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sich Kersting, hatte das Geld dem Exkrement zugeordnet. Das Tabu ergab sich aus einem die Lust bloß mühsam zurückhaltenden Schamgefühl. Das Wiener Verhalten zum Geld war eine ins Unaufhörliche ausgedehnte anale Phase. Kersting wurde Zeuge eines analen Kapitalismus.

      Die Beamtin, die Kersting bediente, kehrte zurück. Sie händigte Kersting eine Kunststoffkarte aus, dazu ein Bündel Scheckvordrucke in einer Kunststofftasche, alles in leuchtendem Gelb. Kersting setzte auf einen Vordruck seine Unterschrift. Der Gesichtsausdruck der Beamtin zeigte jetzt nur mehr Beflissenheit. Kersting war zum Teilhaber des analen Kapitalismus geworden.

      6

      Seine ersten Berührungen mit der Bildkunst verdankte er seinem Vater. Robert wollte, dass sein Sohn Jacob ihn immer bloß mit dem Vornamen anredete. Die Wörter Vater oder Papa, ihn betreffend, hasste er.

      Robert war 1889 geboren, wie Adolf Hitler, und stammte aus dem gleichen Leipziger Proletarierviertel, in dem Walter Ulbricht groß geworden war. Roberts Vater war ein Mann mit rundem Gesicht und einer groben Nase gewesen: So blickte er von zwei bräunlichen Fotografien in Postkartengröße, in einem Album, das bei Robert im Bücherregal stand. Jacob blätterte manchmal darin. Die Bilder rochen stockfleckig. Robert und Roberts Vater, wusste der Junge, waren einander ähnlich gewesen in den Ausmaßen ihrer Hartnäckigkeit. Als Robert sich weigerte, in die väterliche Zigarrenmacherwerkstatt einzutreten, wurde er nach einer langen lautstarken Auseinandersetzung mit Worten, auch mit wiederholten Faustschlägen auf die Tischplatte, aus dem Haus getrieben.

      Robert trat eine Lehre an in Leipzig-Stötteritz, bei einem 1873 gegründeten Unternehmen, das Textilmaschinen produzierte. Er lebte drei Jahre lang in einem Männerheim. Dann erhielt er seinen Gesellenbrief und ging sofort nach Süddeutschland, später nach Italien. Sechzehn Monate blieb er in der Toskana, Pistoia, wo er sich der anarchistischen Alianza della Rivoluzione Sociale von Errico Malatesta anschloss. Die Werkstätten und Fabriken, in denen er arbeitete, achteten ihn seiner Geschicklichkeit wegen. Als er nach Deutschland heimkehrte, weil er von Bremerhaven aus sich nach New York einschiffen wollte, begann der Erste Weltkrieg.

      Statt auf dem norwegischen Dampfer Sör-Töndelag fand er sich wieder auf dem Mannschaftsdeck eines Schulschiffs der kaiserlichen deutschen Kriegsmarine, mit dem Heimathafen Kiel. Anschließend tat er als Obermatrose Dienst auf einem im Mittelmeer dümpelnden Schlachtschiff, das die Häfen des türkischen Verbündeten beschützen musste. Bei einer Schießerei mit britischen Kanonenbooten lief dieser Kreuzer, mit Namen Breslau, türkisch Midilli, auf eine Mine, dass er auseinanderbrach, Heck und Steven schräg in die Höhe gestellt. Die Besatzung sprang schreiend ins Wasser. Schwamm, wo des Schwimmens fähig, über eine Stunde, zwei englische Kriegsschiffe fischten die Überlebenden dann auf, unter ihnen Robert.

      Reichliche zwei Jahre verbrachte er als Kriegsgefangener auf einer Festung der zu England gehörigen Mittelmeerinsel Malta. Damals begann er zu zeichnen, aus Langeweile, seine Hände zeigten sich auch darin geschickt. Im Frühjahr 1919 wurde er erst in einem Frachtschiff nach Apulien, danach, in einem mehrtägigen Güterbahntransport von Süden nach Norden, durch die gesamte italienische Halbinsel gefahren. In Wilhelmshaven das Feuer unter den Kesseln fortzureißen und die rote Fahne zu hissen, kam er zu spät, obwohl er das Bedürfnis dazu jedenfalls besessen hätte. Als er von Fürth, wo er vorübergehend in Arbeit stand, nach Leipzig fahren wollte, gelangte er bloß bis ins Vogtland. Der Zug wurde angehalten auf freier Strecke. Im Schotter des Bahndammes standen mehrere düstere Männer, Gewehr in der Hand und Signalbinde am rechten Arm. Einer schwenkte eine rote Fahne. Die Menschen sollten ihre Sache in die eigenen Hände nehmen, frei werden von jeglichem Zwang, voran dem ökonomischen, und eine Ordnung errichten, die das Ende war von aller bekannten Ordnung. Das klang sehr nach kollektivem Anarchismus. Augenblicklich beschloss Robert, sich den Männern anzuschließen und sich unter das Kommando ihres Anführers zu stellen, der Max Hoelz hieß.

      Robert erlebte ihn als einen Menschen mit der unwiderstehlichen Anziehungskraft des edlen Räubers, wie schon der erfundene Karl Moor und der historische Schinderhannes einer gewesen waren. Einige Zeit behauptete sich ihr Aufstand. Dann befand sich die Reichswehr des sozialdemokratischen Ministers Noske gegen sie auf dem Vormarsch, Max Hoelz löste seine Armee auf und floh mit einigen seiner Freunde, darunter Robert, über die deutsch-tschechische Grenze.

      Sie übernachteten in Heuschobern, wateten durch überschwemmte Wiesen und hatten ständig die böhmische Polizei hinter sich. Hoelz wurde aus einem Eisenbahnzug heraus verhaftet, in Marienbad. Robert gelangte bis Prag, wo er einem Mann, der offenbar unter materieller Not litt, auf einem Bahnhofsperron statt der angebotenen silbernen Taschenuhr dessen Identitätspapier und Namen abkaufte. Damit würde er die nächsten Jahre leben. Manchmal fertigte er auf Märkten Zeichnungen, Kohle auf bräunlichem Papier, die Abbilder von dafür zahlenden Passanten.

      Als das Deutsche Reich eine politische Amnestie erließ, kehrte er zu seinem Geburtsnamen zurück. Bald darauf wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, wegen seiner anarchistischen Neigungen. Er wechselte die Arbeitsplätze quer durch Deutschland, ein begabter Techniker und gefürchteter Querkopf, der mit seinem rednerischen Enthusiasmus gesamte Fabrikbelegschaften auf seine Seite und in die Rebellion treiben konnte. Seine Abende verbrachte er mit Fernstudien in seinem technischen Fach, außerdem vor Leinwänden, eine Weile lebte er in Dresden, wo er eine Art Abendschule für begabte Dilettanten besuchte, sie hieß Anderer Weg.

      Robert, erinnerte sich Jacob, trug das Haar immer zurückgekämmt. Robert hielt sich sehr aufrecht. Er hatte kräftige Schultern. Mit den Jahren ging ihm der Ruf eines technologischen Wundermannes voraus und war dann noch erheblicher als die demagogische Begabung, die, wer kannte sich schon aus in linken Bewegungen, meist für kommunistisch gehalten wurde. Robert leistete dem Vorschub, indem er nochmals seinen Versuch mit der KPD machte, anderthalb Jahre lang, aber wieder Schwierigkeiten mit dem Parteigehorsam bekam und wieder ausgeschlossen wurde.

      Eine Bindung seines Lebens war die mit Jacobs Mutter gewesen. Er hatte sie mitgenommen an insgesamt vier Orte zwischen Niedersachsen und Schlesien. Eine schmale Person, sah Jacob auf den vorhandenen Fotografien, mit Seitenscheitel und mit kurzgeschnittenem schwarzem Haar. Sie war bei der Geburt des Jungen gestorben.

      Robert wurde für Jacob mehr, als Väter für andere Kinder waren. Das Kommen und Gehen von Frauenspersonen in ihren Wohnungen war dem Jungen vertraut. Er rief sie, wie Robert, bei ihren Vornamen. In der Chemnitzer Zeit gab es zuletzt Gerda, die gerne Seidenblusen zu gestreiften Männerhosen trug und sehr mager war, eine Schauspielerin ohne Engagement, beschäftigt als Directrice in einem Zwischenmeisterbetrieb für Damenmoden. Sie lachte gern. Ihr Lachen schlug immer um in einen Anfall von Raucherhusten.

      Da er sich seiner Unentbehrlichkeit in der beruflichen Arbeit sicher war, weigerte sich Robert, zu den entsprechenden Anlässen eine Hakenkreuzfahne vors Fenster zu setzen. Bei dem darauf erfolgenden Besuch des NS-Blockwarts sagte er, dass er seine Fahne nicht finden könne, auf eine mehr oder minder es nicht ankomme, angesichts des eindrucksvoll auf der Straße sichtbaren Fahnenwalds, die Beflaggung tauge deswegen eher zum Ausweis für die Gesinnungstreue, das wolle man aber auch so sagen, es müssten nicht vaterländische Gründe vorgeschützt und statt dessen eine gesetzliche Verordnung erlassen werden. Der Obmann hörte das an. Er wusste eine passende Antwort nicht. Robert blieb bei seiner Weigerung. Der NS-Blockwart unternahm keinen weiteren Besuch in der Sache.

      Die dunkle Verachtung, die Robert seiner Existenz wegen auf sich zog, ließ seinen Sohn Jacob nicht aus. Der sehnte sich insgeheim, ein gewöhnliches Leben zu haben wie andere Jungen. Manchmal wurde er eingeladen, zu einer Geburtstagsfeier, dort gab es Mütter und Großmütter, auch Geschwister. Bei ihm daheim gab es immer bloß Gerda, die nach verbranntem Tabak roch und mit heiserer Stimme redete.

      Nicht einmal Gerda gab es dann mehr. Sie wurde verehrt von einem Fliegerleutnant, der häufig mit einem Strauß Rosen vor der Tür von Roberts Wohnung wartete. Schließlich ging Gerda fort, um ihren Luftwaffenoffizier zu heiraten. Nicht lange danach zog Robert mit Jacob aus Chemnitz fort.

      7

      Kersting erwarb eine Benutzerkarte für die Österreichische Nationalbibliothek. Sie wurde ihm ausgestellt ohne viel Aufhebens. Die kleine braune

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