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im Schlepptau herumziehen, und ich versichere dir, mit fünfunddreißig habe ich nicht die Absicht, bei Bällen zusammen mit den älteren Damen auf der Estrade zu sitzen.«

      Sie war neununddreißig, wie sie beide wußten, aber Nolita hatte nicht die geringste Lust, sie darauf hinzuweisen.

      »Deine Tante Anne wird wieder im Ausland leben, denn ihr Mann ist zum Botschafter in Paris ernannt worden, und das ist ganz gewiß kein Ort für ein so junges Mädchen, wie du es bist.«

      »Wäre es nicht... vielleicht möglich«, fiel Nolita ein, bevor ihre Tante weitersprechen konnte, »daß ich ... eine ehrbare Person finde, die hier mit mir lebt? Es muß doch eine ... nicht mehr berufstätige Gouvernante ... oder eine in beschränkten Verhältnissen lebende Dame geben, die ... sich freuen würde, ein Dach über dem Kopf zu haben.«

      »Du wirst kaum eine finden«, behauptete Lady Katherine, »aber ein Posten als Gouvernante ist etwas Ähnliches wie das, was ich für dich im Sinn habe.«

      »Ich soll... Gouvernante werden?« fragte Nolita.

      »Nicht genau das. Ich habe eine Freundin, die verwitwete Marquise of Sarle, die mich erst vorige Woche in einem Brief fragte, ob ich nicht eine Gesellschafterin für ihre Enkelin wüßte.«

      »Eine ... Gesellschafterin?« murmelte Nolita.

      »Hör auf, so albern zu wiederholen, was ich gesagt habe«, rügte Lady Katherine. »Ich versuche dir zu erklären, daß es sich um eine einmalige Gelegenheit handelt. In meinen Augen ist es eine ideal für dich geeignete Stellung, wenn du nur Verstand genug besitzt, sie zu halten.«

      Wieder zeigte ihr Ton, daß sie das für unwahrscheinlich hielt.

      »Die einzige Schwierigkeit ist, daß du zu jung wirkst. Niemand würde glauben, daß du schon achtzehn bist.«

      »Ich werde doch ... auch älter«, wagte Nolita einzuwerfen.

      »Ich bezweifele, ob du noch wächst, obwohl du dies dumme Babygesicht wohl verlieren wirst.«

      Nolita schwieg.

      Einen der Gründe, warum ihre Tante so unfreundlich mit ihr sprach, konnte sie sich denken. Das Aussehen ihrer Nichte mußte Lady Katherine, als sie zur Beerdigung eintraf, überrascht haben.

      Nolita sah ihrer Mutter ähnlich, und deshalb wußte sie, daß sie zumindest hübsch aussah, wenn nicht sogar, wie ihr Vater immer behauptet hatte, schön. Da mochte ihre Tante andeuten, was sie wollte.

      »Es ist ein Privileg«, hatte er noch in der Woche vor seinem Tod erklärt, »sich mit zwei der liebreizendsten Frauen, die sich in ganz England finden lassen, zu Tisch setzen zu dürfen.«

      »Du schmeichelst uns, Liebster«, hatte ihre Mutter erwidert, »aber mir gefällt es, deshalb fahre nur fort, so hübsche Dinge zu sagen.«

      »Ich habe in dem Augenblick, als ich dich zum ersten Mal sah, mein Herz an dich verloren«, sagte Captain Walford zu seiner Frau. »Seitdem bist du mit jedem Tag, den du älter geworden bist, schöner geworden, und ich denke, bei Nolita wird es ebenso sein.«

      »Dazu ist noch viel Zeit«, lächelte ihre Mutter, »aber ich freue mich, eine so schöne Tochter zu haben. Ich bin sehr, sehr stolz auf sie!«

      Der Ausdruck in den Augen ihrer Tante hatte Nolita gleich bei der Begrüßung verraten, daß das Aussehen ihrer Nichte sie gar nicht freute.

      Tante Katherine war immer noch schön, aber anders als ihre Mutter hatte sie verräterische Altersfältchen um Augen und Mund. Vielleicht lag es daran, dachte Nolita.

      »Nichtsdestotrotz«, erklärte Lady Katherine, »ist es für dich die Chance deines Lebens, zu der Enkelin der Marquise zu kommen. Denn sie gehört nicht nur zu der Sarle-Familie, von der du, wie ich annehme, selbst in diesem verlassenen Nest gehört hast, sie ist auch noch eine reiche Erbin.«

      »Wie alt ist sie?« erkundigte Nolita sich.

      »Ich glaube, sie wird bald zwölf. Ihre Großmutter sagte zu mir: ,Sie braucht eine gebildetere und kultiviertere Person um sich als die Gouvernanten, die man kaum als Damen bezeichnen kann.'«

      »Aber Tante Katherine, ich bin doch ... ziemlich alt als Gesellschafterin eines Kindes von zwölf«, meinte Nolita zögernd.

      »Gerade deshalb wirst du Autorität über sie haben«, antwortete Lady Katherine. »Ich denke mir, daß sie Lehrer haben wird. Deine Pflicht wird es sein, sie zu leiten und zu beeinflussen.«

      Nolita mußte zweifelnd dreingeblickt haben, denn Lady Katherine fuhr ärgerlich auf.

      »Oh, benutze deinen Verstand! Ich weiß genau, was die Marquise wünscht. Offenbar ist es ein schwieriges Kind, und Millicent Sarle ist die letzte, die ihre Zeit mit einer schwierigen Enkelin verschwenden möchte.«

      »Ist ihre Mutter tot?« fragte Nolita.

      »Sie ist schon vor Jahren gestorben und hinterließ diesem lästigen Mädchen ein ungeheures Vermögen, das von Jahr zu Jahr weiter anwächst. Ich habe oft zu der Marquise gesagt, es ist ein Jammer, daß kein Sohn da ist, der den Titel erben könnte.«

      »Ihr Vater lebt noch?«

      »Natürlich! Himmel! Liest du niemals Zeitung? Ihr habt euch wohl keine leisten können.«

      Nolita schoß das Blut ins Gesicht.

      Sie konnte ihrer Tante nicht gut sagen, daß weder ihr Vater noch ihre Mutter auch nur im geringsten an den Hofnachrichten oder den Schilderungen der Bälle und Gesellschaften, die in London stattfanden, interessiert gewesen seien.

      Wenn die Zeitung kam, hatte sich ihr Vater für gewöhnlich dem Sportteil zugewandt, und sie alle hatten sich in die Berichte über die Pferderennen vertieft.

      Jeder Penny, den sie sparen konnten, war auf den Kauf von Pferden verwendet worden, die ihr Vater trainiert und mit Gewinn wieder verkauft hatte.

      Das war der einzige Weg gewesen, ihr kleines Einkommen aufzubessern.

      Manchmal, wenn ihr Vater Erfolg gehabt hatte, waren sie sich reich vorgekommen. Er hatte Geschenke und neue Kleider für seine Frau und seine Tochter gekauft, es hatte besondere Leckerbissen und ganz gelegentlich auch eine Flasche Champagner gegeben.

      Ein solches Leben hätte ihre Tante bestimmt entsetzt, und doch hatten sie so viel Spaß gehabt.

      Plötzlich fiel Nolita ein, wo sie von dem Marquis of Sarle gehört hatte und warum, als ihre Tante seinen Namen nannte, er ihr bekannt vorgekommen war.

      Natürlich besaß er Rennpferde, und ihr Vater hatte ihn vor einem Jahr auf einem in der Nähe gelegenen Rennplatz erwähnt.

      »Das ist der Favorit«, hatte er gesagt und auf ein prachtvolles Tier gezeigt. »Er gehört dem Marquis of Sarle, aber ich glaube nicht, daß er siegen wird.«

      »Warum nicht, Papa?«

      »Ich setze eher auf den Außenseiter, und wenn er als Erster durchs Ziel geht, wird uns das viel Geld einbringen.«

      »Bitte, Liebster«, hatte Nolitas Mutter gesagt, »riskiere nicht zu viel. Du weißt, wie knapp wir zur Zeit dran sind.«

      Ihr Vater war jedoch seiner »Ahnung«, wie er es nannte, gefolgt, und der Außenseiter hatte gesiegt. Bis zu diesem Augenblick hatte Nolita nie mehr an den Favoriten gedacht, der Dritter geworden war.

      »Du brauchst nichts anderes zu tun«, erklärte ihre Tante, »als dich bei dem Kind beliebt zu machen und es bei guter Laune zu halten, und wer weiß, was sie für dich in Zukunft tun kann.«

      Neid schwang in ihrer Stimme mit, als sie fortfuhr.

      »Neulich sagte irgendwer, der Besitz ihres Großvaters, den sie zusätzlich zu dem ihrer Mutter erben wird, gehöre zu den größten Vermögen Amerikas.«

      »War ihre Mutter Amerikanerin?« fragte Nolita.

      »Das erzähle ich dir doch die ganze Zeit!« gab Lady Katherine zurück. »Sie heiratete sehr jung, und natürlich

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