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bleibt Ihnen, und er ist wichtiger und edler als alle anderen Pferde zusammen!«

      »Das stimmt wohl, und ich hätte mir denken können, als der Captain ihn zu Ihrem Geburtstag mitbrachte, daß er sich als das beste Pferd im ganzen Stall erweisen würde.«

      »Das ist er gewiß. Bitte, Johnson, satteln Sie ihn für mich, während ich mich umziehe.«

      »Sie wollen ausreiten, Miss?«

      »Danach habe ich mich schon den ganzen Tag gesehnt«, seufzte Nolita. »Ich fürchtete, die Leute würden vor dem Begräbnis daran Anstoß nehmen, aber Papa hätte es verstanden.«

      »Ja, das hätte er!« pflichtete Johnson ihr bei. »Der Captain hat immer gesagt: ,Es ist nichts so schlimm oder so gut, daß es nicht besser wird, wenn man beim Reiten darüber nachdenkt.'«

      Nolita traten die Tränen in die Augen, und doch lachte sie leise auf.

      »Ich höre Papa das sagen, Johnson, und ich möchte jetzt reiten und nachdenken. Es werden glückliche Gedanken sein, weil Sie mein Problem gelöst haben. Ich hatte solche Angst, Sie würden hundert Pfund im Jahr für nicht ausreichend halten.«

      »Ich komme schon zurecht«, erklärte Johnson ruhig.

      Er holte Nolitas Damensattel herbei, und sie lief vom Stall zum Haus.

      Zehn Minuten später ritt sie über die rauhen, unfruchtbaren Felder hinter den Gebäuden. Die Schwermut, die den ganzen Tag lang wie eine dichte, dunkle Wolke über ihr gehangen hatte, verflog.

      Es war nicht nur das Leid um den Tod ihrer Eltern, die sie heiß geliebt hatte, sondern auch das Wissen, daß sie Eros verlassen mußte. Er hatte in ihrem Leben eine solche Bedeutung gehabt, daß es ihr fast unmöglich war, sich eine Zukunft ohne ihn vorzustellen.

      Ihr Vater hatte gemeint, daß sie Gesellschaft brauche, und hatte ihr vor fünf Jahren an ihrem dreizehnten Geburtstag Eros gekauft.

      Damals waren sie in einer ziemlich angespannten finanziellen Lage gewesen, denn die von Captain Walford trainierten Pferde hatten weniger Geld eingebracht, als er erwartet hatte.

      Dazu kam, daß die Rennpferde, auf die er setzte - seine Frau mochte ihn noch so sehr bitten, er solle vorsichtiger sein - direkt vorm Ziel überholt wurden oder beim Sprung über einen Zaun stürzten, den sie mit Leichtigkeit hätten nehmen müssen.

      Dann hatte er auf dem Pferdemarkt ein Fohlen gesehen und instinktiv erkannt, daß hier ein edles Tier für wenige Pfund angeboten wurde. Captain Walford hatte das Fohlen mit nach Hause genommen und es Nolita geschenkt, und von diesem Augenblick an war es ihr höchstes Glück und ihr größtes Entzücken gewesen.

      Sie hatte Eros nicht nur darauf trainiert, daß er kam, wenn sie ihn rief, sondern ihm auch phantastische Kunststücke beigebracht.

      Er konnte sich auf den Hinterbeinen aufrichten und nach der Walzermelodie tanzen, die Nolita summte; er nickte mit dem Kopf, wenn sie ihm befahl, »ja« zu sagen, und er schüttelte ihn, wenn es »nein« heißen sollte.

      Jedes Jahr lehrte sie ihn neue Dinge, bis ihr Vater lachend meinte: »Er ist menschlicher als die meisten menschlichen Wesen, und bestimmt intelligenter!«

      Der Gedanke daran, daß sie Eros vielleicht verlieren würde, daß sie ihn würde verkaufen müssen, hatte seit dem Tode ihrer Eltern wie ein Dolch in Nolitas Herzen gesteckt.

      Sie hatte gewußt, wie wenig Geld sie besaßen, und halb und halb hatte sie sich schon darauf gefaßt gemacht, daß nach Bezahlen aller Verpflichtungen nichts übrigbleiben würde.

      Glücklicherweise war der kleine Betrag, den ihr Großvater ihrer Mutter überschrieben hatte, im Wert gestiegen und brachte fast fünfzig Pfund im Jahr ein, und ihr Vater hatte das gleiche Einkommen von einem Treuhandvermögen, dessen Kapital er nicht hatte angreifen können.

      Jetzt gehörte beides ihr, und wenn es auch wenig genug war, rettete es sie doch davor, sich von Eros trennen zu müssen.

      Als sie an diesem Abend in dem kleinen Schlafzimmer, das sie seit ihrer Kinderzeit bewohnte, zu Bett ging, dankte sie Gott, daß sie Eros behalten durfte, und dann betete sie darum, daß sie nicht lange in Sarle-Park bleiben müsse.

      »Wenn sie dort nicht mit mir zufrieden sind«, sagte sie zu sich selbst, »werden sie bald auf meine Dienste verzichten wollen. Vielleicht wird Tante Katherine dann so wütend, daß sie mir erlaubt, zu Hause zu bleiben.«

      Ihr war jedoch klar, daß sie sich darauf nicht fest verlassen durfte.

      Obwohl Lady Katherine nicht die geringste Lust hatte, ihre verwaiste Nichte bei sich aufzunehmen, war sie sich doch sehr bewußt, was sie der Ehre ihrer Familie schuldig war.

      Nolita erinnerte sich, daß ihre Mutter oft darüber gelacht hatte, welche Sorgen es ihren Verwandten bereitete, »was die Leute sagen werden«.

      »Hauptsächlich aus Sorge darum, was die Leute sagen würden, waren sie so böse, als ich mit Papa durchbrannte«, hatte sie Nolita erzählt. »Natürlich - wäre er reich und bedeutend gewesen, hätten sie es für eine sehr gute Sache gehalten. Aber er war arm und mußte sein Regiment verlassen, und so waren sie selbstverständlich gegen meine Heirat.«

      »Warum machten sie sich denn Sorgen?« hatte Nolita mit weit aufgerissenen Augen gefragt, »und um welche Leute?«

      »Um die Leute, die sie bewunderten, ihre Freunde und ein ganzer Kreis von Bekannten«, erklärte ihre Mutter. »Wenn du erst älter geworden bist, Nolita, wirst du feststellen, daß die Gesellschaft sich selbst mit einer großen Menge ungeschriebener Regeln und Gesetze eingezäunt hat. Manche davon sind völlig unsinnig, aber es gibt sie nun einmal.«

      »Was für Regeln?«

      Ihre Mutter hatte ihren Vater angesehen, der augenzwinkernd erklärt hatte: »An erster Stelle steht natürlich das Elfte Gebot.«

      »Und was ist das?« forschte Nolita.

      »Laß dich nicht erwischen!«

      »Also wirklich, Harry! Du darfst so etwas nicht vor dem Kind sagen!« hatte ihre Mutter ausgerufen.

      »Wenn sie es nicht von mir lernt, wird sie es selbst herausfinden«, hatte ihr Vater trocken gesagt. »Sünden gelten in der Gesellschaft als Bagatellen, solange sie unter den Teppich gekehrt werden, Nolita. Schlimm ist es nur, wenn darüber gesprochen wird, und am allerschlimmsten, wenn etwas darüber in den Zeitungen erscheint!«

      Nolita war damals noch zu jung gewesen, und erst später, als sie älter wurde, verstand sie, was ihr Vater gesagt hatte.

      Nicht von ihren Eltern, sondern von deren Freunden erfuhr sie, daß in der Gesellschaft verheiratete Leute Liebesaffären hatten und sich niemand darüber Gedanken machte, solange sie sich diskret verhielten.

      Die Affären des Prinzen von Wales waren eine unerschöpfliche Quelle des Klatsches. Nolita hatte ihn einmal bei einem Pferderennen gesehen, zu dem ihr Vater sie mitgenommen hatte, und sie hatte ihn sehr schick und attraktiv, wenn auch nicht besonders hübsch gefunden.

      Er war von einer Anzahl außerordentlich schöner Frauen umringt gewesen, und auf dem Heimweg hatte Nolita unschuldig gefragt, ob Prinzessin Alexandra anwesend gewesen sei. Ohne nachzudenken, hatte ihr Vater geantwortet.

      »Nicht, wenn er mit der verführerischen Lady Brook zusammen ist.«

      »Warum?« hatte Nolita wissen wollen.

      Sie hatte keine Antwort erhalten, und erst etwa ein Jahr später begriff sie etwas mehr. Bis dahin hatten alle davon gesprochen, wie wahnsinnig verliebt der Prinz sei. Und da weder die Prinzessin noch Lord Brook Einwände gegen diese Verbindung zu haben schienen - was ging es da andere Leute an?

      Nolita kam das damals ganz verkehrt vor. Ihr Vater und ihre Mutter lebten völlig anders. Sie waren so glücklich! Allein schon der Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Mutter, wenn sie den Vater vom Rennen heimkommen hörte, und der tiefe Klang seiner Stimme, wenn er sie begrüßte, bewiesen Nolita, daß es für keinen von beiden jemals einen anderen

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