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vorbeigeloffe bin . . .“

      „Die Protzeburg nenne wir als das Schlössche da owwe!“ Ihr Vater zeigte hinüber nach dem höchsten der Rebenhügel am Fuss der Vogesen, wo zwischen Teppichbeeten und Gewächshäusern, hinter einer altersgrauen Steinbalustrade, ein langgestreckter altfranzösischer Edelsitz aus der Zopfzeit seine beiden dicken runden Ecktürme zum tiefblauen Himmel hob.

      „Des isch das Château Geissau“, erläuterten Elsässer Stimmen aus der Menge. „Der Propriétaire isch e richer Fabrikherr aus Mülhuse.“

      „Der Monsieur de Dietsch!“

      „Der isch nur itzt im Sommer e kurzi Zit hier!“

      „Na — Maidele — wer hat dir denn nun in der Protzeburg ’was getan?“ forschte der Professor.

      „Da is uff einmol der Güstave rausgesprunge gekumme!“

      ,,Sell is nämlich der chrischtliche Name for e Köter vun dem Dietsch!“ schrie der Vater. „E Köter so gross wie e Kalb!“

      „Babbel Kreisch net so!“ mahnte die Mutter.

      „. . . den hawwe die Buwwe geneckt gehabt! Jetzt geht dees Schinnoos her und beisst der Walburg ins Bein!“

      ,,Na — davon stirbt man nicht, Walburgche!“ tröstete der Strassburger Gelehrte. „Jetzt bringen wir dich gleich mal da hinüber zu mir ins Haus! Sie, Pappa, springen unterdes in die Apotheke nach Verbandzeug! Und Sie, Frau,“ er wandte sich zur Mutter, „Sie kann das schwere Kind nicht länger tragen! Geb’ Sie es doch weiter! Es stehen doch Männer genug rum! . . . Herrgott, Ernst: Benimm dich nicht wie ein Neckarfleetz! Was ist denn das für eine Art, die Leute zur Seite zu puffen!“

      „Weil ich das schaff’!“ schrie der Bub. Er hatte das Schlachtfeld der Räuber und Gendarmen im Stich gelassen. Er war noch atemlos vom Laufen. „Her mit dem Kind! Was — das Gewicht wär’ für mich zu viel? So ein Püppchen schlepp’ ich noch lang! . . . Jetzt legst mir deine Händ’ hinten um den Hals . . . dass ich ’s Gleichgewicht krieg’! . . . So . . . da schaut her!“

      Den Oberkörper weit zurückgelegt, mit hochrotem, kampfzerzaustem Kopf, keuchend, zuweilen stehenbleibend und verschnaufend, trug der Gymnasiast seine Last die hundert Schritte durch den Garten bis zu der Villa. Hinter ihm nickte der Professor still vergnügt seiner Frau zu.

      „Da guck den Lausbub an, Sofie! Der spuckt sich gleich in die Händ’!“

      „Und die andern, die nicht so flink sind, dürfen zuschauen und ihn bewundern! Dann ist er schon zufrieden! Es ist ja bei ihm nur der Ehrgeiz! Ach, Leopold: Ich kenn’ doch unsern Sohn!“

      Der Ernst hörte die Worte der Mutter nicht. Sein Herz hämmerte. Sein Atem flog. Er trug auf seinen Armen das Kind des Volkes in sein Elternhaus. Dort setzte er es vorsichtig in einen Sessel und trocknete sich mit einem fragwürdigen. Sacktuch die Stirne und hörte neben sich die Stimme des Vaters:

      „So! Nun mach’ dich weiter nützlich und geh’ mir beim Verbinden zur Hand! Das ist eine gute Vorübung. Du wirst ja doch einmal Arzt . . . und wenn du noch so grossartig das Gesicht verziehst! Die Fisematenten kenn’ ich! Das imponiert mir gar nicht! Nun wasch’ dir gefälligst erst die Hände gründlichst mit Nagelbürste und Karbolseife! Und dann hol’ einen Eimer Wasser und wirf die Sublimatpastillen da hinein!“

      Das Wasser färbte sich schön rosenrot. Der Ernst hob den Krauskopf von der Schüssel und beobachtete, wenn er auch nicht Doktor werden wollte, doch voll unwillkürlicher Neugier, wie der Vater mit merkwürdig leichten, schnellen Fingern die Lappen von der dünnen Kinderwade löfte. Da war der Hundebiss. Man sah deutlich die bläuliche Kerbe der Schneidezähne und die beiden tieferen Löcher der Eckzähne in der dunkelrot geschwollenen Haut. Der Professor wusch, desinfizierte, verband. Gab der Kleinen einen freundschaftlichen Klaps und sagte:

      „In vierzehn Tagen kannst du wieder tanzen gehen, Mamsellche! Ihr dürft ganz ruhig sein — die Eltern! Tragt das Kind jetzt nur heim! Die weitere Behandlung übernimmt dann der Kollege aus dem Dorf!“

      „Und wieviel koschť das jetzt, Herr Doktor?“ frug der Pfälzer und kramte wirklich schon in der Tasche seiner blauen Monteurhose. „Nix? No sag’ ich aber schönstens Merci!“

      „Bedank’ dich, Walburgche!“ mahnte die Mutter. „Das Kind kann sonst so liebe Knickse mache! Awwer jetzt geht’s net! Gib wenigstens schön die Hand!“

      „Vergelt’s Gott viel tausend Mal“, sagte die Kleine herzlich mit ihrer feinen Stimme und reichte vom Arm des Vaters herunter dem Professor und dann dem Ernst das magere Pfötchen. Dann wanderte die Pfälzer Familie davon in die Sonnenglut des Elsass hinaus. Auch der Gelehrte langte sich im Flur den Strohhut vom Haken.

      „Wohin denn noch vor Tisch bei der Hitze, Leopold?“ rief seine Frau aus dem Wohnzimmer.

      „Ich muss doch auf alle Fälle hinüber nach dem Château Geissau und mir das Mistvieh von Hund anschauen, ob es nicht einen verdächtigen Eindruck macht . . . gerade jetzt in den Hundstagen . . .“

      „Überlass das doch der Polizei . . .“

      „. . . bis die kommt, kann der Köter noch zehn Menschen gebissen haben . . . Es wäre doch die Möglichkeit von Tollwut-Symptomen . . . Ja . . . Sofie . . . dafür ist man nun in Herrgottsnamen mal Arzt! . . . Komm mit, Ernst!“

      Backofenglut zitterte über dem schattenlosen Weg. Breitblättrig buschten sich zu beiden Seiten die Tabakstauden und mit dottergelben Körnertrauben die Maiswedel. Hopfengerank wand sich um hohes Drahtgespinst. Die Rebstöcke standen, mit noch fast unsichtbaren hellgrünen Beeren, tausendfach in Reih und Glied. Schwer schwankte das erntereife Gold der Ähren. Vater und Sohn gingen schweigend durch die Fülle des scheidenden Sommers. Endlich sagte der Professor:

      „Ernst — es wäre mir lieb, wenn du nicht fortwährend mit den Fussspitzen gegen den Boden stossen und unnütz Staub aufwirbeln möchtest! Warum schlurfst du denn hin mit ’m Gesicht wie zehn Tag’ Regenwetter?“

      „Weil du vorhin wieder gesagt hast, ich sollte Arzt werden!“

      „Na — und?“

      „Du weisst ja, was ich werden will“

      „Du malst mit Feuereifer, du zeichnest, du modellierst!“

      „Ja — eben . . .!“

      „. . . und hast ausserdem noch einen Haufen kleiner Gaben! Du fingst. Du verzapfst bei der Klassenaufführung die Klytämnestra. Du hältst Volksreden an deine Mitschüler . . .“

      „Ich bin eben vielseitig . . .“

      „Aber etwas leisten, heisst heutzutage einseitig sein — leider — Glaubst du, ich hätte das nicht auch empfunden, obwohl ich es doch ganz hübsch weit gebracht hab’ — für einen Bauernsohn aus der Pfalz! . . . Du tummelst dich in allen möglichen Künsten!“

      „Das ist doch schon eine ganze Menge . . .“

      „Aber nicht eine Menge Ganzes, sondern eine Menge Halbes. Und alles Halbe im Leben ist Ballast und muss über Bord!“

      Der Knabe lächelte nachrichtig zu der Weisheit des Alters und schwieg. Der Vater scheuchte mit der Hand eine summende Hornisse. Nach einer Weile begann er:

      „Das Gefährliche, Ernst, das ist der Beifall, den so ein Tausendfassa wie du mühelos überall einsackt. Deine Mama macht Augen wie die Kugeln, wenn sie dich sieht. Deine Kameraden staunen dich an, wie die Kuh das neue Tor. Sogar die Lehrer sind nicht gescheiter. Der alte Keiler ist ganz vernarrt in dich . . .“

      „Die wissen eben besser, was in mir steckt!“

      Der Professor lachte und legte kameradschaftlich den Arm um die Hüfte des neben ihm schreitenden Knaben.

      „Mein lieber Junge: in dir steckt vor allem ein mordsmässiges Selbstgefühl! Das ist dir angeboren, und deine Umgebung und du selber tun alles, damit das Pflänzchen recht ins Kraut schiesst. Überall musst du das grosse Wort führen! Überall

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