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durch die Gittersprossendistanz durchschlüpfen kann und daß das Gitter mit 14 cm Sprossenentfernung kein Hindernis für ein Eindringen von außen bildet. Ist der Bursche daher der Dieb, so brauchte er nicht von außen einzusteigen.

      Eine Kopfmessung der übrigen erachtete der Richter zwecklos, nachdem die Gittersprossenentfernung die Möglichkeit eines Eindringens von außen gewährleistet. Die Untersuchung wurde nun auf das Haus im Innern und die Truhe ausgedehnt.

      Viel bot der Lokalaugenschein nicht. Der Richter fand, daß die Truhe wie ein Koffer geöffnet werden konnte, wenn man den Deckel aufschlug. Rostig und alt war das Schloß; kaum geeignet, einen besonderen Widerstand zu leisten; ebenso alt und morsch war das Truhenholz. Ehrenstraßer besah sich die Stelle genau, wo der unbekannte Dieb mit einem Instrument eingesetzt haben mußte, um den Deckel aufzusprengen. Deutlich ist zu sehen, daß ein Stemmeisen knapp neben dem Schlosse zwischen dem obersten Rand der Vorderwand und dem Deckel eingeführt wurde, das Holz zeigt den betreffenden Abdruck des Werkzeuges und läßt erkennen, daß auf das Heft des Werkzeuges ein Druck nach unten ausgeübt worden sein mußte. Das Eisen hat also gleichzeitig in die Vorderwand der Truhe hinunter, mit dem Schneidende aber auch hinauf auf den Innenteil des Truhendeckels gedrückt und sohin die Öffnung des Deckels erzielt.

      Diese Wahrnehmung ergänzte eine weitere Nachforschung, welche ergab, daß um das Mal, welches das Eisen in das Brett drückte, das Holz sehr stark im Gefüge war. Der Eindruck läßt erkennen, daß das Eisen vorne schmäler gewesen sein muß.

      Sorgfältig prüfte der Untersuchungsrichter nun auch die Innenseite des aufgesprengten Deckels und fand, daß an der Wirkungsstelle, wo das Eisenende den Druck ausübte, eine Figuration vorhanden ist, die zackig nach abwärts läuft. Sofort kombinierte der Richter, daß das Werkzeug kein normales Stemmeisen gewesen sein könne, eher eine Art Schraubenzieher, dessen eine Ecke an der Schneide abgebrochen sein mußte. Dieses Eckenteilchen war aber nicht zu finden, so sehr sich Ehrenstraßer auch abmühte. Nun wurden die Entfernungen der Druckstellen gemessen und die Resultate dem Protokollführer diktiert. Ohne das Instrument selbst zu haben, ist zu konstatieren, daß die Schneide jetzt 38 mm breit ist, daß sie vor dem Abbrechen der Ecke 41 mm breit war und daß das Stemmeisen 94 mm von der Schneide gegen das Heft hin gemessen, eine Breite von 54 mm haben mußte.

      Weitere Erfolge konnten nicht erzielt werden. Gleichwohl nahm der gewissenhafte Richter nun noch die Verhöre der Dienstboten vor und zwar wurde zunächst die Küchenmagd Gretl, eine kräftige junge Person, citiert, die zitternd in der Verhörstube erschien.

      Ehrenstraßer richtete die üblichen Vorfragen an die Person in hochdeutscher Sprache, bekam aber keine Antwort, daher er die Fragen im Dialekt wiederholte. Jetzt verstand ihn die Magd und gab ihr Nationale an.

      „Hast du in der vergangenen Nacht etwas Besonderes wahrgenommen?“ frug der Richter.

      Die Magd wechselte die Farbe, ward bleich, dann wieder rot, ein Beben lief durch den ganzen Körper, eine unverkennbare Angst war vom Gesicht abzulesen. Stotternd beteuerte Gretl: „Ich hab' ganz gewiß nichts g'stohlen!“

      „Das glaub' ich ja auch! Aber du mußt mir schon sagen, was du in dieser Nacht beobachtet hast. Ischt jemand eingestiegen?“

      „Sall woaß ich nuit!“

      „Ischt jemand an deiner Thür' vorbei?“

      „Sall schon!“

      „Und was ischt dann geschehen?“

      „Ich kann's nicht sagen, ich hab' zu fest g'schlafen und bin erst wach worden, wie's vorbei war!“

      „Was war vorbei?“

      Zögernd und in großer Scheu gestand die Dirn, daß sie beim Erwachen einen Strohkranz um den Kopf hatte.

      „Hast du einen Burschen in der letzten Zeit abgewiesen?“

      Gretl nickte.

      „Welcher Bursch' war das?“

      „Der Seppel, seller, der heute von Enk gemessen worden ischt mit'm Kopf und Arm!“

      „Also ischt jener Seppl dir aufsässig, er verfolgt dich?“

      „Ja, sall ischt schon so!“

      „Liegst du allein in der Schlafkammer?“

      „Es liegt noch die Stalldirn drinnen in der Nacht!“

      „Und diese hat auch nichts gehört?“

      „Nein!“

      „Hast nichts gefunden, was der Seppl in der Schlafkammer zurückgelassen hat?“

      „Decht wohl! Ein rotes Tüchel hat er vergessen!“

      Jetzt wußte der erfahrene Richter den Sachverhalt genau, den er der Dirne aufzählte: „Der abgewiesene Seppel wollte sich an dir rächen! Er ischt heute Nacht mit einer rot verhüllten Laterne[1] in die Kammer geschlichen und ihr Dirnen habt fest geschlafen. Zum Hohn und Spott hat der Seppel dir den Strohkranz auf den Kopf gelegt, den du beim Erwachen vorgefunden hast.“

      „Sall ischt richtig! Ich bitt', gnä' Herr, verzählen Sie's nicht weiter, die Schand' ischt zu groß!“ bat die Dirne flehentlich.

      „Schon gut! Vom Einbruch hast du nichts wahrgenommen?“

      „Nichts, gnä' Herr!“

      Das Verhör der Stalldirne ergab nur die Bestätigung, daß der Strohkranz vorgefunden wurde. Vom Einbrecher selbst fehlt jede Spur. Die Untersuchung wie das Protokoll wurden geschlossen und die Gerichtskommission verließ den Hemmernmooshof und dessen laut um sein verlorenes Geld jammernden Besitzer.

      In seiner kahlen, dürftig mit den allernotwendigsten Geräten, wie Tisch, Stuhl, kleines Waschservice und Aktenständer möblierten Kanzlei im kleinen Gerichtsgebäude des Bergstädtchens präparierte der Bezirksrichter Ehrenstraßer sorgfältig die zu Amt gebrachten, ausgehobenen Spuren, die inzwischen eingetrocknet sind, doch die Nägel und Schuheiseneindrücke deutlich zeigen. Sie werden dem Akt einverleibt, der nun ruhen muß, bis der berühmte Zufall seine ersehnte Rolle zu spielen beliebt. Schon wollte der Richter den Akt dem Rubrum „Buchstabe A“ einverleiben, da fiel Ehrenstraßer ein, die Angelegenheit doch nicht mit der heutigen, nahezu ergebnislosen Untersuchung auf sich beruhen zu lassen. Der Amtsdiener Perathoner, ein kugelrundes Männchen, das in der Körperfülle im schreienden Gegensatz zur mageren Gage stand, erhielt Befehl, den Gendarmeriewachtmeister zu holen, und geschäftig wie immer, eilte der Diener zur Kaserne.

      Ehrenstraßer erledigte inzwischen einen Citoakt in seiner ruhigen, gewissenhaften Weise. So still ist's in dem kahlen, schlechtgetünchten Raum, daß das Kritzeln der Feder auf dem ziemlich rauhen Aktenpapier, sowie das Summen einiger nach Freiheit lüsternen Fliegen an den geschlossenen, vorhanglosen Fenstern das einzige Geräusch geben.

      Ganz in die Arbeit versunken, überhörte der Richter das leise Klopfen sowie das Aufklinken des Thürschlosses. Erst als eine silberhelle Mädchenstimme rief: „Lieber Papa!“ hob Ehrenstraßer den Kopf und blickte auf.

      „Ah, mein Herzensschatz! Tritt nur ein, Emmy! Was führt dich zur Amtszeit zu mir?“

      Verlegen, lieblich errötend steht die etwa zwanzigjährige blonde Tochter aus erster Ehe vor dem Papa, eine hübsche Erscheinung, und in der Kopfbildung wie in den Augen von unverkennbarer Ähnlichkeit mit dem Vater. Ob der leisen Rüge, die Emmy in der Frage Papas sogleich empfand, bat die Tochter, das Eindringen in die Kanzlei zur Amtszeit gütigst entschuldigen zu wollen.

      „Schon gut, Emmy! Du weißt, daß ich während der Amtsstunden ausschließlich meinem Berufe angehöre und hier Störungen in Privatangelegenheiten vermieden wissen will. Es muß sonach deinem Besuch ein besonderes Ereignis zu Grunde liegen! Sprich, mein Kind: Was führt dich hierher?“

      Ehrenstraßer hatte sich erhoben und trat seiner Tochter näher, die plötzlich die Arme ausbreitete, dem überraschten Vater um den Hals fiel und an seiner Brust zu weinen begann.

      „Emmy Kind! Was soll denn das bedeuten?“

      Unter Thränen

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