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du nur schon wieder da! Ich hab’ von jetzt ab keine Stunde Ruhe!“

      „Vielleicht werden andere unruhig, die es mehr verdienen.“ Paul von Minde machte sich lachend los. „Siehst du auf dem Getreidedampfer drüben den kleinen schwarzen Kerl mit den Hamsterbacken, der mit seinen krummen Beinen auf dem Haufen Weizensäcken steht und händefuchtelt und kommandiert?“

      „Das ist ja Channeles selber!“ sagte Fräulein Förster voll bitteren Abscheus.

      „Er scheint noch nichts vom Tode seines Sozius zu ahnen und noch weniger, was sich über dem Rest der Firma zusammenzieht . . . Warte nur, du Spitzbube!“

      3

      Nein: Borel Channeles wusste noch nichts davon, dass sein Freund Ruben ein stiller Mann geworden war. Er stand im Hafen zwischen Mastengewirr und Dampferqualm hoch wie auf einen Thron auf einer Pyramide von Weizensäcken und beherrschte von da oben sein wimmelndes Reich von roten Fessen, wirrmähnigen Flachsköpfen, schmierigen Kappen. Ein übler Modergeruch stieg aus den Getreidemassen unter ihm empor, in denen seine kurzen, krummen Beine bis zu den Knöcheln versanken. Der Wind pfiff um sein schwarzes Kraushaar, seine schwarzen Rattenaugen waren überall und nirgends, sein feister kleiner Körper wiegte sich in der Aufregung des Geschäfts. Er schrie russisch auf die Beamten ein, hebräisch auf die Vorarbeiter, die die Säcke der Lastträger zählten, tatarisch-türkisch, levantinisch, kaukasisch auf die Schwarzarbeiter, jiddisch-deutsch auf die Kommissionäre. Er zeterte, er fuchtelte mit den Händen, sprach mit Schultern, Armen und Beinen im Eifer der gewaltigen Heereslieferungen.“

      Unten auf dem Kai fuhr ein leeres Lohnwägelchen vor. Der Isroschtschik kletterte vom Bock, liess sein Pferd stehen und rannte wie eine Ratte nach dem Sackhügel, auf dessen faulendes Getreide der Regen niederdrosch. Er klomm mit rudernden Ellbogen zu Borel Channeles empor. Der kleine, schäbig angezogene Mann dort oben empfing ihn misstrauisch. Er hatte eine hängende Unterlippe und stiess beim Sprechen etwas mit der Zunge an.

      „Mowsche Nimmersatt — was läufste so? Was bringste?“

      Der jüdische Droschkenkutscher keuchte. Er stiess hervor: „Goldhändchen . . .“

      „Was heisst Goldhändchen?“ Der grosse Kriegslieferant wandte sich geringschätzig ab. „Stör mich nicht im Geschäft!“

      „Goldhändchen und eppes von ihre Leut’ haben heut’ nacht den Ruben im Kiewer Zug ermordet!“

      „Du bist meschugge!“

      „Salme Mandelkern, der Schneider, hat es mir erzählt! Er war selber auf dem Bahnhof, wie sie Goldhändchen und den roten Morduch und noch ä ganze Mischpoche auf die Polizei gebracht haben!“

      Borel Channeles zappelte nicht mehr. Er stand fassungslos still. Seine Blicke schweiften leerr über die weiten Häfen bis zu dem schäumenden Wellenbrecher draussen. Hinter seiner Stirne arbeitete eine Flucht von Gedanken. Eine unheimliche Angst legte sich lähmend über seinee betriebsamen Züge. Er sprach heiser:

      „Kümm! Fahren m’r zur Polizeiskaja!“

      Der Wagen hielt in der Polizeistrasse. Borel Channeles sah nicht anders aus als tausend andere — ein kleiner jüdischer Handelsmann, wie er es vor wenigen Jahren noch gewesen und wie sie am Sonnabend zu Tausenden die vierzig Synagogen Odessas füllten. Niemals hätte der riesige Gendarm am Tor sonst seinesgleichen die Vordertreppe zu den Räumen des Oberpolizeimeisters hinaufgelassen. Aber Channeles watchelte in seinen viel zu grossen Galoschen selbstverständlich und eilfertig an ihm vorbei. Oben hatte er noch das gewohnte verschmitzte Grinsen, als er einem wachhabenden Viertelsmeister oder derlei freundschaftlich die Rechte drückte und zugleich einen Packen Rubelscheine auf der Handfläche des andern zurückliess. Der Beamte hüstelte, liess die Banknoten im Ärmelaufschlag verschwinden und öffnete ohne Anmeldung die Innentür. Channeles stand vor dem Älteren Gehilfen des Polizeipräfekten, reichte auch ihm vertraulich über den mit Akten bedeckten Tisch hinweg die Hand, setzte sich, schluckte und frug mit einer Grimasse auf russisch:

      „Ist es wahr?“

      Der Polizeimeister nickte mit seinem verrunzelten grauen Bulldoggkopf, in dem seine Augen finster und tief in den Höhlungen lagen. Er nahm einen Schluck aus dem dampfenden Teeglas vor sich, wischte sich den grauen Schnurrbart und sagte:

      „Wir haben wenigstens Goldhändchen auf frischer Tat ertappt — im Begriff, den Toten auszurauben!“

      „Und wo ist der Raub?“

      „Beruhigen Sie sich, Herr Channeles! Das ganze Geld ist noch da. Eine grosse Summe!“

      „Aber die Papiere?“ Der Kronslieferant rückte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. „Dem Ruben seine Papiere . . .“

      „Der Mowiche Nimmersatt, der Droschkenkutscher“, fuhr er gepresst fort, „hat mir unterwegs erzählt, er hätt’ auf dem Bahnhof gehört, wie die Haja zwischen den Gendarmen immerfort gewimmert hat, da seient keine Papiere gewesen, und bei dem roten Morduch soll sich auch nichts von Papieren gefunden haben.“

      „Herrn Rubens Dokumente sind vorläufig in der Tat verschwunden! Sein Pass. Sein . . . .“

      „Wär’ es bloss der Pass!“ Borel Channeles sprang unruhig von seinem Sitz empor. „Aber so ein Mann hat doch mehr bei sich . . . Notizen . . . . Briefschaften . . . die nicht für jedermann sind . . . .“

      „In der Tat“, sprach der Polizeimeister unsicher. „Es könnte da Unannehmlichkeiten geben.“

      „Wo sind die Papierchen? Wer hat sie?“ Der kleine Mann schlurfte verzweifelt in dem heissen Dienstraum auf und nieder. „Schaden können sie anrichten — die Papierchen — in unrechter Hand — Sie müssen bei — die Papierchen!“

      Der Polizeimeister hatte seine hochgewachsene Gestalt von Sitz erhoben. Sein lederbraunes Gesicht war ärgerlich. Er rief ein paar halblaute Worte durch den Türspalt.

      Ein paar Minuten darauf trat, von einem Gendarmen am Arm geführt, die junge Haja Perlstein ein. Sie hatte sich inzwischen von dem ersten Schrecken erholt. Ihr schmales, kaum mittelgrosses Figürchen zeigte keck schwänzelnde, in den Hüften wiegende Bewegungen. Sie hob herausfordernd das scharfgebogene Näschen in dem hübschen Gesicht. Die schwarzen Augen blickten dreist und glänzend auf den in ganz Odessa gefürchteten Polizeimeister. Der setzte sich, schlug ein Bein über das andere und sprach drohend:

      „Nun gestehe!“

      „Wie werde ich weiter lügen, Euer Wohlgeboren!“ Haja Perlstein lächelte unschuldig wie ein Kind. „Verzeihen Sie mir, dass ich es in der ersten Verwirrung tat . . .“

      „Was hattest du in dem Abteil zu tun?“

      „Ich sah auf einer Station, dass Herr Ruben drin sass. Er kam oft in den Sobranje-Garten. Er trank nach der Borstellung mit mir Champagner. Ich wollte ihm nur guten Abend sagen!“

      „Das nennst du nicht lügen — he?“

      „Als ich drinnen war, merkte ich, dass er schlief. Ich wollte ihn wecken, indem ich ihn zum Spass unter dem Bart am Hals kitzelte. In diesem Augenblick warfen sich schon die Gendarmen auf mich . . .“

      „Und das soll man dir glauben, du Tochter des Teufels?“

      „Es ist wahr!“ kreischte Haja Perlstein. Sie beugte sich vor. Sie ballte die kleinen Fäuste. Sie fauchte wie eine gereizte Katze dem Polizeimeister ins Gesicht. Der sprang wütend auf.

      „Heraus mit der Sprache!“ donnerte er. „Wo habt ihr die Papiere?“

      „Papiere?“ frug Haja frech.

      „ . . . die ihr gestohlen habt!“

      „Man müsste schon ein Lemoch sein — ein ganz dummer Mensch“, belehrte Haja in ihrem singenden Russisch. „Wenn man die Papiere nimmt und lässt liegen das Geld. Und das Geld ist doch da! Gelobt sei Gott! Ich bin keine Diebin! Ich verdien’ mir ehrlich mein Brot im Jargontheater!“

      Der Polizeimeister brummte etwas vor sich hin.

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