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bürgerlichen Reichtums von der Wehrpflicht befreit! Nun aber . . .“

      „Ich bitte Sie: Ich werde doch keine Uniform tragen . .“, sagte Sascha phlegmatisch.

      „Was heisst das? Ihr Name steht sicher schon in der Stammrolle!“

      „Dann hat mein Vormund, mein Onkel Ottinka, auch dafür gesorgt, dass er wieder gelöscht wird.“ Der junge Mann unterdrückte ein Gähnen. „Ein Na — Tschai! . . Ein kleines Teegeld an den örtlichen Beamten . . .“

      „Er kann Sie doch nicht verschwinden lassen!“

      „Nun — und das Attest des Kreis-Arztes, dass ich taub bin? Stoctaub?“

      „. . eines Arztes, der Sie nie gesehen hat?“

      „Wozu braucht er mich denn zu sehen?“ frug Sascha naiv. „Er bekommt doch sein Schmiergeld!“

      „Und wenn ein höherer Tschinownik die Liste revidiert?“

      „Dieser Tschinownik nimmt doch erst recht! Onkel Ottinka wird ihm geben!“

      „Ein merkwürdiges Land — Ihre Heimat! Es gibt dort doch schliesslich hohe Würdenträger . . Petersburger Senatoren — Generale . . .“

      „Nun — dann schmiert man den General! Er liebt doch auch die Rubelchen!“

      „Und Ihre Pflichten gegen das Vaterland, mein junger Herr?“

      „Das Vaterland . .“ wiederholte Sascha Kersting zerstreut. Hinter ihm war ein Lärm. Zurufe: „Ah endlich . . . Je später der Tag, desto schöner die Gäste! . . .“ Eine dröhnende Stimme als Antwort. Ein schallendes Lachen: „Ich konnte nicht früher, meine Freunde! Die Geschäfte — die Geschäfte . . .“ Das war nicht mehr das philiströse, immer gedämpfte, immer gemessene Lyon. Dieses Trompeten in hellem, sächsisch-singendem Französisch — das war Marseille — See und Salz und Süden — Menschengewimmel — Mastengewirr — Lärm auf allen Gassen. Ein Händegeschüttel — ein Gelächter — ein Gedränge sofort auch hier, auf dem Paradeplatz, um Diagoras Nezot, den grossen Schiffsreeder. Wo er war, klein, stämmig, kugelrund, quecksilbern, aufkollernd — den grauen Spitzbart in dem roten, jovialen Gesicht — wo er war, da war Spektakel. Er schwenkte den Zylinderhut, den er heute statt der schiefen Hafenkappe trug. Er war — diesen peinlich respektabel gekleideten Lyonern zu Ehren — nicht so schlampig angezogen, wie er sonst da unten in Marseille zwischen Dampfern, Docks, Schuppen, Kranen herumlief. Er gab Sascha einen wuchtigen Seemannsschlag auf die Schulter.

      „Siehe da: Der Letzte aus diesem grossen Hause Kersting! Ihr seid Spitzbuben — da hinten in Odessa! . . . Ihr betrügt des Teufels Grossmutter! . . Sind Sie auch solch ein Pirat wie Ihr Onkel Ottinka? Grüssen Sie ihn von mir — seinem getreuen, alten Freund in Marseille! — Nicolette!“ Er wendete sich an seine dicke Gattin. „Hier der Erbe der Firma Kersting! Mehr sag ich nicht!“ Er begrüsste, durch ein Lüften der Zylinderkrempe, ein dämmerndes Nubelgebirge fern im Osten. „Dies hier — tritt vor — ziere dich nicht — mein Jüngferchen — dies ist meine Einzige — das Kind Françoise — Fürchtet Euch nicht vor einander, meine Lämmchen! Gebt Euch die Patschhändchen, meine Kleinen! Hahaha!“

      „Diagoras!“ mahnte die Gemahlin. „Der Herr Souspräfekt!“

      Diagoras Nezot wandte sich geräuschvoll ab.

      „Oh — zu Ihren Diensten! Wie es geht? Nun . . . man lebt! Wann der Stapellauf meines neuen grossen Dampfers stattfindet? Die Alsace-Lorraine gleitet in nächster Zeit von der Helling! Das stolzeste Schiff meiner Flotte! Es wird ein grosses Fest! Sie werden kommen? Zu viel Ehre, mein Herr Souspräfekt! Zu viel Ehre!“

      Sascha und die kleine Françoise standen inzwischen wie durch Zufall ganz allein für sich. Er sah sie an. Es wurde ihm warm ums Herz. Wahrhaftig — noch ein Kind! Sie trug ein schlichtes, weisses Pensionsfähnchen. Einen eins fachen Schutenhut aus Stroh mit blau-weiss-rotem Band. Ein Medaillon mit einem Heiligenbildchen an einem Goldkettchen wie einen Talisman gegen die zu frühen Blicke der Männer auf der flachen, unschuldigen Brust. Sie war kaum mittelgross. Händchen und Füsschen wie bei einer Puppe. Sie hatte lange dunkle Wimpern und niedergeschlagene Klosteraugen. Sie hob die Lider, wenn man sie ansprach, mit einem schüchternen und erstaunten Lächeln, und zeigte dabei dichtstehende kleine weisse Zähne. Ihr Gesicht war klein — sehr weiss — viel weisser — ohne Puder und Schminke — als sonst bei Französinnen. Die Züge ganz zart und fein, so lieblich regelmässig geschnitten wie die einer Gemme. Es ging dem Jüngling vor ihr durch die Seele: Das ist gar nichts Französisches! Da ist nichts von den gezierten, runden Mäulchen, den beweglichen Nasenflügeln, den ewig amüsierten Mundwinkeln und den neugierigen Evaaugen dieser Rasse. Das ist ein Kunstwerk aus alter Zeit. Eine kleine Griechin. Ein scheues, kleines Wunder vom Mittelmeer. Aus Marseille, der alten Griechenstadt.

      Sie waren beide befangen. Die Sechzehnjährige merkte, dass sie ihm, dem Neunzehnjährigen, gefiel. Sie wartete still, dass er sie anreden würde. Zu dumm: Er kam sich selber plötzlich wie ein halbwüchsiger Junge vor. Die Tünche einer weltmännischen Frühreife versagte vor dem zutraulichen Augenaufschlag der kleinen Nonne.

      „Sie kommen aus dem Kloster, Mademoiselle Nezot?“

      „Ja, mein Herr!“ Die Kleine hatte eine helle, seine Stimme. Sein Herz schlug heftiger.

      „Sind sie gern dort?“

      „Ach — die Mütter sind ja so gut zu uns!“

      „Ist es nicht langweilig im Kloster?“

      „Nein, mein Herr! Wir lernen, wir beten, wir singen, wir sticken, wir pflegen die Blumen . . .“

      Er lachte belustigt.

      „Möchten Sie nicht jetzt doch einmal allmählich in das Leben hinaus?“

      Sie hielt rein seinen Blick aus wie den eines Bruders und sagte sanft:

      „Wenn es an der Zeit ist, wird man mich in das Leben hinausführen, mein Herr!“

      „Sie sind geduldig . . .“

      „Ich hoffe es!“ Das weiche, glatte Gesichtchen lächelte harmlos. Er dachte sich: Sie verspricht, noch einmal viel hübscher zu werden, wenn erst Leben in diese kleine, entzückende Tanagra-Figur kommt.

      Das 158. Infanterieregiment zog in roten Käppis und blauen Schwalbenschwänzen mit Trommelwirbel und Hörnergeschrei vorüber. Zurufe umher. Sascha und Françoise schwiegen, zwei verwirrte Kinder unter dem Baum der Erkenntnis. Er erschien sich lächerlich. Er warf sich das Fell des jungen Salonlöwen um. Er frug lässig, mit seinem Stöckchen wippend:

      „Lieben Sie auch dies militärische Schauspiel?“

      „Nein, mein Herr. Denn mein Vater liebt es nicht. Er sagt: Parade ist Krieg im Frieden! Und Krieg stört das Geschäft!“

      „Ah — da erkennt man Euch Marseiller!“ rief erbost der Deputierte Touchant, der es gehört hatte. „Gerade so sprach vorhin Monsieur Sascha von seiner russischen Heimat. Ihr Seehändler seid alle gleich! Odessa und Marseille — das reimt sich. . .“

      Es war ein bedeutungsvolles Schweigen umher. Zum Glück schmetterten eben, lichtblau vorbeireitend, mit gelben Helmen die Dragoner. Sascha versenkte sich andächtig in das stille, atmende Klosterbild vor ihm. Süsse, kleine Madonna . . . . So unberührt . . . Ein frommes Kind . . . .

      „Nun kehren Sie wieder nach Marseille zurück?“ fragte er leise und traurig.

      „Heute abend noch! Kennen Sie Marseille? Nein? So nahe und nie dort? Warum denn nicht?“

      „Ich wusste ja nicht, dass Sie dort wohnen!“

      Die Kleine schaute ihn unschuldig und fragend an, als verstände sie ihn nicht. Dann plauderte sie lebhaft weiter:

      „Oh — Marseille ist schön! Nicht still wie Lyon! Die Strassen voll Menschen! Alle Menschen sind heiter. Sie lachen! Sie lärmen! Hören Sie nur Papa!“ In der Tat! Die Stimme des alten Nezot dröhnte drüben so laut über den Platz, als befehlige er ein Treffen der Parade. „Man hat in

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