht wahr? Nun muß sie alle Kürbisse auf einmal verbrauchen. Was fängt so eine einzelne Person mit diesen Mengen an?“
„Sie könnte euch ja welche davon schenken“, schlug Friederun vor. Ihre braunen Augen glänzten vergnügt. „Alle angeschnitzten könntet ihr haben, die langten bei euch ein paar Wochen.“
„Paar Wochen? Drei Tage höchstens. Was meinst du, was wir brauchen“, sagte Angelika etwas von oben herab. „Wenn Ernst da ist — der ist schon über einsachtzig —, dann reicht kein normaler Topf. Und Margot und Brigitte essen auch schon ganz schön.“
„Du, es muß prima sein mit so vielen Geschwistern“, sagte Friederun. Es klang so aus dem tiefsten Herzen kommend, daß Angelika lachen mußte.
„Bestimmt ist es prima. Mutter sagt auch immer, wenn wir ihr auch die Haare vom Kopf fressen, hergeben tät’ sie doch keins. Aber ihr seid ja auch drei. Ganz allein denk’ ich mir am schlimmsten, so wie Bärbel, ohne Bruder und Schwester.“
„Sicher. Aber meine Schwestern sind ja schon groß, beinah erwachsen. Zeig doch noch mal das Bild von deinem jüngsten Bruder, bitte. Ist er nicht niedlich! Und der kommt Ostern zur Schule?“
„Jetzt können wir anfangen einzupacken“, bestimmte Angelika nach einer kleinen Weile. Sie hatte keine Armbanduhr — natürlich nicht —, aber sie hatte auf Friederuns geschaut. „Geht die richtig? Dann sind es noch sieben Minuten.“
„Sie geht etwas vor.“ Friederun betrachtete verliebt ihr Handgelenk. „Findest du nicht auch, daß sie mir gut steht? Im Sommer, als ich so sehr braun war, hatte ich einen richtigen weißen Streifen um den Arm, dort, wo das Armband sitzt. Daran sah man erst, wie braun ich war.“
„Ja. Schade, daß es immer so schnell wieder weggeht. Ich werde übrigens nie richtig braun, ich bekomme nur Sommersprossen“, erklärte Angelika und knipste den Koffer auf, um noch etwas hineinzustampfen. Er war zum Überquellen voll; die beiden großen Schwestern, die der Billigkeit halber mit dem Rad kommen wollten, hatten ihr an Gepäck aufgeladen, was nur möglich war.
„Sommersprossen? Da mußt du Märzweiß nehmen, davon gehen sie weg“, sagte Friederun. Angelika sah sie ein wenig mitleidig an.
„Nein, weißt du, darauf reicht es wahrhaftig nicht. Mit Schönheitsmitteln dürfen wir erst anfangen, wenn wir selbst verdienen, sagt Mutter. Ernst darf auch dann erst rauchen — er raucht aber auch jetzt schon manchmal, ich weiß es.“
„Dann mußt du eine Schnecke darüberkriechen lassen“, sagte Friederun. „Da gehen sie auch weg, und es kostet nichts.“
„Eine Schnecke? Übers Gesicht? Puh, nein, da behalt’ ich lieber meine Sommersprossen“, sagte Angelika und schüttelte sich. „Los, zieh dich an, jetzt sind wir gleich da. Wer wird am Bahnhof sein? Alle?“
Sie standen an der Tür, als der Zug auf dem Bahnhof einlief, und spähten gespannt hinüber nach dem Zaun, der neben dem Bahnhofsgebäude die Straße abschloß. Als sie daran vorüberfuhren, erhob sich dort ein vielstimmiger, wilder Ruf. „Heeeeringe!“ gellte es herüber, so laut, daß man es auch durch das Rattern des Zuges hörte.
„Heringe!“ schrie auch Angelika aufgeregt und winkte zum Fenster hinaus, so daß Friederun sie hinten am Kleid festhielt.
„Warum schreit ihr denn ‚Heringe‘?“ fragte sie, als sie hinauskletterten. Angelika beförderte mit Wucht einen Koffer nach dem andern auf den Bahnsteig.
„Bei uns kommt jeden Montag ein Mann mit einem kleinen Eselswagen, der Heringe verkauft. Wenn er schreit, antworten wir immer alle — und da ist das der Familienschlachtruf geworden.“
Am Zaun standen drei winkende Kinder. „Winkend“ ist mild gesprochen, sie flügelten wild mit den Armen und sprangen immer wieder hoch. Angelika ließ zunächst den Umweg über die Sperre aus und rannte, zwei Koffer in den Händen, dem Zaun zu. Dort ließ sie das Gepäck fallen, griff erst einmal über die Latten und hob den kleinsten Bruder zu sich herüber. Er umarmte sie wie ein Affenjunges seine Mutter, während er sein Gesicht an das ihre drückte.
„Toffer! Ich hab’ dir auch was mitgebracht! Und du hast ja einen neuen Pullover an. Und schwer bist du geworden! Ißt du denn jetzt ordentlich? Und ...“
Friederun war ihr, ein wenig zögernd, gefolgt. Sie stand hinter ihr und wartete, was nun werden sollte. Heidi gab Angelika schließlich einen Schubs über den Zaun hinweg.
„Du, nun laß schon! Du hast ihn ja noch den ganzen Nachmittag. Gib deine Koffer ’rüber!“
„Erst den Toffer, dann den Koffer“, sagte Angelika und hob den Kleinen wieder hinüber. „So, Friederun, gib her! Das ist nämlich Friederun aus meiner Klasse, sie kann nicht nach Hause in diesen Ferien, deshalb hab’ ich sie mitgebracht.“
Heidi war, wie Friederun erleichtert feststellte, durchaus gefaßt bei dieser Nachricht. Sie nahm gleichmütig Koffer um Koffer, Rucksack, Pappschachteln, Wandertasche und Geigenkasten über den Zaun hin in Empfang. Dann liefen die beiden Reisenden der Sperre zu, durch die eben die letzten Fahrgäste gingen, die mit ihnen ausgestiegen waren. Gleich darauf waren sie alle dabei, das Gepäck in und auf einen kleinen zweirädrigen, gummibereiften Handwagen zu verstauen.
„Das ist Marianndel“, hatte Angelika kurz gesagt, als sie mit Friederun zu den Geschwistern trat. Marianne war schmal, nicht sehr groß, und schien gewohnt zu sein, daß man mit ihr nicht viel Wesens machte. Mit den andern übrigens auch nicht ... Angelika hatte Heidi nicht einmal die Hand gegeben. Alle Zärtlichkeit und Liebe schien man in dieser Familie auf den kleinen Toffer zu schütten, was der als naturgegeben hinnahm.
„Wo ist eigentlich Berni, das Unglückswurm?“ fragte Angelika, als sie neben Heidi die Deichsel des Wagens ergriff und sich in Marsch setzte. Die Bäume hier am Bahnhof, groß und alt, begannen gerade, sich zu färben. Es war ganz windstill, ein goldenes Herbstlicht lag über dem Städtchen.
„Ja, wo! Er wollte ganz bestimmt mit zur Bahn, er hat es mir heute früh gesagt. Halbtot hat er mich gemacht mit seinem Gefrage, immer wollte er ganz genau wissen, wann der Zug käme und von welcher Seite und auf welchem Bahnsteig. Schließlich hab’ ich es satt bekommen und hab’ ihn angeschrien, er solle selbst gehen und nachsehen. Und da ist er auch losgezogen und war prompt zu Mittag nicht da. Mutter hat sich mächtig geärgert. Wir hatten nur Pellkartoffeln und Quark, weil doch immer soviel zu tun ist, wenn ihr kommt. Mutter wollte noch Kuchen backen für euch. Und sie stellt so ungern das Essen warm.“
„Weder Dorf noch Stadt“, erklärte Angelika in ihrer kurzen, treffenden Art, als sie in den Ort einmarschierten. „Scheußlich, nicht? Wir würden viel lieber auf dem Lande wohnen, richtig, weißt du; wenn es hier wenigstens eine höhere Schule gäbe, aber dazu ist der Ort wieder zu klein. Zu klein für die Schule und zu groß, um richtig leben zu können!“
„Richtig leben“ hieß bei den Wittekinds „auf dem Lande leben“. Sie stammten vom Land, Mutter sowohl wie Vater. Jeder Mensch, den sie einigermaßen als Menschen ansprachen und rechneten, war vom Land. Zum Leben gehörte für sie alle — genau wie Atmen, Essen und Trinken —, daß man täglich mit Pferden und Kühen, Hunden, Hühnern und Gänsen zu tun hatte; daß man im Sommer früh um vier aufstand, weil man es einfach nicht erwarten konnte, in den Garten zu laufen, wo im betauten Gras die ersten mildsäuerlichen Frühäpfel lagen und die Schnecken im Salat sich unnütz machten, und daß man abends kaum ins Bett fand. Und daß man sich im Winter „einmottet“, wie Vater immer gesagt hatte, zeitig schlafen ging, morgens sich die Hände am Kartoffeldämpfer wärmte und den eigenen Atem wie eine Rauchfahne vor dem Munde stehen sah, wenn man zum Kuhstall hinüberging, um Milch zu