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— wenn ich das wüsste . .“, sagte sie.

      „Ich möchte nur wissen, auf wen du eigentlich wartest!“

      „Ich auch, Mama!“

      „Eine unglückliche Liebe hast du doch auch nicht!“

      Katja Gebauer lachte hell auf.

      „Seh’ ich so aus?“

      Dann flog unvermittelt wie alles in ihrem Wesen — ein Schatten von Ernst über ihr schönes, bräunliches Gesicht und sie murrte finster:

      „Ich wollte, ich hätte eine unglückliche Liebe! Dann hätte man doch wenigstens ’was! So hat man gar nichts! Es ist zu langweilig!“

      „Jeden Tag könntest du deinen Vetter Pauluscha heiraten! Oder Maurice Sinai! Den jungen Presnjakoff! Eduard Wollbaum! . .“

      „Mama! die hab’ ich ja alle schon längst heimgeschickt! Das Lager ist ausverkauft!“

      Madame Gebauer unterbrach ihre Aufzählung der grossen Handelshäufer Odessa’s und seufzte:

      „Ich weiss! Und der Sascha ist, leider Gottes, sechs Jahre jünger als du und kommt nicht in Betracht . .“

      „Gib Acht! Ich glaub’, da erscheint er auf der Bildfläche!“

      Die Türe zum Nebenzimmer öffnete sich. In dem sassen rund um den abgedeckten Esstisch die jüngsten Ritterschen Sprösslinge und andere Kinder und taten still und ernst, was alle Frauen und Kinder in Deutschland in diesen Sommertagen taten: Sie zupften Charpie für die Verwundeten. Mitten auf dem Tisch lagen die leinenen Lappen — zertrennte alte Hemden — zerrissene Taschentücher — ausgediente Bettlaken. Aus ihnen zogen die kleinen, mehr oder minder sauberen Finger emsig die einzelnen Fäden und schichteten sie zu hohen, lockeren weissen Haufen. Dazwischen klapperten die Stricknadeln der Frau Professor heftig an einem Liebessocken. An ihr vorbei war Sascha Kersting zur Schwelle gegangen und stand jetzt, die Türe hinter sich schliessend, ohne eine merkliche Freude des Wiedersehens zu heucheln, vor den Odessaer Verwandten.

      „Nun — da seid ihr ja auch einmal!“ sagte er wenig liebenswürdig. Er kam nachlässig herangeschlendert, die Hände in den Hosentaschen, und entschloss sich dann doch, die Rechte herauszuholen und sie ziemlich missmutig der Reihenach dem Onkel, der Tante und der Base zu reichen. Er war nicht sehr gross für seine sechzehn Jahre, schmächtig und ebenmässig gewachsen, mit dunklen Augen. Eine Strähne seines braunen wirren Haars hing ihm unordentlich in die Stirn. Es war in seinen halb trotzigen, halb verträumten Gesichtszügen eine unverkennbare Ähnlichkeit mit seiner schönen, um sechs Jahre älteren Cousine Katja — nur dass ihm schon der erste, schwache. Anflug eines Flaums über den spöttisch verzogenen Mundwinkeln dunkelte. Er liess die Hand Katja Gebauers als letzte los, sah sie ernsthaft an, indem er nach seiner Gewohnheit den Kopf heftig in den Nacken warf, und meinte dann prüfend, im Ton eines Frauenkenners:

      „Na — du hast dich ja ganz gut herausgemacht — in den drei Jahren, seit wir uns nicht gesehen haben!“

      „Wenn ich nur dir gefalle!“ sagte Katja.

      Er nickte herablassend, in gewaltsam verhehlter Sorge, sich nicht von der grossen Cousine imponieren zu lassen.

      „Doch! du kannst so bleiben! Du bist viel hübscher geworden, als ich dich in der Erinnerung hatte!“

      „Gottseidank!“ Die junge Dame atmete aus tiefster Brust auf und legte erleichtert die Hand aufs Herz. „Das war meine Todesangst auf der ganzen Auslandsreise, was du zu mir sagen würdest!“

      Sascha zuckte nachsichtig die Achseln zu dem Spott. Er wandte sich etwas ironisch den beiden alten Herrschaften zu. Er hob wieder das eigenwillige Kinn. Er hatte einen bald herrischen, bald versonnenen Mund, um den jetzt eine Gereiztheit zuckte. Er forschte ungeduldig.

      „Wie denn, Onkel Ottinka? Pomiluite . . .“

      „Du sollst in Deutschland deutsch sprechen, Sascha!“

      „Karaschô!“ bestätigte er eigensinnig. „Was macht Ihr denn hier plötzlich? Mitten im Krieg?“

      „Ich glaube, es ist unsere Sache, lieber Neffe.“

      „Man kann Euch jetzt hier gar nicht brauchen! Man kann jetzt überhaupt keine Ausländer brauchen!“

      „Du bist ja selber einer . . . Bitte . . Wir wollen hier geschäftlich und fachlich reden . . Du bist russischer Staatsangehöriger und, soviel ich wenigstens weiss, liegt Heidelberg nicht in Russland!“

      Sascha Kersting sah den Onkel an. Sein hübsches Gesicht war missmutig. Er zuckte die Achseln und stellte sich, mit dem Rücken gegen die Anwesenden, die Hände wieder in den Hosentaschen, ans Fenster und schwieg verdrossen und schaute hinaus.

      „Sascha . . . . . Du gefällst mir nicht . . .“

      Es kam ein unbestimmter Laut als Antwort, aus dem man entnehmen konnte, dass das gegenseitig sei.

      „Du bist malproper angezogen!“ tadelte der selbst peinlich korrekte, kleine Kaufherr. „Leider achtet man in Deutschland viel zu wenig auf diese Dinge.“

      „Papa . . das soll doch genial sein!“ erläuterte Katja belustigt und besänftigend, „das darfst du ihm in dem Alter nicht übernehmen!“

      Sascha fuhr herum und musterte sie wütend und wortlos. Sein Oheim mäkelte mit hochgezogenen Augenbrauen weiter.

      „Deine Krawatte sitzt schief! Ein Rockknopf fehlt! Wo sind denn, um Gottes willen, deine Manschetten?“

      Der Jüngling drehte sich zu ihm. Er lächelte jetzt auf einmal naiv-liebenswürdig. Er sah dadurch sehr hübsch aus. Es war eine schmeichlerische, weiche Art, sich träumerisch zu geben, wie es die Frauen lieben. Aber es wurde daraus — in der Ungleichmässigkeit seines Wesens — rasch ein spöttisches Mitleid mit dem geistig hinter der Zeit zurückgebliebenen Onkel vor ihm. Er brauste plötzlich leidenschaftlich auf:

      „Es handelt sich jetzt nicht um scheppe Halsbinden, Onkel Ottinka, sondern um das grosse deutsche Vaterland . . .“

      „Da haben wir’s!“ sprach Otto Gebauer entsetzt zu seiner Frau.

      „und um die Franzosen zu verwichsen, brauchen wir keine Manschetten! die stören dabei nur . . .“

      „Na — den habt Ihr ja hier gut untergebracht!“ sagte Katja gleichmütig zu den Eltern und streichelte den Familienpinscher auf ihrem Arm. Ihr Vater rang nach Luft.

      „Was kümmert dich das deutsche Vaterland?“ schrie er Sascha an, in einer Anwandlung von Barschheit, die bei ihm selten war.

      „Soll ich allein in der Ecke stehen, wenn alle an Deutschlands Einheit bauen? Ich hab’ keine Lust, hinter den anderen zurückzustehen!“

      „Worin denn? In einer Sache, die dich gar nichts angeht? Das ist bei dir gar keine Begeisterung für Deutschland! Das ist einfach ein überspanntes und gekränktes, knabenhaftes Selbstgefühl!“

      „Ich bin nicht gewohnt, der Zweite zu sein! Ich bin’s in Odessa nicht! Ich gehör’ dort zu den ersten mit meinem Geld — und in der Klasse hier gehöre ich auch zu den ersten — in den Zeiten wenigstens, wo ich mir Müh geb’ und etwas arbeit’, heisst das . . .“

      ,,Eben! ’mal bist du fleissig, ’mal nicht! Alles an dir ist sprunghaft. Auch dieser kindische Enthusiasmus . . .“

      „Ich bin begeistert für Deutschland!“ rief Sascha Kersting. Sein Gesicht wurde blass und verklärte sich. Seine Augen wurden gross und leuchteten. Er hob sich feierlich in den Schultern. Er konnte vor Erregung kaum sprechen. „Ich will dabei sein, wenn Deutschland neu ersteht!“

      „Lass doch die Redensarten!“

      ,,Redensarten?“ Der junge Mann hatte plötzlich wieder sein alltägliches Aussehen. Er schüttelte gottergeben den Kopf.

      „Es lohnt sich nicht, vernünftig mit Euch zu reden!“ Ein verächtlich-verstecktes, geheimnisvolles Lächeln flimmerte

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