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er gelitten hat?“

      „Du bist klug,“ sprach Belnadin betroffen.

      „Ich lerne von dir und möchte gern mehr lernen.“

      „Was könnte ich dich lehren?“

      „Das zu sehen, was hinter den Dingen steht.“

      „Meinst du, ich könne das?“

      „Deine Augen, Herr, sehen mehr als Menschenaugen. Fast schaudert mich vor dir.“

      „Sage das nicht, Suggagu,“ flüsterte Belnadin heftig, „ich bin ein Mensch und muss ein Mensch sein, wie die anderen.“

      „Aber du hast wohl ein hohes Ziel. Jeder von uns hat eines. Ich will frei werden. Kein Sklave mehr sein. Einen Garten und ein Feld will ich haben, Kühe, Esel, Ziegen und Zicklein. Du hast andere Wünsche.“

      Belnadin lächelte: „Du bist klug, Suggagu, klüger als ich, der seine Wünsche nicht kennt.“

      „So weisst du nicht, was Sehnsucht ist?“

      „Sehnsucht ist ein kleiner, singender Vogel, der im Aether vorauseilt, und wir schwerfälligen Flösser folgen ihm mühselig nach.“

      Da wies Suggagu hastig auf das Zelt des Feldherrn. Allabana war herausgetreten und hielt Musterung. Er stand dort, bleich, ernst und hager, seine grossen, traurigen Augen fielen auf Belnadin.

      „Belpriester, kannst du Zeichen deuten, aus einer Schale mit Oel, oder die Zukunft aus einem Kristall lesen?“

      „Ich habe die Künste der Barûpriester nie geübt.“

      „Keine Ausflüchte. Sie sagen, du sähest Künftiges. Siehst du mich einziehen in Eridu, der Stadt Eas?“

      „Sende mich als Kundschafter voraus nach Bit-Imki, dann werde ich dir sagen, ob du Eridu erreichen kannst.“

      „Das ist wahrhaftig eine geringe Weisheit,“ sagte Allabana und ging vorüber.

      Er gab den Befehl, in einer teichartigen Biegung des Flusses zu nächtigen, wo die Strömung sanfter wurde.

      Die Zugtiere wurden ans Land gebracht, grosse Feuer am Ufer angezündet und Fische gebraten.

      Fern von den anderen sass Belnadin unter einer Weide und wusch seine wunden Hände. Eine wohlige Müdigkeit war in seinen Gliedern. Wieder war es Suggagu, der ihm Nahrung brachte. Dann schleppte der junge Sklave Pfähle herbei und spannte Linnen darüber.

      „Ich möchte dir dienen, Herr, auch wenn ich frei werde,“ sagte er. „Was befiehlst du weiter?“

      „Nichts, Suggagu. Oder doch etwas. Du sprachst von deiner Mutter Lamazani, die im Palaste wohnt. Setze dich zu mir und erzähle mir von der Königin Semiramis.“

      Tafel III.

      Heereszug.

      Zwölf Doppelstunden vor der elamitischen Grenze hoffte Allabana auf die Schiffe zu stossen, die ihn gegen Eridu tragen sollten. Doch eine Tagreise von der elamitischen Stadt Bit-Imki entfernt, war noch kein babylonisches Schiff sichtbar, und die Truppen begannen kleinmütig zu werden. Unter schlechten Vorzeichen hatte der Zug gegen Elam begonnen, weil die Königin, die ihre Krieger bisher von Sieg zu Sieg geführt hatte, in Babel zurückgeblieben war. Allabana galt ihnen als Zauderer, und sie glaubten nicht an sein Kriegsglück.

      Es war Nacht, die Mannschaft lagerte auf den Flössen, die Ufer wurden hier aus Furcht vor Giftschlangen gemieden. Nur Belnadin, gefolgt von Suggagu, hatte das Land betreten. Sie wandelten durch dunkle Stromauen. Es war Neumond, am Himmel flackerte der Widerschein eines fernen Gewitters.

      Manchmal warf sich Belnadin auf das Gras und horchte: „Ich höre ein dumpfes Tosen“.

      „Es ist Gott Rammân, der Donnerer, der seine Fäuste schüttelt,“ meinte der Sklave, „es sind die bösen Sieben, die Sturmwinde, die Ea losgelassen hat, um Götter und Menschen zu strafen.“

      „Nicht die bösen Sieben vernehme ich. Die bösen Sieben sind weder Mann noch Weib. Aus den Tiefen des Ozeans tauchen sie auf, aus dem Reich der Wolken brechen sie hervor und zerstören Damm und Strasse. Nein, es sind Menschen, ungeheure Menschenhaufen, die da kommen, und Rosse und Streitwagen.“

      Da legte auch Suggagu das Ohr auf den Boden, um zu horchen.

      Eine Schlange fuhr empor und züngelte ihm ins Gesicht. Suggagu schrie gellend auf.

      „Flieh!“ rief Belnadin.

      Doch Suggagu, starr vor Entsetzen, konnte nicht von der Stelle. Dicht an des Sklaven Wange sauste das Schwert Belnadins nieder und schlug der Schlange den Kopf ab.

      Der schimmernde, zuckende Schlangenleib lag zu seinen Füssen.

      Langsam richtete sich Suggagu auf, seinen Retter scheu anblickend: „Wer bist du, o Herr, dass du so leuchtest im Dunkel?“

      Belnadin atmete tief. Seine Augen schienen grösser geworden.

      „Fürchte dich nicht vor der Helle. Es wird Licht in meiner Seele. Ich weiss jetzt, dass ich die Schlange erschlug vor Urzeiten und dass ich wiederkommen muss, wenn euer Elend mich ruft, um sie zu vernichten zum Heile der Welt. Mein Schwert, das einst die Schlange Tihamat spaltete, muss die Feinde Babels töten. Komm Suggagu, die Nacht ist wie eine verhüllte Braut, und ich will sie mit Kriegsgeschrei erwecken.“

      Unangemeldet trat Belnadin in das Zelt des Feldherrn. Auf seiner Schulter hing die tote Schlange, sein schwarzes Haar flog, seine Stimme scholl, als müsse sie in das Reich der Höllengöttin Erischkigal dringen: „Wach auf, Allabana! Du bist verraten. Rüste gegen Elam!“

      Der Ruf klang durch das Lager. Die Krieger ergriffen ihre Waffen, Rosse wurden vor die Streitwagen gebracht und angeschirrt, und Maultiere vor die Karren gespannt. An die Spitze des Zuges stellte sich der goldene Streitwagen der Königin Semiramis, den die Bilder des heiligen Stieres und des gebändigten Drachen schmückten. Er sollte den Kämpfern Mut einflössen und die Allgegenwart der königlichen Macht dartun. Die Truppen waren marschbereit. Allabana gab noch die kurze Weisung: „Belnadin, ich ernenne dich zu meinem Hauptmann.“

      Schon kam durch die schilfbewachsene Ebene ein elamitischer Reitertrupp näher. Der erste Angriff wurde zurückgeworfen. Aber die Zahl der nachrückenden Feinde war gross, und der Kampf währte erbittert bis zum Morgen. Da geschah es, dass ein elamitischer Bogenschütze den Wagenlenker Allabanas tötete. Die Pferde scheuten, Allabana stürzte zu Boden, und die Räder gingen über seinen Leib.

      Belnadin trug den Feldherrn aus dem Getümmel und wusch ihm die Wunden mit Wein. Allabana bewegte die bläulichen Lippen, aber statt der Worte kam Blut aus seinem Munde. Verzweifelt schüttelte er das Haupt.

      „Ich fühle, was du sagen willst, Feldherr,“ sprach Belnadin, und seine Stimme klang sanft, als redete er zu einem Kinde. „Du fürchtest die Grausamkeit des Feindes, die selbst Verwundete nicht schont. Sei beruhigt, ich lasse dich in jenes Palmendickicht tragen und gebe dir dreissig Soldaten zur Bewachung.“

      Allabana nickte, und plötzlich fuhr seine Hand zitternd über Belnadins Haupt. Es war wie eine Liebkosung.

      „Ich danke dir, Feldherr,“ sagte Belnadin ernst. „Wenn alle wüssten, wie schwer die Stunde des Abschieds unsere Seele bedrückt, es wäre mehr Liebe in der Welt. Ich will dir einen Freundschaftsdienst erweisen, wenn ich am Leben bleibe und aus diesem Feldzug nach Babel zurückkehre. Ich will der Königin sagen, dass ich dich heldenhaft sterben sah.“

      Ein bitteres Lächeln ging über das Gesicht des Mannes, der niemals gelächelt hatte.

      „Nur die Lebenden sind Helden. Die Sterbenden wissen nicht, wohin sie gehen müssen. Sie tasten im Dunkel. An den trüben Wassern des Todes werden sie getränkt und Staub ist ihre Speise. Wie Blinde sind sie. Sie tasten, sie tasten ...“

      „Sei getrost, Allabana, die Männer, die im Kampfe fallen, werden dort klaren Trunk schlürfen, sie werden Vater und Mutter umarmen, und ihr Weib wird an ihrem Lager knien ...“

      „Du

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