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Ein genialer Rebell - Christian Friedrich Daniel Schubart 1730-1791. Utta Keppler
Читать онлайн.Название Ein genialer Rebell - Christian Friedrich Daniel Schubart 1730-1791
Год выпуска 0
isbn 9788711708538
Автор произведения Utta Keppler
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nach ein paar Wochen – anonyme Briefe und Andeutungen aus seiner Gemeinde setzten dem Dekan hart zu – nahm er sich den Sohn vor: Er solle endlich versuchen, den für gescheiterte Theologen üblichen Weg zu einer Hauslehrerstelle einzuschlagen; es gebe in der Nähe Leute, die es mit ihm versuchen wollten. Auch an den Fürstprobst von Ellwangen müsse man sich wenden, da ja – wie er wisse – der katholische Kirchenfürst lamentablerweise noch immer über die lutherischen Pfarrstellen zu befinden habe. Er möge wählen; einen der beiden Wege sehe der Vater noch für ihn.
Schubart schwankte zwischen Trotz und Zerknirschung: Das Gefühl vom eigenen Genie brauste ihm stark durch den Kopf, und die Demutslehren des Vaters saßen ihm von Kind an im Gebein. Zum Hauslehrerbittgang fühlte er sich zu krank, hatte auch keine wirksamen Argumente für sein Versagen zur Hand. Aber dichten, ein Poem „schmettern“, mit dem er zugleich den Fürstprobst und die Welt von seinem Geistesflug überzeugte, das wollte er, und damit – ein schwäbisch-schlauer Gedanke schlich sich ein – zugleich dem Ellwanger Fürsten schmeicheln; das war üblich und nötig und schloß ihm die Pforten und Hände auf zum geistlichen Palais, aus dem die Gewährung einer Pfarrstelle ihm kommen sollte, trotz dürftiger Studien und fehlender Examina. Zwei Tage darauf war Wochenmarkt. Im Aalener Dekanat saß Schubart und horchte auf den Lärm draußen.
Es war Spätsommer. Die Bauernwagen rumpelten durch die Gasse, Kinder schrien und Weiber zankten, und die Männer hatten neben ihrem Handel Zeit zum Fluchen oder zum Flattieren, denn es waren auch anmutige Mädchen auf dem Marktplatz, die ihre geblümten Röcke schwenkten. Man sah freilich nur einen Zipfel vom bunten Getriebe, denn das Haus stand in einer Seitengasse; aber dem jungen Mann genügte es schon, um seine Phantasie zu entzünden. Er lag breit im Fenster, schob die Blumenstöcke auseinander und lachte darüber hin.
Ein paarmal drehte er sich um, nahm aus dem Becher einen Schluck und schaute dann wieder hinab. Da stieß er mit dem Ärmel ans Glas. Der Rotwein floß über den Tisch und auf das weiße geglättete Papier. „Die Ode!“ jammerte Schubart erschrocken, denn auf dem Bogen standen schon einige Verse sauber ins reine geschrieben, die jetzt langsam verwischten. „Hol’s der Henker!“ schimpfte der Dichter, „das Stück wär’ so übel nicht, jetzt muß ich’s noch einmal abschreiben!“ Er räumte das Glas auf und wischte an seinem Kunstwerk herum, aber viel war nicht mehr zu retten.
Die Mutter schaute herein und fragte nach dem Fortgang der Arbeit. „Der Teufel soll den Fürstpropst holen!“ brummte Schubart, „plag’ ich mich wie ein Hund mit dem Poem auf einen feudalen Pfaffen und verschütt’ den Wein drüber!“
Die Frau Dekan kam heran und half den Schaden bessern. Dann schaute sie mit schüchterner Bewunderung auf das rosig verfärbte Papier.
„Darf ich’s lesen, Christian?“
„Leset’s gern, Frau Mutter“, sagte Schubart, „es soll ihm wohltun; wird ihm noch nicht oft passiert sein, seit er lutherische Pfarrer ins Brot setzt, daß einer dichtet! Der kann mir die Stell’ nimmer abschlagen.“
Helene Schubartin fing laut zu lesen an und legte viel Andacht in ihren Ton:
„Der Musen Schar, so den Parnaß umgaukelt,
Vermengt der Glieder Tanz mit himmlischem Gesang,
Indeß Apoll die Leier schaukelt,
Draus göttlich aller Töne Quell entsprang…“
„Da ist’s aber ganz verwischt!“ sagte die Dekanin bekümmert, „kannst du’s noch lesen?“
Schubart stand auf. „Jetzt kommt die Stell’ vom Gesang – die muß her!“
Sie mühten sich beide, mit heißen Wangen übers Papier gebeugt. Schubart vermißte ein Blatt seiner Aufschriebe, er fuhr sich verzweifelt in die Haare, luftholend lief er ans Fenster und beugte sich vor: Drunten summte es wie Bienengeläut, Gelächter mischte sich mit ein paar Liedzeilen, die er nicht verstand. Er drehte sich zur Stube hin wie ein Kreisel und reimte plötzlich aus dem Stegreif:
„Gesang, der Fröhlichen beglückte Wonne,
Der vollen Herzen Überlauf!
Du dampfest, wie der Tau im Strahl der Morgensonne,
Bis zum Olymp hinauf!“h
Langsam wuchs die Ode wieder zusammen. Die Mutter brachte ein neues volles Glas und riet zur Geduld. Doch eh „Apoll“ ausgesungen hatte zur „schaukelnden Leier“, verzog sich schon drunten der Marktlärm.
Obwohl die Hymne unversehens aus dem antikisch Heidnischen ins barock Christliche umschlug, schien sie den Fürstpropst nicht ganz zu befriedigen; er war ein Fugger-Glött, ein feingebildeter, literarisch und künstlerisch empfindsamer Mann.
Schubart empfing, sehnlich erwartet, nach zwei Wochen sein Honorar: Das Geld für einen „wolltuchenen, wohlgefälteten Ausgehrock“, wie er einem Erlanger Freund resigniert berichtete.
Da blieb nur die Hauslehrerstelle. Sie bot sich im nahen Königsbronn beim „Unternehmer“ Bletzinger, der mit dem herzoglichen Königsbronner Hüttenwerk zu tun hatte. Dort waren die Kinder zu unterrichten. Hauslehrer sein hieß, sich einfügen und anpassen, bescheidentlich hinnehmen, was geboten und verboten wurde, da man ohne Rückhalt von den finanziellen Gnaden des Hausherrn abhing. Schubart fuhr und ritt oft heim; er wanderte, bis ihn Herbststürme mit krachenden Ästen und Regenschauern vertrieben.
Auf diesen Gängen entwarf er Oden und Nänien, kurze, flink gereimte Lieder, Gesänge in Klopstocks Stil. Er zeichnete Geschichten auf, die er hörte oder las. Die schreckliche Ballade von den feindlichen Brüdern notierte er und schlug darin wieder das Grundthema seines Wesens an: Freiheit, Verkümmerung im Zwang, Verrat an der echten Freiheit, der innersten.
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