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ist's besser, wir bleiben allein ... die nächsten Stunden ... jeder für sich ... und sagen uns weiter nichts mehr ...«

      Die Tür fiel ins Schloß und trennte die beiden.

      Hinter der dünnen Bretterwand klang es zu Elisabeth, die reglos am Fenster stand und auf die Straße starrte, zuweilen wie ein leises, verzweifeltes Weinen heraus. Aber so schlecht und grausam sie sich dabei auch selbst erschien, in diesem Augenblick empfand sie kein Mitleid mit dem Schwächling da drinnen. Sie konnte es nicht. Alle ihre Gedanken, ihr ganzes Sein strebte hinaus in die Ferne, zu den nebelverhangenen Klüften empor, in denen jetzt vielleicht ihr Glück und Schicksal begraben lag.

      Stunde auf Stunde verstrich. Sie rührte sich nicht. Sie wagte nicht, zu hoffen und zu beten ... sie war wie erstarrt in regloser, alle Nerven und Fibern zusammenkrampfender Erwartung.

      Durch Zermatt schlich unterdessen in verstörtem Flüstern das Gerücht von einem neuen Unfall am Matterhorn! Es drang in die Drawing-Rooms der Gasthäuser, wo die fetten alten Damen saßen und häkelten, es schwirrte durch die Gruppen der müßig umherstehenden Touristen und erfüllte in dem rauhen Kauderwelsch der Führer die Luft. Am Bahnhof empfing es die ankommenden Fremden, es wanderte mit Maultiertreibern und Trägern hinauf zu den Berghotels und würzte das Lunchgespräch, aus dem zehnmal häufiger noch als sonst das Wort »Matterhorn« erklang.

      Und dann schien das Gerücht sich zu verdichten und feste, greifbare Gestalt zu gewinnen. Einzelne Alpinisten eilten durch die Straßen, riefen andre aus den Hotels heraus und pilgerten mit ihnen nach dem andern Ende des Dorfes, die Führer rannten hin und her, eilten in ihre Häuser und die Herbergen und kamen. Seile um den Leib geschlungen, mit Schneebrillen, Fernrohr, Proviant und Kognak ausgerüstet, wieder heraus. Erst vereinzelt, dann in Gruppen, endlich zu Dutzenden sammelten sich auf der Gasse die braun gekleideten Gesellen. Spitze Adlerfedern und Gemsbärte nickten von den Hüten, die Eisäxte blinkten, gedämpftes Stimmengewirr, das leidenschaftslose Murmeln erfahrener, sich ruhig beratender Männer drang zu den Hotelfenstern hinauf.

      Mit wachsendem Entsetzen hatte Elisabeth von da oben all diese Vorbereitungen geschaut. Sie fühlte sich wie gelähmt. Sie fand nicht die Kraft, hinunterzugehen und das zu erfahren, was die Männer offenbar schon wußten. Endlich riß sie sich vom Fenster los. Halb ohne zu wissen, was sie tat, griff sie nach Mantel, Hut und Bergstock und stand plötzlich in dem Haufen der Führer.

      »Das ist sie!« raunte einer von denen dem Patriarchen der Expedition, einem weißbärtigen, verwetterten Italiener, zu. Der nahm den Hut in die Hand.

      »Madame haben heute morgen die Brüder Wegener ausgeschickt? Wohl! Wir haben Nachricht vom Schwarzsee. Sie haben den einen Herrn, den Kleinen, tot auf dem Schnee ob dem Furggletscher liegen sehen ...«

      »Und der andre?«

      »Wir wissen nicht, ob er lebt oder auch fortgegangen ist! Wir steigen jetzt, dreißig Führer, auf. Madame kann sicher sein, daß wir ihn finden! Wie ... das wissen wir nicht ...«

      Mit schwerem Poltern und Scharren setzte sich der Führertrupp schweigend in Bewegung. Da und dort kam aus einem Hause noch einer dazu, andre gingen voraus.

      Eine Menge neugierigen Volkes, Touristen, Kellner, Ladeninhaber, zogen stumm und verstört daneben her und gaben den Männern bis zum Ende des Dorfes das Geleit. Dort verliefen sie sich allmählich.

      Nur die nächsten Freunde und Genossen des Verunglückten, ein halbes Dutzend erprobter Gletschermänner, stiegen mit den Führern weiter zum Schwarzsee empor.

      Unter ihnen Elisabeth. Sie dachte an nichts, sie überlegte nichts, ein blinder Drang, an die Stätte des Unglücks und zur völligen Gewißheit zu gelangen, trieb sie vorwärts. Die Herren wie die Führer ließen sie gewähren. Man kannte sie ja von neulich her als gute Bergsteigerin und hatte sie in Gesellschaft des Vermißten gesehen.

      So ging es empor zum Schwarzsee, ein trüber, stiller Zug, der sich langsam, wie eine braune Riesenschlange, im Zickzack durch die lauwarmen Nebel den Berg hinauf wand.

      XVII

       Inhaltsverzeichnis

      Nicht leichten Kaufes geben die Berge ihre Opfer her. Wer ihnen lebend gehörte, soll ihnen auch im Tode verbleiben.

      In Schnee gehüllt, in Felsenriffe und Gletscherspalten gebettet, suchen sie den Leichnam vor den Blicken der Suchenden zu verstecken. Und hat man ihn endlich doch gefunden, dann ist's, als wehre sich diese starre leblose Masse selbst dagegen, von ihrem Berg, mit dem sie eins geworden, zu lassen. Sie haftet sich an ihm an. Das Eis kittet sie am Boden fest, und hat der Pickel auch diese Bande gesprengt, dann eint das Blut als schwarze Kruste den Kopf mit dem Gestein, an dem er zerschmetterte, und sorgsam gilt es da mit dem Taschenmesser und der dünnen Spitze der Eisaxt die harten, klebrigen Brocken zu teilen.

      Schwerer noch ist's, mit dem leblosen Körper ins Tal hinab zu gelangen! Tragen kann man ihn ja nicht. Man braucht die Hände selbst zu notwendig. So läßt man ihn an Seilen vorsichtig von Klippe zu Klippe, von Schneehang zu Schneehang. Unzähligemal verfitzt sich dabei das Manila-Tau im Gestein und bleibt der steife, spröde Leib zwischen Felsen stecken, in denen man ihn nur mit Lebensgefahr aufsuchen und von neuem befreien kann.

      Und oft ist selbst diese Beförderung unmöglich. Ein paar von den Führern, die die Leiche des kleinen Malers bargen, erinnerten sich sehr wohl noch an das Schicksal eines ihrer Genossen, der in der alten Matterhornhütte gestorben war. Den hatten sie, weil es nicht anders ging, über eine weit über tausend Fuß hohe Felswand hinabwerfen müssen, und als der steinhart gefrorene Leib unten ankam, da ergab sich's, daß er unterwegs einen beträchtlichen Teil seiner Gliedmaßen eingebüßt hatte ...

      Langsam, in ruckweisem Zucken und Nachlassen des Seiles glitt der kleine Professor steif und starr die Höhen hinab, die er gestern so behend erklommen. Sein wachsgelbes Gesicht war leidvoll verzogen. Die bläulichen Lippen standen wie in schmerzlichem Erstaunen halb offen, daß zwischen ihnen sich die spitzen weißen Zähne bleckten, und in ohnmächtigem Zorne hatte sich die Hand, die so viel geheimnisvolle Farbenglut auf die Leinwand gezaubert, zum letztenmal zusammengekrampft.

      Das war gestern ein Mensch gewesen! Die Führer, deren braune Wettergestalten überall von den Kanten und Rissen des grauen Gesteins sich abzeichneten, während sie das blutige Bündel sorgsam mit spähenden Augen und halblauten, ruhigen Zurufen am straffen Seil über die gefrorenen Hänge rutschen, an steilen Platten herabschweben ließen, wußten freilich nicht, was für ein bedeutender Mensch! Für sie war ein »Herr« wie der andre und der Unterschied nur, ob er gut oder schlecht über die Berge ging.

      Aber gestern hatte das da, das stille, blutige Dings da, noch geatmet wie ihresgleichen. Heute fühlten sie sich der leblosen Masse fremd. Sie griffen sie hart und fühllos an wie ein beliebiges Gerät. Was aber war das Unfaßbare gewesen, durch das dieser zerschlagene Haufe zu dem Menschen gehörte – wo war es hingekommen? Das ewige Welträtsel ging dumpf durch ihre armen, ungeschulten Köpfe. Sie sahen ernst aus und sprachen kein Wort, das nicht zum Handwerk gehörte. Zuweilen nur warf im Niederklettern einer einen Blick ins Tal hinab. Dort leuchteten in freundlichem Weiß durch die sich aufhellende Luft die Kirchen, dort klangen die Glocken und dröhnte die Orgel, dort war das Heil und die Wahrheit. Dort offenbarte es sich ihren gläubigen Seelen an jedem Sonntagmorgen im Weihrauchdunst der Frühmesse, woher der Mensch kam und wohin er ging, wenn die Berge seinen Leib zerstörten, und frei von Zweifeln atmete beim Heraustreten ihre Brust den kalten Hauch der Höhen ...

      Am Hotel Schwarzsee zimmerten sie eine Bahre und legten den Toten darauf. Eine Decke kam darüber, auf der er, der böse Spötter, nun doch gewaltsam die Hände falten mußte, und ein paar Alpenblumen, die man im Herabsteigen gefunden, Edelraute und Edelweiß schmückten das Tuch, das sich um sein zerschmettertes Haupt wand.

      Aus dem Hotel waren alle die Engländer gekommen und standen ergriffen ringsumher. Die Sonne brach durch die Wolken und übergoß mit rosigem Schein die hübschen, bleichen Mädchengesichter, die sich entsetzt im Kreise drängten.

      Dumpf dröhnten

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