Скачать книгу

den Schultern und tuschelt: »Es ist geheim, Ackermann, keiner soll mich sehen, ich hab beim Orchester keinen Urlaub eingegeben, und der Monsieur Dirigent …«

      Der Diener lacht ihn breit an und läßt ihn herein.

      »Der Herr Kammercellist kann doch aus- und eingehen wie alle herzoglichen Musici, wenn er sich bei den Durchlauchtigsten Herrschaften melden laßt; der Herr Oberkapellmeister wird’s schon durchgehen lassen.«

      »Es soll’s aber niemand wissen! Ich such’ jemand, eine Dame … versteht er denn nicht?«

      Er steckt dem Mann ungeschickt ein Geldstück zu; der tritt zur Seite.

      »Ich kenn‘ ja den Monsieur Kaufmann; wollen der Herr nicht wenigstens die große Baßgeig’ dalassen?« Kaufmann antwortet nicht; er ist schon an der Treppe.

      Franziskas vierzigster Geburtstag war vorbei; aber das Ende war zugleich Vorspiel und Auftakt, in denen schon angelegt war, was sich danach entfaltete.

      Am nächsten Morgen war die Herzogin gegen ihre Gewohnheit spät aufgestanden. Sie hatte Karl Eugen bitten lassen, ohne ihre Begleitung nach Stuttgart zu fahren, weil sie erkältet sei und sich nicht recht wohl fühle. Karl stieg mißmutig in seine kalte Karosse und ruckte unwirsch an den seidenen Kissen herum, in denen sonst Franziska lehnte. Dann trieb er zur Eile. Die Pferde rasten schnaufend über den schneeglatten Weg, der Mann auf dem Bock fluchte und betete im stillen.

      Inzwischen saß Franziska in ihrem Damenzimmer und träumte vor sich hin. Sie sann dem Herzog nach, stellte sich vor, wie er jetzt gegen Stuttgart hinunterkutschierte; aber der Gedanke an feuchten Zugwind erinnerte sie wieder an ihre tropfende Nase; sie läutete der Kammerfrau und ließ sich einen heißen Kräuterdampf bringen.

      Da wurde ihre Schwester, Luise von Pflug, gemeldet. Sie wohnte seit dem Tod ihres Mannes, des Hofrats und Regierungspräsidenten, auf einem kleinen Landsitz und kam zum Einkaufen oft nach Stuttgart; jedesmal besuchte sie dann auch das Gut Hohenheim, um der Herzogin aufzuwarten. Franziska ging ihr lebhaft entgegen.

      »Du bist nicht wohl, Franzel?« fragte die Dame gleich und legte ein bemaltes Kästchen mit Konfekt auf den kleinen Tisch.

      »Der Schnupfen, wie’s gewöhnlich ist in dem Monat …«, sagte Franziska in ihrem singenden Schwäbisch. »Aber das hab’ ich gern, daß die Frau Schwester sich zeigen, ich bin heut eines tristen Humors wegen dem gestrigen Malheur!«

      Frau von Pflug setzte sich. Es sei ihr schon zu Ohren gekommen, meinte sie, und der flattierte holländische Gast sei scheint’s auch ganz indigniert abgefahren, ausgerechnet an den preußischen Hof, wo man noch genauso gallig sei wie zu Lebzeiten des königlichen Onkels.

      »Der Pembroek hat nicht einmal mehr übernachten wollen«, warf Franziska bekümmert ein.

      Frau von Pflug wurde heftig. »Was hat aber auch der Ballettmeister gemacht?« Sie aß rasch ein Stückchen Konfekt. »Man sucht den Reignaud jetzt in allen Gassen — auf herzoglichen Befehl.«

      Franziska nickte traurig. »Karl glaubt, er hab’ das Mädle angestiftet!«

      »Der Mensch hat ja gänzlich den Kopf verloren, wenn er denkt, er könnt’ entwischen«, meinte Frau von Pflug, »er macht ja alles nur ärger damit«.

      »Den Kaplan Baumann und die Sandmeierin hat man auch bald ergriffen und auf den Hohentwiel getan …«

      Franziska schwieg und ließ sich in eine unbehagliche Erinnerung an den vergangenen Abend hinuntersinken: sie sah Reignaud, während die Flämmchen über die Tafel züngelten, verzweifelt an der Wand entlangtasten. »Und die Sandmeier’sche, die Sängerin?« fragte Frau von Pflug neugierig. »Ist die dann durchgekommen?«

      Franziska sah ihre Schwester gedankenlos an. Das Bild vom Abend war viel lebendiger als die Klatschgeschichte von damals. »Das Julchen!« murmelte sie benommen. »wie die mich angestarrt hat, ganz wild, und dann gleich ans Tischtuch gefaßt … und hinterher …«

      »Du hast Fieber, Liebe, glaub’ mir, du solltest dich ins Bett bringen lassen!«

      Frau von Pflug stand auf, um zu läuten. Ehe die Kammerfrau hereinkam, wandte sie sich schnell nach der Schwester um. »Und die Schubartische soll also mit dem Ballettmeister durchgebrannt sein? Wie die Sängerin mit dem Baumann?«

      »Die hat doch gar nichts mit dem alten schwarzen Vogel … zu tun gehabt!« flüsterte Franziska eilig, »die Julie hat mir doch …«

      Da kam die Kammerfrau herein, schnaufend vor Eile und Eifer; Frau von Pflug deutete auf Franziska, die noch immer mit abwesenden Augen vor sich hinträumte. »Ihre Durchlaucht fiebern wieder«, sagte sie besorgt, »und sollten sich zur Ruh begeben«.

      Die Alte legte die Hände über der Schürze ineinander. »Es ist ein arger Schrecken gewesen gestern Abend, und die freche Person, so den Leuchter umgestoßen hat, sei sogar entwichen!«

      »Sie ist fort?« Franziskas Stimme hatte einen Beiklang von Erleichterung. »Ich hatte ihr ja auch …«, aber wieder sprach sie nicht zu Ende.

      Die zwei Frauen stützten sie. Auf dem hochgepolsterten Bett ließ sie sich wohlig in die Spitzenkissen fallen, schloß die Augen und atmete auf. Während die beiden zur Tür gingen, schlief sie schon.

      Noch vor dem Nachtmahl traf ein persönliches Schreiben der Herzogin bei der Gouverneurin der École ein, die Élèvin Schubart sei als krank zu melden.

      Am zwölften Januar wurde das Wetter klar und kalt. Lange Eiszapfen hingen von den Dachtraufen, der weiße Harsch knirschte und warf seine Schatten in die Spuren der Heiducken, die den gefangenen Reignaud ins Schloß führten. Sein Komödiantengesicht war gelber als sonst, starke Furchen zogen sich von der Nase zu den Mundwinkeln, das Schwarz der gemalten Brauen war zerlaufen im Schnee, der in den offenen Schlitten geweht war; die Schminke klebte fleckig auf der unrasierten Oberlippe; die flachen Tanzpantoffeln waren durchgeweicht. Reignaud hatte seine Flucht bald aufgegeben. Schon hinter Waiblingen war ihm das Geld ausgegangen, schlotternd im dünnen Galarock hatte er sich beim dortigen Oberamt gemeldet. Ein gutmütiger Beamter hatte ihm Mäntel und Decken gegeben und für einen Schlitten gesorgt; er kannte seinen Landesherrn: Der Franzose war ein berühmter Mann in seinem Fach, und Karl hätte ihn sicher ungern verloren.

      Der Amtmann hatte richtig gerechnet. Karl war milde gestimmt, als man Reignaud vorführte. Er gefiel sich in der Rolle des überlegenen Pädagogen, die er in den letzten Jahren gern spielte. Er fuhr den Mann scharf an, machte ihn allein für Julchens Ungeschick verantwortlich, stellte ihm allerlei politische Konsequenzen des verdorbenen Abends vor und benutzte die Gelegenheit, ihm sein Gehalt von 2 500 Gulden auf 2 000 zu kürzen. Dann hieß er ihn niederknieen und entließ den verängstigten Tanzmeister endlich in Gnaden; Reignaud kam gar nicht zu Wort.

      Erst abends, als Karl mit Franziska im warmen Zimmer speiste, fiel ihm ein Versäumnis ein.

      »Der Reignaud war bei mir, Franzel«, sagte er kauend, »und ich hab’ vergessen, ihn nach der Schubartischen auszuforschen. Ob er die mitgenommen hat? Und wo sie jetzt sein könnte? Ich muß den Kerl doch noch einmal antreten lassen, den Flederwisch!«

      »Ach, laß ihn Karl, laß ihn! Er tanzt gut und komplimentiert artig, aber mit dem Mädle ist er gewiß net weggewest; das tut die nicht, so viel weiß ich sicherlich; und sie ist ja noch so jung und er schon über fünfzig.«

      Sie beobachtete ihn prüfend, schmunzelte beruhigt über seine vergnügte Miene, aber ehe sie weitersprechen konnte, unterbrach Karl sie:

      »Du siehst wieder so holdselig herzig aus wie eh und je!«

      Sie legte geschmeichelt den Kopf schief. »Jetzt hätt’ ich dich gern gleich an den Vater vom Julchen erinnert, der immer noch da droben sitzt und wartet, Karl. Und das Mädle möcht’ doch auch wissen, wie’s dran ist; und die arme Frau, die Helene, kann einem leid tun.«

      Die Herzogin seufzte. »Da hat mir das Mädle einen ganz unglücklichen Brief vom Vater gezeigt — die Mutter weiß nichts davon — ich hab ihn dann aufgehoben; hör zu, Karl, aber halt’s dem armen Gefangenen

Скачать книгу