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aber da sie nicht ein neu­es Ver­hält­nis schuf, son­dern ei­ner all­mäh­lich vollen­de­ten Ent­wick­lung Aus­druck gab, emp­fand sie Karl wohl als et­was Selbst­ver­ständ­li­ches. Das Wel­treich be­stand, es war die Form, in der seit Jahr­hun­der­ten die Men­schen leb­ten. Durch die Ent­ste­hung des großen frän­ki­schen Rei­ches war By­zanz an den Rand ge­drängt, der mäch­ti­ge Ger­ma­nen­fürst als tra­gen­de Säu­le in die Mit­te des Wel­trei­ches ge­rückt. Von ihm strahl­te schaf­fen­de Kraft nach al­len Sei­ten aus; der Ti­tel ver­lieh ihm nichts, be­sie­gel­te nur das, was war. Die Mög­lich­keit künf­ti­ger Ver­wick­lun­gen und Ge­fah­ren, die aus der Be­zie­hung zum rö­mi­schen Papst ent­ste­hen konn­ten, wird ihn nicht ernst­lich be­un­ru­higt ha­ben; dazu leb­te er zu sehr in der Fül­le der Zeit.

      Karl der Gro­ße war ei­ner der Be­ru­fe­nen, die das Zu­sam­men­ge­hö­ri­ge, aber Ve­rein­zel­te zu ei­nem le­ben­di­gen Gan­zen ord­nen, und die von den dank­ba­ren Völ­kern, de­ren Ge­schich­te sie be­grün­det ha­ben, wie Halb­göt­ter ver­ehrt wur­den. Sei­ne Vor­fah­ren hat­ten das große Werk vor­be­rei­tet, Thü­rin­gen, Schwa­ben, Bay­ern fand er be­reits mit den Fran­ken ver­ei­nigt, auch die Sach­sen und Frie­sen hat­te Pi­pin schon zu un­ter­wer­fen ver­sucht. Was ihn vor je­nen aus­zeich­ne­te, war, dass er dem neu­ge­schaf­fe­nen Kör­per eine ge­mein­sa­me Ord­nung, einen ge­mein­sa­men Sinn und Geist gab.

      Zu den Bü­chern, die Karl mit Vor­lie­be las, ge­hör­te der Got­tes­staat des hei­li­gen Au­gus­ti­nus. Der edle Schwung, der es er­füllt, die un­er­schüt­ter­li­che Über­zeu­gung ei­nes durch An­la­ge und Bil­dung über­le­ge­nen Geis­tes ma­chen die Wir­kung, die es jahr­hun­der­te­lang aus­ge­übt hat, ver­ständ­lich, mehr noch viel­leicht die Ein­fach­heit und doch auch Viel­deu­tig­keit der Ge­dan­ken­gän­ge. Schon in dem ers­ten Brü­der­paa­re der Mensch­heit, in Kain und Abel, so sieht Au­gus­ti­nus den Sinn der Ge­schich­te, spal­te­te sie sich in zwei Rei­che, in ein sol­ches, das Gott an­ge­hört, und in ein sol­ches, das den Men­schen folgt, mensch­li­chen Be­gier­den, mensch­li­cher Ein­sicht, mensch­li­chen Zwe­cken. Das Reich Got­tes steht in­ner­halb der Mensch­heit ge­gen­über der Welt oder dem Rei­che der Men­schen, das durch­aus nicht etwa des Ver­stan­des, der Bil­dung, der Tu­gend er­man­gelt, aber auf mensch­li­che und ir­di­sche Zwe­cke be­schränkt ist und zwei­fel­haf­te ir­di­sche Genüs­se durch ewi­ges Ver­der­ben er­kauft. Das Reich Got­tes ruht auf dem Glau­ben und ge­winnt das ewi­ge Le­ben, es be­ginnt hie­nie­den in Hoff­nung und ent­fal­tet sich drü­ben im Schau­en.

      Au­gus­ti­nus wuss­te, dass nicht alle, die sich Chris­ten nann­ten, Chris­ten wa­ren, aber die Kir­che, die das Wis­sen von Gott und den gött­li­chen Din­gen lehr­te, der zu sei­ner Zeit alle Chris­ten an­ge­hör­ten, ohne die die Nach­fol­ge Chris­ti als nur von ein­zel­nen ver­wirk­licht ohne Halt und ohne Dau­er ge­we­sen wäre, fiel ihm zu­sam­men mit dem Got­tes­staa­te, wäh­rend der heid­nische Staat die­je­ni­gen um­fass­te, die sich der Gna­de Got­tes ent­zo­gen. Der Ge­dan­ke lag nahe, Kir­che und Staat über­haupt als Got­tes­staat und Men­schen­staat oder Welt ein­an­der ent­ge­gen­zu­set­zen; man konn­te aber auch den Schluss zie­hen, dass zwi­schen Kir­che und dem in­zwi­schen christ­lich ge­wor­de­nen Staat kein Un­ter­schied mehr be­ste­he und nur die ge­sam­te Hei­den­schaft als gna­den­lo­ses, der Ver­damm­nis ge­weih­tes Reich auf­zu­fas­sen sei. So sah es Karl der Gro­ße an; sein Reich soll­te ein Got­tes­reich sein, das als sol­ches die Kir­che ehr­te und schütz­te und ihre Leh­re ver­brei­te­te. Ver­gleicht man ihn mit Bo­ni­fa­ti­us, so tritt die Frei­heit und das Schöp­fe­ri­sche sei­nes Geis­tes be­wun­de­rungs­wür­dig her­vor. Er ließ sich gern be­leh­ren, ver­zich­te­te aber nie auf ei­ge­nes Ur­teil. In Be­zug auf man­che kirch­li­chen Fra­gen, zum Bei­spiel auf den Bil­der­dienst, hat­te er an­de­re An­sich­ten als der Papst. Zu­wei­len war er der­je­ni­ge, der die Rich­tung gab. Er hat­te eine durch Er­le­ben und Nach­den­ken ge­won­ne­ne Über­zeu­gung. Wenn er sich auch als Schirm­herr der Kir­che und des christ­li­chen Glau­bens fühl­te, so ver­folg­te er doch An­ders­den­ken­de nicht. Al­ler­dings zwang er mit Här­te den Sach­sen das Chris­ten­tum auf; das war ein Mit­tel zur Ei­ni­gung der Stäm­me, und die strengs­ten Stra­fen konn­ten so­fort ge­mil­dert wer­den, wenn der Schul­di­ge sei­ne Zuf­lucht zur christ­li­chen Kir­che oder zu ei­nem christ­li­chen Pries­ter nahm. Wäh­rend Bo­ni­fa­ti­us Be­den­ken trug, mit ei­nem Chris­ten, den er nicht für ganz recht­gläu­big hielt, der im Ge­rings­ten vom rö­mi­schen Ka­non ab­wich, zu spre­chen und zu es­sen, trat Karl der Gro­ße in freund­schaft­li­che Be­zie­hung zu Ha­run al Ra­schid, sam­mel­te er die al­ten Volks­lie­der, in de­nen die Ger­ma­nen die Ta­ten ih­rer Hel­den ver­herr­licht hat­ten.

      Der Cha­rak­ter des Got­tes­rei­ches soll­te sich nicht nur durch den Schutz der Kir­che, son­dern durch die vom Kö­nig aus­flie­ßen­de Ge­rech­tig­keit er­wei­sen. Die Sage er­zählt, dass in Zü­rich, in ei­nem dem Müns­ter ge­gen­über­lie­gen­den Hau­se, wo der Kai­ser zu woh­nen pfleg­te, eine Glo­cke an­ge­bracht war, da­mit je­der Recht­su­chen­de sich bei Karl mel­den kön­ne. Ei­nes Ta­ges läu­te­te dort eine Schlan­ge, um ge­gen eine Krö­te zu kla­gen, die sich auf ihre Eier ge­setzt habe. Sie be­schenk­te den Kai­ser, der ihr zu ih­rem Rech­te ver­half, aus Dank­bar­keit mit ei­nem wun­der­kräf­ti­gen Stein, des­sen er sich oft be­dien­te. So ver­deut­lich­te sich das Volk die Ge­rech­tig­keits­lie­be sei­nes großen Kö­nigs, der auch den Ge­rings­ten in sei­nem Recht schütz­te. Im Um­fas­sen­den sei­nes Geis­tes zeig­te sich sein Ge­nie. Kein Ge­biet war ihm fremd, keins ver­nach­läs­sig­te er; er för­der­te die Bau­kunst, die Dicht­kunst, die Mu­sik, die Schu­le, die Land­wirt­schaft, er war groß als Ge­setz­ge­ber, als Ver­wal­ter, als Rich­ter, als Guts­herr, im Krie­ge. Nichts war ihm zu klein, nichts zu fern­ab. Als die nie feh­len­de Un­ter­la­ge großer Ge­nia­li­tät be­saß er eine un­er­schöpf­li­che Tä­tig­keit. Er war im­mer er­füllt von großen Ge­dan­ken, im­mer mit ih­rer Aus­füh­rung be­schäf­tigt, im­mer voll Teil­nah­me an na­hen und fer­nen, großen und klei­nen Er­eig­nis­sen. »Lasst uns heu­te et­was Denk­wür­di­ges un­ter­neh­men«, so lässt ihn die Über­lie­fe­rung täg­lich spre­chen, »da­mit man uns nicht ta­de­le, weil wir den Tag mü­ßig ver­bracht ha­ben.«

      Sei­ne zeit­ge­nös­si­schen Ver­eh­rer ha­ben uns Karls Äu­ße­res ge­schil­dert: die kräf­ti­ge, hoch­ge­wach­se­ne Ge­stalt, den fes­ten Gang, die männ­li­che Hal­tung, die großen, leuch­ten­den Au­gen. Sei­ne Stim­me war hell und nicht stark, er sprach gern und viel und war im­mer fröh­lich, wie er denn auch Froh­sinn um sich her lieb­te. Im­mer durch die In­ter­es­sen sei­nes rie­si­gen Rei­ches be­wegt, leb­te er doch voll un­ge­teil­ter Hin­ga­be mit sei­ner Fa­mi­lie und sei­nen Freun­den. Je­der Frau, die er lieb­te, je­dem sei­ner Kin­der, je­dem sei­ner Freun­de ge­hör­te sein Herz ganz. Jah­re­lang leb­te er in glück­li­cher Ehe mit der Schwä­bin Hil­de­gard, die all­ge­mein ver­ehrt wur­de, und die ihm drei Söh­ne und drei Töch­ter ge­bar. Sei­ne Kin­der lieb­te er so sehr, dass er sie im­mer, selbst auf Rei­sen, um sich ha­ben woll­te, und wie der maß­lo­se Kö­nig des deut­schen Mär­chens ließ er sei­ne Töch­ter nicht hei­ra­ten. Doch gönn­te er den schö­nen und lei­den­schaft­li­chen Mäd­chen ein be­glücken­des Lie­bes­le­ben und hielt ihre Kin­der wie recht­mä­ßi­ge En­kel. Nach dem Tode der Hil­de­gard hei­ra­te­te er Fa­stra­da aus ost­frän­ki­schem Stam­me, de­ren un­güns­ti­gem Ein­fluss es zu­ge­schrie­ben wur­de,

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