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Der stets loyale Co kommentierte den Journalisten in die Notizblöcke, er sei »sehr traurig« gewesen, als sein Chef in die Schusslinie geraten war. Aber da er nun seinen Dienst vorzeitig quittiert hatte, wolle er sich diese Chance natürlich auch nicht entgehen lassen. Wobei er sich allerdings keine allzu großen Hoffnungen machen durfte: Mayer-Vorfelders Wunschtrainer hieß Nevio Scala. Man hatte den beim AC Parma unter Vertrag stehenden Italiener bereits kontaktiert und wartete nur noch auf das Okay von seinem bisherigen Arbeitgeber.

      Der 36-jährige Cheftrainer-Neuling Joachim Löw hatte zur Vorbereitung des ersten Saisonspiels gegen Schalke 04 ganze drei Tage Zeit. In dem zum Spieltag erschienenen Stadionheft versuchte Löw den Schulterschluss mit den Fans. Seit seiner Zeit als Spieler sei er immer eng mit dem VfB verbunden geblieben, er sei »gerne beim Verein« und wolle »auch gerne hierbleiben«. Wer wollte, konnte hier durchaus eine Bewerbung für den Posten des Cheftrainers herauslesen. Um eine Chance zu haben, musste er aber erstmal Erfolge vorweisen.

      Vor dem Anpfiff des Schalke-Spiels machte Löw seine Spieler heiß. »Ganz Deutschland schaut auf euch. Jeder erwartet, dass ihr verliert. Geht raus und beweist, dass ihr als Mannschaft noch lebt!« Und wie die Mannschaft lebte! Am Ende hieß es 4:0, und das ganze Stadion tobte. Was für ein Einstand! Der potenzielle VfB-Trainer Nevio Scala sah es auf der Tribüne und rieb sich verwundert die Augen: »Wieso braucht diese Mannschaft eigentlich einen neuen Trainer? Die spielt doch einen wunderbaren Fußball.« Auch im Umfeld des Vereins kamen Gedanken auf, dass man den sympathischen und im Team respektierten Neuling durchaus behalten könnte, wenn es ihm gelänge, auch die nächsten Spiele ähnlich erfolgreich zu gestalten. Tatsächlich folgten zwei weitere überzeugende Siege – 2:1 gegen Bremen und 4:0 in Hamburg –, die bei Fans und Kommenatoren für Euphorie sorgten. Die »Bild«-Zeitung stellte die rhetorische Frage: »Der nette Herr Löw: Ist er besser als alle Star-Trainer?« Der »Kicker« kürte den Stuttgarter Interimstrainer gar zum Mann des Monats August. »Der 36-Jährige hat die Chance, die er ursprünglich gar nicht hatte, beim Schopf gepackt.« 9:0 Punkte und 10:1 Tore – das konnte selbst der Löw-kritische »MV« nicht ignorieren. »Möglich, dass die Variante Löw eintreten kann«, begann er zu überlegen. Verlockend war die Variante in jedem Fall aus finanziellen Gründen, denn mit seinem Monatsgehalt von 15.000 DM lag der Ex-Assistent nur bei einem Zehntel dessen, was Branchengrößen wie Hitzfeld und Daum verdienten.

      Mayer-Vorfelder stand nun unter Druck, selbst ohne konkrete Forderungen des Cheftrainer-Kandidaten. Die Erfolge, die Begeisterung der Fans, die nun sogar zum Training in Massen kamen, und nicht zuletzt die positive Stimmung der Spieler sprachen für sich. Während Fringer den psychologischen Fehler begangen hatte, die Cliquenwirtschaft in der Mannschaft nicht zu unterbinden und sich damit einige Spieler zum Feind gemacht hatte, schien Löw einen neuen Teamgeist entfacht zu haben. Der frustrierte Bulgare Krassimir Balakov, der den Verein bereits hatte verlassen wollen, lebte wieder auf. Den von Fringer als Störenfried aussortierten Thomas Berthold gliederte er ohne Vorbehalte wieder ein. »Wir können nur gemeinsam Erfolg haben«, lautete die Losung des Trainers. Und die Spieler verstanden sie. »Alle haben begriffen, dass sie ihr Ego zurückstecken müssen«, ließ sich Fredi Bobic vernehmen, außerdem mache das Training endlich wieder Spaß, »weil der Jogi die Mannschaft viel mit einbindet«. Löw legte Wert darauf, die Spieler in langen Gesprächen von seinen Ideen und Maßnahmen zu überzeugen. »Ich glaube, dass es das Wichtigste ist, dass die Mannschaft die fachliche Seite anerkennt«, begründete er sein Vertrauen auf die Kraft der Überzeugung. Eine weitere Erklärung für seinen Erfolg sah er darin, dass er die nach dem Weggang von Fringer unter Zugzwang geratene Mannschaft in die Verantwortung genommen und sie bei ihrer Ehre gepackt hatte. »Das hat eine Eigendynamik entwickelt.«

      Vor dem Auftritt des VfB am 4. Spieltag in Köln fragte die »Stuttgarter Zeitung«: »Schafft es der freundliche Herr Löw mit dem vierten Sieg auf den Chefsessel?« In der Frage schwang ein leichter Zweifel mit. Diesem so jugendlich wirkenden Jogi, diesem Kumpeltyp, der seine Spieler duzte und locker mit ihnen plauderte, diesem sperrigen Moralisten, der sich gegen die Gepflogenheiten der Branche sperrte, der auf das übliche Ballyhoo verzichtete und sich weigerte, bei Interviews das Südmilch-Label an den Hemdkragen zu pappen, weil er keine »Litfaßsäule« sein wollte, der nicht wie ein Zampano, sondern zuweilen eher wie ein Sozialarbeiter wirkte – diesem so gar nicht in das übliche Trainerklischee passenden Mann traute man irgendwie nicht so recht die nötige Autorität zu, um ausgebuffte Profis dauerhaft zu zähmen. Zwar versuchte sich Löw in martialisch klingenden Sprüchen – »Ich verlange von allen Spielern Disziplin, da kenne ich keinen Spaß«, »Wer sich nicht in den Dienst der Mannschaft stellt, fliegt sofort raus« –, doch wirkten solche Worte im badischen Idiom eher niedlich-bemüht als wirklich überzeugend.

      Der nette Herr Löw schaffte seinen vierten Sieg. 4:0 gegen Köln! Nun konnte er locker über sein Image und das Duzen reden. »Die Frage der Autorität und des Durchsetzungsvermögens hängt nach meiner Ansicht nicht von Etiketten und Formalien ab. Wenn der Chef durch Leistung, durch Ideen und durch ein erfolgreiches Konzept überzeugt, dann ist es völlig egal, ob er von seinem Team geduzt oder gesiezt wird. Entscheidend ist allein das Ergebnis.« Und nach weiteren Erfolgen – 1:1 in Dortmund und 2:0 in Karlsruhe – konnte er mit dem Etikett des etwas langweiligen Brävlings ziemlich relaxt umgehen. »Am Anfang hat mich das schon gestört, dass ich da gleich in eine solche Schublade hineingeschoben worden bin, eben nach dem Motto, der ist lieb und nett und auch ein bisschen naiv. Mittlerweile stört es mich aber auch nicht mehr, und es ist ja auch gar nicht so. Ich weiß für mich persönlich, dass ich ganz anders bin und auch einmal kompromisslos durchgreifen kann.« Schließlich sei festzuhalten: »Wenn man es schafft, die Mannschaft mit fachlich guter Arbeit und klaren Vorstellungen zu überzeugen, folgt die Autorität zwangsläufig.«

      Löws Bilanz nach sechs Spieltagen war phänomenal: 16 Punkte, 17:3 Tore – Tabellenspitze! Er hatte den launischen Stuttgartern die Flausen ausgetrieben und sie nicht nur siegen, sondern auch noch schönen Fußball zaubern lassen. Worauf war der Erfolg zurückzuführen? Der Schweizer Nationaltrainer Fringer, der soeben das WM-Qualifikationsspiel in Aserbaidschan mit 0:1 verloren hatte, ärgerte sich: »Ich kann nicht mehr ernten, was ich gesät habe«. Aber wie viel Fringer steckte in Löws VfB? »Fringer hatte hervorragende Ideen vom Fußball«, konstatierte Löw. »Nach seinem Abschied war es aber nötig, das vorhandene große Potenzial zu wecken.« Er hatte Poschner und Berthold in die erste Elf zurückgeholt, dem gesamten Team eine gehörige Portion Aggressivität eingeimpft, und schließlich hatte er auch taktisch einige Umstellungen vorgenommen. Statt 4-4-2 ließ er ein 3-5-2 spielen. In der Standard-Dreierkette verteidigte Berthold links, Schneider auf rechts und in der Mitte agierte Verlaat im Stile eines Liberos. Davor sicherten mit Poschner und Soldo zwei defensive Mittelfeldspieler den Spielmacher Balakov ab. Legat und Hagner besetzten die Außenbahnen, ganz vorne sorgten Elber und Bobic für die Tore. Prunkstück des Teams war natürlich das »magische Dreieck« in der Offensive. »Perfekter als zwischen uns drei kann ich mir ein Offensivspiel nicht vorstellen«, meinte Fredi Bobic über sein oftmals brillantes Zusammenspiel mit Balakov und Elber. Wichtig war sicherlich auch, dass Löw zwar ein System vorgab, zugleich aber die Kreativität der Spieler nicht durch sture taktische Vorgaben einengen wollte. Ohne Grundordnung geht nichts, aber ohne die Fähigkeit der Spieler, sie auszugestalten, taugt sie nichts, lautete sein Motto. »Bei uns darf jeder alles machen – wenn die Ordnung stimmt.« Die bündigste Formel für das »Prinzip Löw« fand später Fredi Bobic: »Der Trainer hat sich unsere Stärken angeschaut, sie miteinander verzahnt und uns dann unsere Freiheiten gelassen.«

      Präsident Mayer-Vorfelders lang anhaltende Skepsis gegenüber einem Cheftrainer Löw hatte ihre Ursache nicht zuletzt in der Furcht, selbst in die Kritik zu geraten, falls das Experiment mit dem Nobody auf der Trainerbank im Laufe der Saison doch noch fehlschlüge. Aber nun war die Erfolgsbilanz derart angewachsen, dass selbst »MV« eine offizielle Beförderung des ehemaligen Assistenten nicht mehr zu verhindern vermochte. Umfragen hatten ergeben, dass sich über 90 Prozent aller VfB-Fans einen Cheftrainer Löw wünschten. Am Samstag, den 21. September 1996, war es dann endlich so weit. Mannschaftsrat, Verwaltungsrat und Vorstand gaben einträchtig ihre Zustimmung ab. Mayer-Vorfelder, der zu dem Neuen

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