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umging, konnte so etwas gleichgültig hinnehmen.

      Hätten wir nur unser eigenes Opernhaus gehabt, wäre diese erste Saison nicht im Sand verlaufen. Das Montresor-Da Ponte Theater, dessen Gründung ich meinem zukünftigen Kompagnon in Briefen vorgeschlagen hatte, hätte mehr als ein Luftschloss sein können. Es hätte eine wahrhaftige Stätte zur Huldigung der Schönheit werden können, die dieser junge Kontinent nie zuvor gesehen hatte. Es fehlte uns nicht an Realismus, auch nicht an Willen und Fleiß. Was uns fehlte, waren stabile Finanzen. Immer verfolgt mich dieser Geldmangel! Dabei war es der Italienischen Operngesellschaft schon nach unserer ersten Vorstellung im Richmond Theatre gelungen, sage und schreibe sechsundneunzig geldkräftige Musikliebhaber zu bewegen, je tausend Dollar in den Bau eines neuen Opernhauses für unsere Stadt zu investieren. Dort hätte ich mich einbringen können, aber auch daraus wurde nichts. Montresor war als Impresario vorgesehen, und meine Rolle in diesem Vorhaben wäre nicht weniger bedeutend gewesen, wenn nicht mein alter Freund Rivafinoli, der in Mexiko für mich Bücher verkauft hatte, meinen Kompagnon herausgefordert hätte. Montresor kämpfte um den Posten, wobei ich ihn treu unterstützte, bis der alte Hasenfuß (der er wahrscheinlich schon immer gewesen war) sich nach Havanna davonstahl. Und damit war auch ich aus dem Spiel. Keiner wollte mir helfen, die viertausendfünfhundert Librettohefte zu verkaufen, die ich hatte drucken lassen, um den Siegeszug der Opernkunst in der Neuen Welt sicherzustellen. Als das Theater dann mit La gazza ladra eröffnete, wollte man mir nicht einmal eine Freikarte geben. Oben, unter der mit Apollo und den Musen bemalten Kuppel, saßen die Gesellschafter auf Samtsofas in ihren vergoldeten Logen, die mit Wilton-Teppichen und Samt und Seide aus Neapel dekoriert waren. Ich dagegen, nach allem, was ich für die Musik und die Verbreitung der Oper getan hatte, sollte zwischen den zahlenden Gästen unten im Parkett sitzen. »Nein, danke«, antwortete ich ihnen. »Tausend Dank, aber nein.«

      Als dann die Saison zu Ende und der Konkurs ein Faktum war, musste sogar Rivafinoli das Feld räumen. Porto und Sacchi versuchten, den Ruin mit Bällen und anderen Spektakeln abzuwenden. Ich schrieb ein hämisches Gedicht über die Angelegenheit, Frottola per far ridere. Es war ein Mahnruf an alle Landsleute, die die schönen Künste lieben, dass die Oper uns bald verloren gehen würde. Mein Leben mit der Musik war vorbei. Als mein Sohn in ein Haus in der Spring Street zog, folgte ich ihm wie ein Teil des Inventars. Doch dem Straßennamen zum Trotz erwartet mich kein Frühling – nur Winter, die kalte Jahreszeit des Todes. Ein einziger Schüler ist mir geblieben, der die Sprache meiner Heimat lernen möchte, und der ist vollkommen untalentiert. Ich kämpfe für die Einheit unserer katholischen Kirche, ich streite für den rechten Glauben. Aber inzwischen habe ich meine letzten Bücher verkaufen müssen. Meine Regale sind so leer wie mein zahnloser Mund. Wenn ich könnte, würde ich nach Italien zurückgehen, um dort zu sterben und in der geweihten Erde meines Heimatlandes zu ruhen, aber nicht einmal das ist mir vergönnt.

      Wie ein tapferer Soldat bin ich in meinem Kampf für die Künste gegen die Kanonenmündungen der Gleichgültigkeit angestürmt, wie ein hingebungsvoller Liebhaber habe ich mich in die Arme einer Frau geworfen, die mich verstoßen hat. Die Hoffnung, dass all diese Mühen meinen Namen post funera unsterblich machen werden, habe ich nun aufgegeben. Die Inspiration, die mir die Theater an der Themse, der Donau und der Moldau einst gegeben haben, habe ich nur zu einem kleinen Teil an meine neuen Landsleute weitergeben können. Sei’s drum. Die Musik überlebt, wenn wir schon längst vermodert sind. Ich träumte von Rosen und Lorbeeren, aber die Rosen hatten Dornen und der Lorbeer schmeckte bitter. So ist unsere Welt! Der Gesang, der mich jetzt erwartet, kommt von Engelschören und himmlischen Harfen. Ich stelle ihn mir so schlicht und schön vor wie die Melodien, die Amadeo für mich pfiff und summte, während wir uns über seine Noten beugten. So schön und natürlich wie die Stille zwischen den Sternen der Nacht.

      2.

      Wie tritt man seinem Tod entgegen? Am besten wie der Abenteurer, den ich mit erschaffen habe, Don Giovanni, der furchtlos die Hand des steinernen Gastes ergreift und sich ins unterirdische Dunkel stürzt – nicht schreckerfüllt, sondern neugierig. So wollen wir am liebsten dem Tod entgegentreten: mit Neugier. Mit demselben Lebensdurst wie am Anfang unseres Lebens. Amadeo sagte einmal, er wäre schrecklich gern in dem Moment dabei, wenn der Tod eines Menschen eintritt. In jenem Augenblick, in dem ein Mensch die Schattenwelt betritt, glaubte er, würde das Leben in klarstem Licht vor ihm stehen, entblößt aller Verlogenheit und aller falschen Masken.

      Wie allgegenwärtig der Tod ist und wie oft er uns brandschatzt, erfuhr Amadeo schließlich im Alter von dreiundzwanzig Jahren, als er sich zum ersten Mal in einem Raum mit der Schattengestalt befand und deren düsteres Handwerk bezeugen konnte. Es war Amadeos Mutter, die der Todesengel in eine seiner kalten Leichen verwandelte. Amadeo war mit ihr nach Paris gereist. Auf der letzten Etappe waren sie Sturm und Regen ausgesetzt gewesen, und sie kamen durchnässt und völlig unterkühlt an ihrem Ziel an. Kein Pianoforte, kein Klavier befand sich in ihrem Zimmer, dessen einziges Fenster auf einen düsteren Hof hinausging, und Amadeo musste tagsüber zu einem seiner Auftraggeber gehen, um dort zu komponieren. Wie er darunter litt, seine geliebte Mama einsam in dem dunklen Zimmer zurücklassen zu müssen, wo sie ein paar Stunden stickte, solange das Licht ausreichte, und sonst nur dasaß und wartete, erschöpft und krank von der langen Reise.

      Als der Frühling kam, plagten sie Zahnschmerzen, Halsweh und Ohrenreißen, und die feuchten Holzscheite in dem kleinen Kamin wollten sie nicht wärmen. Der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht, als sie starb. Man hatte sie zur Ader gelassen, aber der Schüttelfrost und das Fieber wollten sie nicht verlassen. Am Ende konnte sie weder hören noch sprechen. Amadeo erzählte, dass er ihr ins Ohr schreien musste, um sich verständlich zu machen. Ihr fahler Blick, das blutbefleckte Laken und die Schatten – die Schatten. Ich erinnere mich an seinen Bericht, als wäre ich selbst dabei gewesen. »Ihr Lebenslicht flackerte wie die Flamme einer Kerze«, sagte er mit gebrochener Stimme und Tränen in den Augen, noch zehn Jahre später. Drei Tage vor ihrem Tod hatte sie gebeichtet und die Sakramente empfangen. »Es war der traurigste, finsterste Tag meines Lebens«, sagte er.

      Die ganze Zeit saß er bei ihr und sprach mit ihr, hielt ihre Hand und trocknete ihre Stirn, aber jedes Gefühl war aus ihren Händen gewichen, und sie nahm ihn nicht mehr wahr. Das ist die Einsamkeit, in die der Tod uns stößt. Im Augenblick ihres Todes war nichts verklärt oder entblößt, sagte er. Sein einziger Wunsch war, ihr folgen zu dürfen. Er wollte nur noch in ihre Arme sinken und wie ein Säugling die bitterkalte Dunkelheit des Todes aus ihrer Brust trinken. Wäre er allein mit ihr gewesen, er wäre den Schatten gefolgt und hätte sich aus dem Fenster in den Hinterhof gestürzt. Aber einer seiner Pariser Freunde, ein Trompeter der königlichen Garde, hielt die Totenwache mit ihm und geleitete sie wenige Tage später zur letzten Ruhe. So hat Amadeo es mir erzählt. Amadeo sagte, er sei nie darüber hinweggekommen – weder über ihren Tod noch über die Vorwürfe, die ihm sein Vater später machte. Er habe nicht genug für sie gesorgt, der Aderlass sei nicht ausreichend gewesen, er habe den Arzt zu spät gerufen, sie einfach im Bett liegen lassen und mit der Schonkost noch Geld sparen wollen. Die ewigen Schelten seines Vaters waren eine harte Prüfung.

      Sogar, dass er die Mutter durch seine Geburt in Lebensgefahr gebracht hatte, warf ihm der Vater vor. »Meine Geburt hätte meine Mutter fast das Leben gekostet, schrieb mein Vater wenige Wochen, nachdem sie vor meinen Augen gestorben war. Aber sie sei bereit gewesen, sich für mich, ihr Lieblingskind, zu opfern. Genau wie sie sich opferte, mich auf der Reise von Mannheim nach Paris zu begleiten. Auch das warf er mir vor. Dabei wollte ich überhaupt nicht nach Frankreich! Ich wäre viel lieber mit der Familie Weber verreist, bei der wir in Mannheim wohnten, um deren fröhliche, ungezwungene Gesellschaft zu genießen. Aber Vater verlangte, dass ich nach Paris reiste und zwang Mutter, mich zu begleiten. Und doch trug am Ende ich die Schuld. Ich war immer schuld, von meiner Schuld und Scham wollte Vater mich nie freisprechen ...« Die Verzweiflung wütete wie ein gefangenes Tier in ihm. Er weinte wie das Kind, das er in vielerlei Hinsicht war, Amadeo, Mozart, mein Freund und Bruder.

      Schuld und Scham. Ja, sein Vater – alles, was ich über ihn gehört hatte, bestätigte sich, als ich ihm das erste Mal begegnete. Er war ein widerwärtig strenger Geselle, der die Zügel so stramm hielt, dass das Zaumzeug den Mund des Jungen einriss. Sein Leben lang versuchte Amadeo, sich von Schuld und Scham zu befreien, aber jeder Ausbruchsversuch schien zu misslingen.

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