ТОП просматриваемых книг сайта:
Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Damals war ich siebzehn
Год выпуска 0
isbn 9788711718452
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Nach diesem Gespräch verbrachte Magdalene eine schlaflose Nacht. Sie lauschte auf die ruhigen Atemzüge ihres Gatten und starrte in die Dunkelheit Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so verlassen gefühlt. – Aber nein, das stimmte nicht. Damals, als Jan Mirsky sich von ihr abgewandt hatte, als er sie mit jenem zynischen Lächeln hatte fallen lassen, das sie bis an ihr Lebensende nicht vergessen würde, war alles noch viel schlimmer gewesen.
Sollte sie nicht glücklich sein, dass eine solche Erfahrung Evelyn sicher erspart bleiben würde? Evelyn war jung – aber war sie wirklich zu jung? Singh Ree hatte ihr versichert, dass das Leben ihrer Tochter unter einem Glücksstern stand, der alle Fährnisse immer wieder zum Guten wenden würde. Auch Hans Hilgert war jung. Er gehörte nicht in ihre Kreise, er war mittellos, aber er wirkte verlässlich. An seiner Liebe zu Evelyn bestand kein Zweifel.
Warum wagte sie nicht, dem Schicksal zu vertrauen?
Sie war nahe daran, ihren Mann zu wecken und über alles mit ihm zu sprechen. Aber dann überlegte sie es sich anders. Es hatte keinen Zweck, bevor sie selbst keinen festen Standpunkt hatte. Erst musste sie Erkundigungen über den jungen Mann einziehen.
Aber sie wusste nicht, wie sie das anfangen sollte, ohne jemand ins Vertrauen zu ziehen.
Helga Gärtner? Lieber nicht, sie wusste schon viel zu viel.
Das einfachste Mittel würde sein, Hans Hilgerts Mutter aufzusuchen. Er hatte erzählt, dass sie Kriegerwitwe sei und eine Schneiderei leitete. Mit ihr musste sie sich in Verbindung setzen. Vielleicht, wenn sie Hans Hilgerts genaue Geburtsstunde erfuhr …
Mit diesem Vorsatz schlief sie ein. Draußen graute schon der Morgen.
Frau Hanna Hilgert wohnte in Köln-Nippes, wie Magdalene Rott aus dem Telefonbuch erfuhr.
Sie machte sich gleich am nächsten Morgen auf den Weg, ohne ihren Mann oder Evelyn von ihrem Vorhaben zu verständigen. Das sehr moderne Haus mit einer kahlen, nichtssagenden Fassade stand an einem quadratischen Platz. Im Milchglas der Parterrefenster stand mit großen Buchstaben, unterbrochen durch Fensterkreuze und Leisten: »Schneiderei Hanna Hilgert.«
Magdalene stieg aus, entlohnte den Fahrer und bat ihn zu warten. Sie schritt auf das Haus zu und klingelte. Befriedigt fühlte sie, dass jetzt, da sich die Entscheidung näherte, alle Erregung von ihr gewichen war.
Ein junges Ding öffnete, offensichtlich ein Lehrmädchen, sah sie mit großen Augen an und verschwand, als sie nach Frau Hilgert fragte, wieder im Dunkel der Wohnung. Sie hatte Magdalene nicht hereingebeten, ließ aber die Tür nur angelehnt. Es dauerte einige Sekunden, dann erschien Hanna Hilgert persönlich, eine grobknochige Frau, etliche Jahre älter als Magdalene.
Sie war sympathisch – eine Frau, die viele Jahre, ganz auf sich allein gestellt, für sich und ihren Sohn den Lebensunterhalt hatte verdienen müssen und dabei zwar etwas von ihrer Fraulichkeit, aber nichts von ihrem guten Herzen verloren hatte.
Sie schenkte Magdalene ein schwaches, um Entschuldigung bittendes Lächeln, sagte: »Treten Sie doch näher, gnädige Frau – dieses Mädchen! Aber Sie wissen wohl selbst …« Sie öffnete die Tür und ließ Magdalene in eine schmale Garderobe eintreten, die vollgestopft mit Mänteln, Jacken, Schals, Mützen und Handschuhen war. Anscheinend pflegten ihre Mitarbeiterinnen hier abzulegen.
Aus dem Hinterzimmer klang laute Schlagermusik, noch verstärkt durch das Singen und Summen vieler weiblicher Stimmen.
»Wahrscheinlich werde ich Sie enttäuschen müssen«, erklärte Hanna Hilgert mit ihrem netten Lächeln, »ich arbeite schon seit langem nicht mehr für Privatkundschaft.«
»Ich komme nicht deswegen«, sagte Magdalene Rott ruhig, »ich bin Magdalene Rott.« Und als sie sah, dass Hanna Hilgert nicht verstand, fügte sie hinzu: »Die Mutter von Evelyn.«
Frau Hilgerts Lächeln erlosch. »Ach so«, sagte sie, »ja, ach so …« Einen Augenblick schien sie unschlüssig, was jetzt geschehen sollte, dann führte sie Magdalene in einen Raum, der offensichtlich als Wohn- und Empfangszimmer diente, obwohl auch einige Utensilien der Schneiderei herumstanden und lagen. Die Möbel waren gediegen, es gab einen Fernsehapparat und eine Musiktruhe, aber alles schien ein wenig lieblos zusammengestellt.
»Kennen Sie meine Tochter?« fragte Magdalene, um das Gespräch in Gang zu bringen, und setzte sich, Frau Hilgerts Aufforderung folgend, an den länglichen, mit Modeheften und Stoffproben übersäten Tisch.
»Nein«, erwiderte Frau Hilgert, »bisher hat mein Sohn es noch nicht für nötig gehalten, sie mir vorzustellen.« Aus ihrer Stimme klang leichte Bitterkeit. »Wenn Sie einen Augenblick warten wollen, ich muss noch …« Sie verließ mit energischen Schritten das Zimmer, wahrscheinlich, um ihren Mädchen Anweisungen zu geben.
Dann kam sie zurück und sagte: »Jedenfalls ist das eine saubere Geschichte, nicht wahr? Ich bin froh, dass Sie zu mir gekommen sind.« Sie ließ sich auf einen Sessel Magdalene gegenüber sinken, streckte die Beine weit von sich.
»Sie sind gegen diese Ehe«, fragte Magdalene.
»Sie etwa nicht? Noch so jung, die beiden. Und dann – na, ich möchte Sie nicht kränken …«
»Sagen Sie nur, was Sie auf dem Herzen haben.«
»Nun, Ihre Evelyn ist sicher ein nettes Mädchen. Wenn ich alles glauben wollte, was Hans mir über sie erzählt hat, müsste sie ja geradezu eine Fee sein. Aber tatsächlich fürchte ich – sie ist doch sicher nicht dazu erzogen worden, einen kleinen Haushalt zu führen …«
»Sie haben völlig Recht«, sagte Magdalene ruhig.
»Ich freue mich, dass Sie mir zustimmen.« Frau Hilgert fuhr in ihre Rocktasche, holte ein angerissenes, halb zerquetschtes Zigarettenpäckchen und ein Feuerzeug heraus und fragte: »Mögen Sie auch eine?«
»Nein, danke.«
»Aber Sie gestatten wohl, dass ich rauche?« Frau Hilgert zündete sich eine Zigarette an und angelte, ohne hinzusehen, einen Aschenbecher von der Musiktruhe hinter ihr.
»Ich habe für den Jungen getan, was ich konnte«, erzählte sie, »aber das war leider wenig genug. Natürlich hat er gehabt, was er brauchte, bloß eben keinen geregelten Haushalt. Immer ist mir das Geschäft vorgegangen, musste mir vorgehen. Gerade deshalb hätte ich ihm eine richtige Frau gewünscht. Eine, die kochen und haushalten kann. Kein anspruchsvolles, verwöhntes Püppchen.« Frau Hilgert nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette. »Na, ich hoffe, dass ich Sie nicht gekränkt habe. Aber ich glaube, Sie haben mindestens genauso viel Vorbehalte gegen meinen Jungen, oder?«
»Nein«, hörte Magdalene Rott sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen, »ich habe ihn gestern kennen gelernt, und er hat einen ausgezeichneten Eindruck auf mich gemacht. Vielleicht – wenn Sie Evelyn erst sehen …«
Frau Hilgert sah Magdalene mit einem sonderbaren Ausdruck an. »Sie wollen doch nicht sagen, dass Sie für diese Heirat sind?«
»Ich glaube, dass es auf unsere Wünsche gar nicht ankommt. Die beiden lieben sich und sind fest entschlossen. Natürlich weiß ich, dass es noch allerlei Schwierigkeiten geben wird. Mein Mann zum Beispiel, aber ich denke, er wird am Ende nachgeben. Und was Ihren Sohn betrifft – er sagte mir, dass er mündig und deshalb unabhängig wäre.«
Frau Hilgert erhob sich und begann in dem kleinen Raum auf und ab zu gehen. Dann blieb sie unvermittelt hinter Magdalene stehen: »Sie wollen das also – wirklich?«
»Sagen Sie lieber, ich wage mich nicht gegen das Schicksal zu stemmen.«
»Sie wollen es also zulassen, obwohl Sie nichts über die Familie des Jungen wissen, nichts über seine Herkunft?«
Jetzt lächelte Magdalene. »Sie scheinen mehr bürgerliche Vorurteile zu haben als ich selbst. Man braucht Sie doch nur anzusehen, um zu wissen …«
»Ich bin nicht seine Mutter.«
»Nicht?« fragte Magdalene mehr erstaunt als erschrocken. »Aber das hat der Junge nicht einmal angedeutet.«