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dass ich, hätte ich ihn ergriffen, auch Wind und Wetter ausgesetzt gewesen wäre. Ich war nämlich zunächst fest entschlossen, Müllmann zu werden. Als schätzungsweise vierjähriger Knirps erschien es mir ungeheuer beeindruckend, wie die Müllmänner jeden Montag unsere Aschtonne an den großen zischenden Lastkraftwagen hängten und der Inhalt, begleitet vom lauten Klappern des blechernen Kübels, im Bauch des Wagens verschwand. Eine staubige Arbeit. Fast jeder heizte schließlich mit Braunkohle, die orange-braune Asche musste in den Tonnen entsorgt werden und beim Entleeren entwich immer etwas in die Luft und auf die Straße.

      Doch da war noch etwas, was mich damals besonders in seinen Bann zog: Der Müllmann durfte auf einem kleinen Tritt am Heck das Fahrzeuges stehen, während der Fahrt! Draußen! Gab es etwas Schöneres als so durch die Straßen zu sausen? Ich war neidisch, das wollte ich auch machen – wenn ich mal groß sein würde. Verlockend war auch die Vorstellung, dass ich dann nur einen Tag in der Woche arbeiten müsste, schließlich kam das Müllauto immer nur montags. Was für ein Leben. Jetzt lag es nur noch an mir, ich hatte einfach groß zu werden und später in der Schule schön aufzupassen.

      Es muss an meinem Geburtstag gewesen sein, einer zwischen dem fünften und dem zehnten Lebensjahr, so meine zugegeben vage Erinnerung. Ich saß auf einem vielleicht einen Meter hohen gemauerten Pfeiler vor dem Eingang unseres Hauses. Neben mir stand mein Vater – diese Szenerie wurde auf einem Foto festgehalten. Nach dem Knipsen stieg ich vom Pfeiler, rutschte ab und fiel kopfüber auf das harte Pflaster. Ich muss benommen gewesen sein und wurde verrückt, wetterverrückt. Zumindest habe ich beschlossen, die tiefe Liebe zu Wolkenbrüchen, Starkschneefällen und Schwergewittern eben auf diesen donnernden Sturz zurückzuführen.

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       Da war die Welt noch in Ordnung … Mein Vater und ich auf dem besagten Pfeiler (Ende der 70er-Jahre)

      Vielleicht handelte es sich aber auch nur um einen Zufall und es war doch mein Großvater, der das zarte Aufkeimen meiner Begeisterung für Meteorologie und Geografie beförderte. In meiner Erinnerung saßen wir oft über einen großen Atlas gebeugt im Wohnzimmer und fuhren mit den Fingern um die Welt. Opa Heinz wusste von Stürmen zu berichten, die er als Matrose vor Norwegen erlebt hatte, damals im Krieg. Er kannte sich auf den Landkarten aus und konnte gut erzählen, so gut, dass ich oft lachen musste.

      Seine Tischlerwerkstatt neben unserem Drei-Generationen-Haus roch immer nach Holz, das mochte ich. Möglich, dass meine Vorliebe nicht nur für das Wetter, sondern auch für Holz damals geprägt wurde. Beides hat etwas mit der Natur zu tun, und Naturwissenschaft fasziniert mich bis heute, handwerkliches Arbeiten mit Holz gleichfalls, nur hapert es bei Letzterem an einer zufriedenstellenden Umsetzung meinerseits.

      Die Liebe zum Wetter kam und ging nie wieder (ich habe darüber schon in meinem ersten Buch „Kreibohms Wetter!“ geschrieben). So bereicherte ich zum Beispiel als Neunjähriger das Tagebuch meines Vaters während des Urlaubs in Bansin auf Usedom mit Angaben über das Tages-Wetter – bis hin zur exakten Wellenhöhenangabe der Ostsee, nämlich 60 Zentimeter am 28. Juni 1979, und dies bei Sonnenschein und 19 Grad Luft- sowie 18 Grad Wassertemperatur.

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       Titel unseres Urlaubstagebuches, gestaltet durch meinen Vater und mich (1979)

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       So schön war Bansin … Eintrag im Urlaubstagebuch (1979)

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       Der junge Mann und das Meer (1979)

      Stabil war das Wetter während unseres Aufenthaltes nicht, denn für den 1. Juli wurde durch meinen Vater vermerkt, dass die DDR-Tennismeisterschaften in Zinnowitz von Schauern geplagt wurden und der spätere Sieger Thomas Emmrich sein Spiel unterbrechen musste. Auch Heinz Florian Oertel, der das Geschehen kommentierte, musste Schutz suchen. Erst drei Tage später hockten wir wieder am Strand, ich vermerkte: „Die Sonne strahlt vom Himmel, wolkenlos.“

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      Backofenbau und Dauerfeilen

      Dass das Wetter für mich zum Beruf wurde, hat auch etwas mit dem VEB Backofenbau Parchim zu tun sowie mit dem Parchimer Landwirtschaftlichen Instandsetzungswerk (LIW). In beiden Betrieben gab es während meiner Zeit an der Adolf-Diesterweg-Schule, natürlich die beste Bildungseinrichtung der Stadt, tageweise Arbeit zu verrichten, und zwar im Rahmen des Faches PA – Produktive Arbeit. Für diesen Unterricht rückte die gesamte Klasse jeweils an zwei Tagen im Monat in einen der Betriebe ein, zunächst ein Jahr im Backofenbau, danach bis zur 10. Klasse im Landwirtschaftlichen Instandsetzungswerk.

      Im VEB Backofenbau erlernte ich als Schüler der 8. Klasse die hohe Kunst des Mülleimerhenkelbiegens, und zwar so ganz nebenbei – doch dazu gleich mehr. Hauptaufgabe war das stundenlange Feilen an Metallflanschen. Die Maße waren vorgegeben, die wir einzuhalten hatten, klar gekennzeichnet durch ins Metall geritzte Linien. Bis zu diesen war zu feilen, machte man alles richtig, passte so ein Teil in irgendein Loch – in was für eines, habe ich entweder nie gefragt oder dieses Wissen erfolgreich wieder verdrängt. Die Stunden, nein: die Tage vergingen, ich feilte und feilte, maß und feilte weiter.

      Schließlich kam der Moment der Abgabe des Gefeilten, zu dem ich im Laufe der Zeit eine gewisse Abneigung entwickelt hatte. Der für unser Schaffen verantwortliche Meister, vermutlich staatlich geprüfter Metallflanschfeiler und Kenner sämtlicher dafür vorgesehener Löcher, legte sein Maßband an und widmete sich meinem Objekt, nahm ein Stück Kreide und malte ein großes A darauf. „Güteklasse A, nicht schlecht, hat sich die Mühe ja gelohnt!“, dachte ich. Doch ich irrte, mein Metallflansch landete in einem großen Behälter, der mit einem A gekennzeichnet war, A wie Ausschuss. Gut, das saß. „Feilen, das kannst Du schon mal nicht, zumindest nicht richtig.“

      Anders beim Mülleimerhenkelbiegen. Darin war ich geschickt. Aber man konnte beim besten Willen auch wenig falsch machen. Ein schmaler Metallstab musste lediglich in eine Vorrichtung gelegt werden, die noch vier Hebel besaß. Zwei dieser Hebel, links und rechts gleichzeitig betätigt, sorgten dafür, dass aus dem geraden Stab ein gebogener wurde, die beiden anderen hatten die Aufgabe, noch zwei kleine Häkchen daran zu biegen. Diese wurden, wenn man den fertigen Henkel in den Gebrauch überführte, in die kleinen Löcher des Plastemülleimers gesteckt. Hunderte Mülleimerhenkel habe ich in meinem Leben gebogen, damit hat der VEB Backofenbau Parchim wahrscheinlich die halbe DDR versorgt. Es ist anzunehmen, dass auch heute noch derartige Werke existieren, denen ich einst im PA-Unterricht die richtige Krümmung beigebracht habe.

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      Das war mein Schulhof. Die dazugehörige Schule steht übrigens rechts, das ist die Diesterweg-Schule. Das linke Gebäude ist auch eine Schule, die Reuter-Schule. Deren Schulhof war auf der anderen Seite. Wir spielten hier Schlagball. Und „durften“ an Fahnenappellen teilnehmen.

      Mein Vater konnte linke Fahrradspiegel so umbauen und wieder zusammenschweißen, dass ich zeitweise sogar einen rechten Spiegel am Lenker hatte – diese gab es so gut wie nie zu kaufen. Mit einem derart aufgedonnerten Rad der Marke „Mifa“ war man damals ganz vorne mit dabei, zwei Spiegel, Tacho – Vollausstattung. Und ging etwas kaputt, musste mein Vater ran, ich stellte mich ausgesprochen ungeschickt an.

      So war es kein Wunder, dass ich an der Tätigkeit in unserem zweiten PA-Betrieb keine große Freude entwickelte. Im Instandsetzungswerk (LIW) arbeitete unsere Patenbrigade, daher kannten wir den Betrieb schon länger. Hier wurde gebohrt, gefräst, geschraubt – und wieder gefeilt. Es roch nach Metall und Öl, nach Fett und irgendwelchem Kühlmittel, das beim Metallbohren zum Einsatz kam. Ich drehte Gewinde in Traktorenachsen, oder sagen wir

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