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Aufregend war es immer. Hugo Portisch
Читать онлайн.Название Aufregend war es immer
Год выпуска 0
isbn 9783711053060
Автор произведения Hugo Portisch
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
In der Slowakei bahnte sich eine große Wende an. Die Slowakei hatte als Verbündete des Dritten Reichs am Krieg gegen die Sowjetunion teilgenommen, mit zwei Divisionen. Es sei Pflicht, den atheistischen Bolschewismus zu bekämpfen, erklärte der Monsignore Tiso. Aber nicht wenige der slowakischen Offiziere waren anderer Meinung. Sterben für Hitler? War das Pflicht? Über die Front hinweg gab es bald Kontakte zwischen solchen Offizieren und den Verbindungsleuten der auch von Moskau aus operierenden tschechoslowakischen Exilregierung, die unter der Führung des früheren Präsidenten der ČSR, Edvard Beneš, stand.
In der Slowakei wurde der Aufstand vorbereitet. Sowjetische Partisanenführer aus der Ukraine wurden in der Mittelslowakei abgesetzt, organisierten mithilfe von Teilen der slowakischen Armee eine eigene slowakische Partisanentruppe. Sobald die Rote Armee den Gebirgszug der Karpaten erreichte, sollten diese Partisanen die Deutsche Wehrmacht daran hindern, ihre Front über die Karpatenpässe mit Nachschub zu versorgen.
Aber einige Offiziere der slowakischen Armee wollten mehr: Die Tiso-Regierung sollte gestürzt werden – mithilfe der slowakischen Armee, noch bevor die Sowjets kamen. So brach der Aufstand in der Slowakei los, lange bevor die Rote Armee eintraf. Das gab der deutschen Heeresleitung Zeit, mit ihren Truppen in die Slowakei einzumarschieren und den Aufstand zu bekämpfen. Es dauerte fast drei Monate, ehe der letzte Widerstand der Slowaken gebrochen war. Doch das war trotzdem schon das Ende der von Jozef Tiso geschaffenen Slowakei. Tiso durfte zwar noch in seinem Palais in Preßburg residieren, aber was jetzt im Land geschah, bestimmten die deutschen Besatzer. Und mit ihnen waren auch die Häscher Eichmanns wiedergekommen. Den noch in Preßburg lebenden Juden wurde befohlen, sich reisefertig vor dem Rathaus einzufinden, was aber nur wenige taten.
Nun wiederholte sich hier, was in Wien schon Jahre zuvor stattgefunden hatte: Die Juden wurden aus ihren Häusern und Wohnungen abgeführt. Es gab, so hieß es, keinen Widerstand. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass die Familien beisammenbleiben konnten und man ihnen erlaubte, pro Person einen Koffer mitzunehmen. So gehe man doch nicht in den Tod, sollte man daraus schließen.
Um diese Zeit aber hatten vermutlich schon alle Juden von Auschwitz gehört. So beruhigte man sie: Nein, sie würden nach Sered gebracht, kein deutsches, ein slowakisches Lager in der Mittelslowakei. Auch sei die Internierung nur für kurze Zeit gedacht – bis die Sowjetarmee »zurückgeschlagen« sei.
In meiner Familie herrschte Entsetzen. Mein Vater glaubte nicht daran, dass Sered die Endstation der Transporte sei, sondern nur ein Umleitungsplatz. Meine Familie hatte mehrere jüdische Freunde, einige von ihnen hatten es geschafft, das Land rechtzeitig zu verlassen, obwohl wir zurzeit nicht wussten, ob ihre Flucht auch geglückt war. Zu den besten Freunden zählte die Familie Kellermann, Vater, Mutter, Sohn. Die waren nicht geflohen, sondern wurden von gemeinsamen Bekannten versteckt. Wo, das wussten nur mein Vater und die Slowakin Kathi. Kathi war einige Jahre als sogenannte »Kinderfrau« bei uns und half meiner Mutter, mich zu betreuen. Kathi heiratete dann, blieb uns aber immer gewogen, und auch unseren Freunden. Sie half mit, die Familie Kellermann zu verstecken und mitzuversorgen. Die Kellermanns überlebten den Krieg und blieben danach noch einige Zeit in Preßburg.
Zurück in das nun deutsch besetzte Preßburg. Jetzt, da alles zusammenzubrechen schien, gab es für mich und meine Mitschüler eine unerwartete Wende. Die Ereignisse hatten uns ziemlich verstreut: Mehrere aus unserer Klasse waren bei der Feuerwehr, andere hatte man über Nacht so eingezogen wie in Deutschland den »Volkssturm«. Unausgebildet wurden sie in das Partisanengebiet geschickt. Zwei unserer Mitschüler waren von dort schon zurückgekommen, sie lagen verwundet im Krankenhaus.
Doch jetzt zur »Wende«. Plötzlich hieß es: Im Gebäude des Gymnasiums werde ein Maturalehrgang eingerichtet (nein, nicht Matura, Abitur hieß es jetzt). Aus der Feuerwehr würden wir entlassen, aber nach dem Abitur nicht mehr zurückkehren, sondern zum Wehrdienst einberufen, zur Waffen-SS. Das war das Schicksal jener Deutschen, die keine Staatsbürger des Deutschen Reichs waren. Die Ungarn hatten das erfunden, sie wollten ihre Deutschen – die »Schwaben« – nicht in den Reihen ihrer Armee haben, die sollte rein ungarisch sein. So boten sie an, die Deutschen nach Deutschland einrücken zu lassen. Aber weil sie keine Reichsbürger waren, durften sie nicht in der Wehrmacht dienen. Heinrich Himmler griff zu, in die Waffen-SS mit ihnen. Dort hatten sie auch einen Namen – sie wurden »Beutegermanen« genannt. Die Slowaken folgten dem Beispiel der Ungarn.
Für meine Mitschüler und mich zählte im Moment, dass wir jetzt weiter in die Schule gehen konnten. Trotz all dem, was in den letzten Monaten geschehen war, Partisanen und Aufstand der Armee, Einmarsch der deutschen Truppen, schwere Kämpfe in der Mittelslowakei, Judenverfolgung – das slowakische »Parlament« funktionierte noch, die Abgeordneten traten zusammen, darunter auch die Abgeordneten der Deutschen Partei. Sie brachten einen Antrag ein: Die Schüler der Abiturklassen des deutschen Gymnasiums und der Handelsakademie seien von allen Kriegsverpflichtungen freizustellen, um ihr Abitur abzuschließen, unter der Bedingung, danach den Wehrdienst anzutreten. Die Formel auf dem Abiturzeugnis hatte man von dem in Deutschland um diese Zeit üblichen »Kriegsabitur« abgeschaut: »Dem Schüler wird die Reife zuerkannt« bei Eintritt in den Wehrdienst.
Wir gingen in die Schule. Auch einige unserer bisherigen Professoren hatten sich eingefunden. Und versuchten, so gut es ging, uns doch noch etwas beizubringen, von der höheren Mathematik, der Chemie, der Physik und auch der Geschichte. Der Geschichtsprofessor hieß diesmal Homann und bestand darauf, dass wir uns dem Studium der Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie zu widmen hätten. Einige Schüler murrten, fanden offensichtlich gerade Österreich-Ungarn nicht zeitgemäß. Aber Homann hatte sich das wohl genau überlegt, setzte sich in Pose und sagte mit Nachdruck: »Ihr werdet noch alle der österreichisch-ungarischen Monarchie nachweinen.« Was er damit meinte, verstanden wir, so glaube ich, im Moment alle nicht. Aber ich musste seither oft daran denken.
Trotz der verkürzten Schulzeit nahmen wir das Abitur sehr ernst. Und folgten auch den Traditionen, die in Preßburg anlässlich der Matura immer schon wahrgenommen wurden. Die Schüler wurden mit ihrem Klassenvorstand fotografiert und das Foto als großes Tableau im Schaufenster eines der Geschäfte auf der sogenannten Promenade der Stadt ausgestellt. Das Publikum war also eingeladen, die Maturanten zu bewundern und ihre Leistung zu würdigen. Dazu gehörte noch etwas: Die Maturanten trugen im letzten Monat ihrer Schulzeit ein dünnes, grünes Band im Knopfloch als stolzes Zeichen ihres geglückten Studiums. Auch das grüne Bändchen trugen wir jetzt.
Meine Freunde, Fritz Pospiech, Egon Korinek, Viktor Lacko, und ich beschlossen, zur Feier dieser Matura zum ersten Mal in unserem Leben in eine Bar, einen Nachtclub zu gehen. Den gab es und er befand sich in einem Keller. Auf dem Weg hinunter legten wir unsere Mäntel in der Garderobe ab. Der Oberkellner schätzte uns richtig als nicht sehr zahlungskräftige Gäste ein und setzte uns hinter eine Säule in die letzte Ecke des Lokals.