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Im Schellenhemd. Nataly von Eschstruth
Читать онлайн.Название Im Schellenhemd
Год выпуска 0
isbn 9788711487327
Автор произведения Nataly von Eschstruth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Es ist ein gar absonderlich reiten, wenn es so ohne Ziel und Zweck in die Welt hinein geht! —
Das Edelwild zog flüchtig vor den beiden Reitern vorüber, setzte über die Strasse und verschwand in dem rauschenden Buschwerk, und gewohnheitsgemäss zuckte es in des Junkers Hand, den Speer zu fassen und zu folgen mit Hussa und Trara! Aber er liess lächelnd die Finger vom Schwertgriff abgleiten und gedachte daran, dass der Sigenôt es gewohnt war, andre Gegner anzugehn, dass jetzt eine friedliche Zeit für den heimischen Forst anbrechen werde, und dass der Edle vom Darsberg diesmal ausgeritten sei, um andrer Hantierung als der eines harmlosen Gejaides willen.
Die Rosse griffen so wacker aus, als es ihnen bei der ansehnlichen Bürde und den schlechten Wegen möglich war. — Heisse Sonnenstrahlen glühten hernieder, wenn der Tann sich lichtete und die Felder einzelner Dorfschaften die Fahrstrasse säumten, und obwohl erst eine ganz kurze Zeit vergangen war, aber eine frischsprudelnde Quelle am Wiesenhang just zum rasten einlud, räusperte sich Synold, wischte sehr bemerklich den Schweiss von seinem blauroten, hiebdurchnarbten Angesicht und sprach: „So wir in gleichem Trabe weiter reiten, Junker, klopfen wir in sieben Tagen schon an die Tore der ewigen Stadt; aber unsere Rosse sind Schindmähren geworden, und ihre Herren steife Besenstiele, die ein Trossknecht aus dem Sattel heben muss. Dafür aber muss bei Zeiten eine Rettung geschaffen werden, und so vermeine ich, wir binden die Gäule an jenes Lindenstämmlein neben dem Bach, dann können sie fressen und saufen, so viel es ihnen behagt, und wir tun uns nieder im Schatten und greifen zum Rucksack.“
Jorg belobte solchen Vorschlag, stieg ab und hielt eine behagliche Mittagsrast, fröhlich der leckeren Bissen, welche des Synold Fürsorge eingepackt. Dieser aber sprach: „Harte Brocken allein schaffen’s freilich nicht! So einer will mit Kräften reisen, muss er pokulier’n mit Fleissen!“ und zog den glatten Steinkrug hervor, ihn dem jungen Gebieter darzureichen. Der war freilich mehr an klares Brunnenwasser gewöhnt, denn an Wachholder- und Kirschengeist, aber er gedachte daran, dass des Vaters strenges Auge sich geschlossen hatte, und dass es sich für einen echten Rittersmann geziemet, jedweden Strauss auszufechten, auch den mit dem Belzebub, der aus einer Flasche heraus den nüchternen Gesellen eine Memme schilt!
Erst, als die Schatten der Bäume schräg über den Sand fielen, rüsteten die Wanderer zum Weiterritt. Und da sich Ross und Mann gestärkt und die Luft erquicklicher daher strich, ging es lustig waldeinwärts, die Berge empor, an deren südwestlichem Hange die Stadt Zwingenberg liegt.
Zum erstenmal gelangte Jorg von Jossa so weit heraus auf fremdes Gebiet, zum erstenmal näherte er sich einer wohlbefestigten, landbekannten und reichbegüterten Stadt, welche sein Vater so bitterlich gehasst hatte um eines alten Streites willen.
Licht und lichter ward der Tann, des Berges Gipfel schien durch die kahlen Stämme, und nach wenigen Minuten stampften die Rosse heraus auf die freie Heide, ihre Reiter urplötzlich vor ein gar unerwartet wundervolles Bild zu stellen. Zu ihren Füssen, weit gedehnt, lag das glückselige Hessenland, die lachenden Gefilde der Rheinebene, das majestätische Wipfelmeer des Odenwaldes. Fernhin blitzte und wogte das breite Silberband des Rheins, Weinberge säumten es nach Norden zu, fruchtbare Felder grenzten es mit üppigem Teppich. Die Höhen der Bergstrasse, welche hier zum Anbeginn die malerischen Häupter aufragen lassen, ziehen sich weit hin, im bläulichen Duft am Horizont verschwimmend; und als funkelnder Edelstein in ihrem Bergkranz hebt dicht zu der Reiter Füssen die Stadt Zwingenberg ihre zinkenkronige Stirn. Die Abendsonne vergoldet die trutzigen Mauern, die keck aufsteigenden Wachttürmchen, die zahllosen schmucken Hausgiebel, welche sich gleich wie die Küchlein um eine Glucke, um den stolzen, hochgelegenen Kirchenbau des Grafen Eberhard des Dritten zu Katzenellenbogen drängen. Wahrlich ein reiches, üppiges Bild, aus welchem prunkend das Rathaus hervorsticht, sowie noch etliche andre Häuser, die ganz besonders gross und prächtig erbaut sind. —
Junker Jorgs Blick weilt besonders auf einem. Hart an der Stadtmauer liegt es, so nah, dass man von einer Altane direkt auf den Mauergang heraustreten kann. Da Friedenszeit ist, hat man dem Bürger gestattet, sich ein herrlich Gärtlein dort auf der Mauer anzulegen. Die Blütenbeete und Ziersträucher leuchten in lieblichen Farben bis hier herauf, ein künstlich Wasserwerk speit einen Strahl empor, dass er in der Sonne flimmert wie ein Regenbogen. Das Haus selber ist sehr gross, in einem winkeligen Viereck gebaut, ausgeschmückt mit unzähligen Erkern, geschnitzten Galerien und kleinen bleigefassten Fensterscheiben, welche wie hundert helle Sternaugen im Abendrot brennen. Muss ein reicher Mann sein, der ein solch Besitztum sein eigen nennt.
Der junge Ritter hat das seltene Bild schier verschlungen mit den Augen, er atmet so entzückt, wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum und ruft mit jauchzender Stimme: „Ja, dies ist Zwingenberg! und so ich hinabschaue auf ein solch lustig und anmutig Gelände, so kann ich wohl die Mär begreifen, welche vor Jahren der Kaplan Benedikt erzählte, der Einkehr bei uns hielt, der Mutter einen Patenbrief von der Frau Edelgarde zu bringen! — Er erzählte, dass einst ein hochgelehrter Mann aus dem Wunderlande der Schönheit, Italien, gekommen sei, Herr Theologus Zauchius mit Namen, der habe auf der Höhe von Zwingenberg gestanden, davon man in zehn Herren Länder schauen könne, — vielleicht allhier auf dem nämlichen Flecke! — und da er das blühende Hessenland zu seinen Füssen geschaut, da habe er die Hände zum Himmel gehoben und ausgerufen: „O Germania! Germania! qvam libenter velles esse Italia!“ Das bedeutet auf Deutsch: „O Deutschland, Deutschland, wie gut möchtest du Italien sein!“ — und der Edle von Jossa schaute stolz ob solchen Wissens seinen Gefährten an, was er darauf sagen werde.
Synold Wackerstein aber sass sehr gravitätisch in seinem Sattel, rieb sich die rote Nase, darum die Mücken schwirrten und sprach mit geringschätziger Miene: „Die italische Sprache verstehe ich, denn ich war dort zu Lande und habe sie weidlich erlernt, wie ich auch die kauderwelschen Sprachen der Türken, Heiden, Muselmänner, Mahommedaner und Allahanbeter, jede einzelne gründlich erfasste. Aber was nützt ein solches? Wo finde ich allhier so gelehrte Leute, dass sie möchten morgenländisch mit mir parlieren? Da stelle ich halt eben mein Lichtlein unter den Scheffel und weiss keiner, was für einen bedeutsamen Mann er vor sich hat. — Dass aber Deutschland könnte Italien sein, das hat ein ganz infames Lügenmaul ersonnen, denn ich habe dieses Land geschaut. Bäume, wie hier? oh misericordia! So man in Italia einen Dattelbaum fället und schleifet ihn durch tausend starke Rosse ans Meer, so kann man trockenen Fusses über ihn ins Morgenland gehen.
„Ei, warum tut man’s nicht, und schaffet sich so viele Not durch Schiffe?“
Synold hob die Achseln: „Wo soll man wohl in einem Land, da es nur Affen, Nashörner und Löwen gibt, an tausend Pferde hernehmen? Da lieget der Hase im Pfeffer!“ und er zuckte die Zügel und ritt fröhlich bergab: „Und die Datteln sind dort wie die Kürbisse, und wenn Ihr Korn säet, wie bei uns, müsset Ihr es mit der Säge schneiden, denn es wird stark wie Ellernstecken. Hab’ ich Euch noch nicht erzählet, wie ich in selbem Land Streit bekam mit einem Riesen, hoch wie ein Weberbaum und dick wie der Mausturm im Rhein, den ich hatte um ein Logament gebeten und der ein Räuber und Menschenfresser war?“
Junker Jorg verneinte mit weit aufgerissenen Augen, und während die Gäule behaglich ausgriffen, berichtete der Schalk von einem schier unglaublichen Abenteuer! „Und wie ich nun da lag — an Händen und Füssen geknebelt, und der Räuber grad sein Messer nimmt ... fass ich in die Hosentasch —“
„Warest doch an den Händen geknebelt?“
„Der Strick war morsch ... aus Bast gedreht — ich zerbiss ihn flink mit den Zähnen! fass in die Hosentasch’, zieh meine Schalmei hervor und blas in meiner Todesangst die schönsten Stückchen. Das war aber eine verzauberte Schalmei, die ich von einer Hexe hatte, und musste jeder, der sie hörte, tanzen.“
„Du auch?“
„Natürlich!“
„Warest aber doch geknebelt?“
„Ei freilich! war ja just das Wunder, dass ich mit geknebelten Füssen tanzte! Und der Riese tanzte auch und hätte sich wohl tot getanzt, wenn ich nicht einen Schlucksen bekommen hätte, der mich unterbrach. Da rettete mich aber des Riesen Knecht, der kam gelaufen und sprach: „Auf der Strasse kommt ein reicher Kaufmann!“ — Sie rannten mordgierig davon, aber schlossen mich