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Beine und stand auf. »Hui, ein bisschen wackelig.« Halt suchend streckte sie die Hand aus. Hielt sich an der Wand fest.

      »Das kommt davon, wenn man immer im Schneidersitz dasitzt. Das hemmt die Durchblutung der Extremitäten.«

      »Jawohl, Frau Assistenzärztin«, spottete Nina gutmütig und wankte Richtung Küchenzeile.

      Auf halbem Weg passierte es. Die Welt um sie herum begann sich zu drehen. Dabei hatte sie doch gar keinen Alkohol getrunken. Im Fallen griff sie reflexartig um sich. Erwischte das schmale Regal in der Ecke. Den Aufprall auf dem Boden bemerkte sie schon nicht mehr. Ein Glück, denn das Regal begrub sie unter sich.

      *

      Das Klingeln des Telefons weckte Dr. Weigand aus seinen Gedanken. Einen Moment lang starrte er auf das Diktiergerät in seiner Hand. Richtig! Er hatte Befunde diktieren wollen, als ihm Sophie in die Quere gekommen war. Wieder einmal! Er legte das Gerät weg und nahm das Telefonat an. Ein paar Minuten später war er auf dem Weg zu Anette Pastor. Er wurde schon sehnsüchtig im Behandlungszimmer erwartet.

      »Puls 100, viel zu schnell«, informierte ihn der Kollege Gruber.

      »Was sagt der Blutdruck?«

      »100 zu 70. Viel zu niedrig bei dem Gewicht der Patientin.«

      »Ich sage Anette schon die ganze Zeit, dass sie abnehmen soll. Aber nein, sie will ja nicht hören«, bemerkte Hartmut aus seiner Ecke.

      Matthias musterte ihn einen Moment lang aus schmalen Augen.

      »Apropos abnehmen. Was haben Sie heute gegessen? Außer verdorbenem Fisch, versteht sich.«

      »Heute Nachmittag gab es Käse-Sahne-Torte. Das ist mir wichtig. Am Sonntagnachmittag gehört ein festlicher Kuchen auf den Tisch.«

      »Ihre Frau ist bestimmt eine tolle Bäckerin«, entfuhr es Benjamin Gruber.

      Hartmut Pastor wollte eben zustimmen, als sich Anette auf der Liege krümmte.

      »Netti, was ist denn los mit dir?« Hartmut beugte sich über seine Frau.

      Dr. Weigand schob ihn kurzerhand weg.

      »Gruber, begleiten Sie Herrn Pastor hinaus!«

      »Natürlich.« Benjamin legte den Arm um die Schultern des widerstrebenden Mannes.

      Matthias kümmerte sich um seine Patientin. Leuchtete ihr mit der Taschenlampe in die Augen und redete beruhigend auf sie ein. Endlich beruhigte sich Anette ein wenig. Benjamin Gruber kehrte zurück.

      »Wir haben inzwischen Aufnahmen vom gesamten Oberkörper gemacht.« Auf dem Schreibtisch lag ein Tablet. Er schaltete es ein und suchte nach den Bildern, die die Kollegen der Radiologie eingespielt hatten. »Hier sind sie ja.« Gruber reichte das Gerät weiter.

      Matthias Weigand vertiefte sich in die Betrachtung.

      »Wir haben es mit einer Bronchopneumonie zu tun. Die Lunge ist entzündet.«

      Dr. Grubers Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

      »Wie konnte das passieren? Hat sie Erbrochenes eingeatmet?«

      »Schon möglich.« Matthias Weigand kehrte zu seiner Patientin zurück, nahm ihren Hals in Augenschein. Mit einem ziehenden Geräusch rang sie nach Luft. »Die Atemwegsmuskulatur ist gelähmt.«

      »Das kann unmöglich eine normale Lebensmittelvergiftung sein.«

      »Stimmt auffallend«, gab Weigand dem jungen Kollegen recht. Er beugte sich über Anette Pastor. Hob eines ihrer Augenlider und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. »Frau Pastor, hören Sie mich? Können Sie mit mir sprechen?«

      Anette schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Verzweifelt versuchte sie, ein paar Worte herauszubringen. Vergeblich. Mehr als ein Krächzen gelang ihr nicht.

      »Trockener Mund, Sprachstörungen.« Dr. Weigand drehte sich zu seinem Assistenzarzt um. »Welche Diagnose stellen Sie?«

      Benjamin dachte fieberhaft nach. Im Geiste ging er die endlosen Listen mit Symptomen durch, die er im Studium auswendig gelernt hatte. Seine Lippen bewegten sich lautlos.

      »Ich tippe auf Botulismus. Das Bakterium Clostridium botulinum führt nach anfänglichem Erbrechen und Durchfall zu neurologischen Ausfällen wie Schluck-, Sprach- und Sehstörungen. In schweren Fällen kann die Vergiftung zu Atemlähmung und zum Tod führen.«

      Dr. Weigand war in allen Punkten einverstanden.

      »Sagte Frau Pastor nicht, sie hätte geräucherte Forelle gegessen?« Er erinnerte sich an einen Artikel im Ärzteblatt in der vergangenen Woche. »In letzter Zeit kommt es in Europa immer wieder zu Vergiftungen mit Räucherfisch, der mit Keimen von Clostridium botulinum belastet ist.« Er schaltete die Taschenlampe aus. »Wir brauchen eine Probe für die Serologie.«

      »Ich rede mit Herrn Pastor. Vielleicht hat er die Packung noch zu Hause.«

      »Beeilen Sie sich! Wenn Sie richtig liegen, haben wir keine Zeit zu verlieren.«

      Wie zum Beweis japste Anette Pastor. Sie rang nach Luft, krümmte sich auf der Liege. Mit zwei, drei Schritten war Dr. Weigand wieder neben ihr. Ein Blick genügte.

      »Schwester! Wir müssen intubieren.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, als der Monitor einen durchgehenden Alarmton ausstieß.

      Matthias fuhr herum. Starrte auf die vier Linien des Überwachungsgeräts.

      »Kammerflimmern! Den Defi! Schnell!«

      Klappernd fiel der Tubus hinunter, hüpfte über den Boden und blieb an einem Schrankbein liegen. Schwester Irina lief in die Zimmerecke, wo der Defibrillator stand. In Windeseile schaffte sie das Gerät herbei. Verteilte ein durchsichtiges Gel auf den Elektroden und reichte sie dem Arzt.

      »Und Schock!« Matthias setzte die Elektroden auf. Der Strom schoss durch Anettes Körper. Weigands Blick hing am Monitor. Nichts! Auch der Alarm schrillte unverändert. »Noch einmal!«, verlangte er. Gleich darauf atmete er auf. »Rhythmus ist wieder da.« Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick ruhte auf der Patientin. »Hoffentlich beeilt sich Gruber mit der Serologie. Sonst kann ich für nichts garantieren.«

      *

      »Das war der Hammer.« Muriel rollte sich von Milan und musterte ihn aus stahlgrauen Augen. »Ich habe mich immer gefragt, wie das bei Rollstuhlfahrern funktioniert.«

      »Wieso?« Milan drehte sich zu ihr. Er streckte die Hand aus und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. Seine Augen lachten mit seinem Mund um die Wette. »An mir ist doch alles dran.«

      »Das schon.« Muriel kicherte. »Außerdem hast du geschickte Finger. Zwischendurch dachte ich, du bist überall.«

      »Ich war überall.«

      Muriels Zeigefinger wanderte über seine behaarte Brust.

      »Wenn dein Frühstück auch so gut ist, machst du dich unsterblich.«

      »Das hoffe ich doch.« Milans Augen glitzerten, als er sich über sie beugte.

      »Normalerweise bin ich ein braves Mädchen«, murmelte sie an seinen Lippen.

      »Ein Glück, dass du heute eine Ausnahme gemacht hast.« Mund, Wangen, Nasenspitze. Er bedeckte gefühlt jeden Quadratzentimeter ihres Gesichts mit kleinen Küssen. Muriel schnurrte wie eine Katze.

      »Ein Glück, dass ich dich gefunden habe.« Ihr Tonfall ließ eine Alarmglocke in Milans Kopf klingeln. Die Erinnerung an eine schrille Stimme. An unschöne Auseinandersetzungen, Eifersucht, Tränen. So etwas wollte er nicht erleben. Nicht schon wieder.

      »Verlieb dich nicht in mich.« Er sagte es mit einem Lächeln.

      Sie musterte ihn aus Augen, tief wie zwei Bergseen und genauso unergründlich. Plötzlich hustete sie.

      Milan riss die Augen auf. Richtete sich auf.

      »Bist du krank?«

      »Was

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